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       # taz.de -- Die Kunst der Woche: Die Welt von Zeit zu Zeit
       
       > Im Palais Populaire dreht die Zeit ihre Runden mit Werken von Ayşe Erkmen
       > und Cornelia Schleime. Bei Olafur Eliasson wechselt das Licht die
       > Richtung.
       
   IMG Bild: Olafur Eliassons neunte Einzelausstellung in der Galerie neugerriemschneider, Berlin
       
       Dass es sich bei dem leckeren Kuchen in der Vitrine des Cafés im [1][Palais
       Populaire] um ein Kunstprojekt handelt, würde man nicht unbedingt vermuten.
       Doch eine kleine Infotafel neben der Auslage mit dem Gebäck, das ein
       traditionelles Rezept mit Zutaten aus verschiedenen Kulturen neu
       interpretiert, weist darauf hin, dass es sich um eine Idee von Ayşe Erkmen
       aus dem Jahr 2003 handelt, die nun sozusagen wieder aufgeführt wird. Und im
       Rahmen der Ausstellung „It’s Just a Matter of Time“, die Werke aus der
       Sammlung Deutsche Bank mit ausgewählten Leihgaben aus anderen Sammlungen in
       einen Dialog setzt, erscheint diese Idee auch folgerichtig.
       
       Denn wie der von Felix Gonzales-Torres übernommene Titel schon andeutet,
       wollen die Kuratorinnen des Frankfurter Portikus, Liberty Adrien und Carina
       Bukuts, mit den von ihnen ausgewählten rund 30 Positionen, eine Zeitreise
       von 1946 bis heute unternehmen und dabei auch die Geschichte des Palais
       Populaire berücksichtigen. Erkmens Kuchen erinnert an die Zeit als die im
       18. Jahrhundert erbaute königliche Residenz der Prinzessinnen Charlotte,
       Alexandrine und Luise von Preußen nach dem Zweiten Weltkrieg als Operncafé
       wiedererstand – als ein beliebter Treffpunkt der queeren Community und mit
       der Disco im Keller als Ausflucht im trostlosen DDR-Alltag.
       
       An diese Zeit erinnern auch Manfred Pauls Schwarz-Weiß-Porträt der
       Operncafé-Clubberin Dany von 1984 und Cornelia Schleimes berühmte
       Siebdruckserie „Auf weitere gute Zusammenarbeit“ von 1993, in der sie sich
       über die Infos aus ihrer Stasi Akte lustig macht, die sie in Fotografien
       ironisch visualisiert.
       
       Die 1980er und 90er Jahre waren aber auch im demokratischen Westen eine zum
       Teil wirklich freudlose Zeit. Als Phase der „dritten Generation“ der RAF
       bezeichnet, kamen in dieser Zeit bei Sprengstoffanschlägen und gezielten
       Morden neben dem Siemens-Vorstand Karl-Heinz Beckurts auch 1989 Alfred
       Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank ums Leben. Doch das wird
       in der Ausstellung nicht thematisiert, die 80er und 90er Jahre sind hier
       die Jahre der Aids-Krise, für die die hellblauen transparenten Vorhänge
       stehen, mit denen Felix Gonzales Torres 1991 die Fenster der Andrea Rosen
       Gallery verhängt hat.
       
       Die Aids-Krise wird in der Stuhlreihe des HIV-positiven Pariser Künstlers
       Georges Tony Stoll sichtbar, über deren Lehnen die Jacken und Mäntel der an
       HIV Verstorbenen hängen. Die Aids-Krise die Gonzales-Torres 1992 in Hamburg
       mit der Plakataktion „Untitled (It’s Just a Matter of Time)“ im
       öffentlichen Raum ansprach, ist heute vergessen. Positiv gesehen, weil die
       Krankheit inzwischen medizinisch gut behandelbar ist. Negativ gesehen, weil
       wir eine gesellschaftliche Krise der Debattenkultur erleben, die es oft zu
       riskant erscheinen lässt, an bestimmten Themen zu rühren. Das Kuratorenteam
       meint deshalb, die Plakataktion nicht ohne umfangreiche Vermittlungsarbeit
       wiederholt werden kann und belässt es beim Zitat.
       
       Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir wieder in der Klemme sitzen.
       Ausgerechnet die so heimelig anmutende Installation „For, In Your Tongue, I
       Cannot Fit“ (2017-23) führt uns an diesem Punkt. Shilpa Gupta hat in vier,
       traulich vom sanften Schein der Glühbirnen erleuchtete Holzregale die
       goldenen Abgüsse von Büchern platziert, die sie mit Zitaten aus den Werken
       und den Namen der Autorinnen bzw. der Autoren versehen hat, die allesamt
       von ganz unterschiedlichen Regimen und in ganz unterschiedlichen Ländern
       für ihre Werke sanktioniert, also zensiert, verbannt, inhaftiert und
       hingerichtet wurden. Man denkt natürlich an den unterirdischen Raum auf dem
       Bebelplatz mit seinen leeren Bücherregalen, mit dem der israelische
       Bildhauer Micha Ullman an die Bücherverbrennung der Nazis am 10. Mai 1933
       erinnert.
       
       Der Durchlauf durch die Zeit in der Ausstellung zeigt, dass man zu jedem
       Zeitpunkt Kunstwerk finden kann, die die Zeitgeschichte auf interessante,
       erhellende und auch verstörende Weise berühren, ohne im Zeitbezug
       aufzugehen. Die Arbeiten von Philipppe Parreno, Max Beckmann, Martin
       Kippenberger, Kai Althoff oder Rachel Witeread oder Cildo Meireles, um nur
       einige weitere Positionen zu nennen, bleiben aktuell, bleiben ästhetisch
       anregend und manchmal wird ihre künstlerische Potenz im Zeitbezug
       deutlicher als in der monographischen oder der Themenschau.
       
       ## Seitenverkehrte Außenwelt
       
       Die von verblassenden Blüten oder von Bakterien produzierten überraschenden
       Farben, [2][die hier zuletzt behandelt wurden,] werden jetzt durch das
       unerwartete Spiel mit dem Farbspektrum ergänzt, das Olafur Eliason in
       relativ simplen Installationen aus Scheinwerfern, Folien und
       Polarisationsfiltern erzeugt. „The lure of looking through a polarised
       window of opportunities, or seeing a surprise before it’s reduced, split,
       and then further reduced“ eröffnet am [3][Gallery Weekend]. Es ist seine
       neunte Einzelausstellung bei neugerriemschneider, womit die Zusammenarbeit
       von Künstler und Galerie stolze 30 Jahre beträgt.
       
       Die Verlockung, durch ein polarisiertes Fenster der Möglichkeiten zu
       blicken, bietet sich in der Christinenstraße 18, dem zweiten
       Galeriestandort von neugerriemschneider gleich neben Eliassons Studio. Die
       Installationen und komplexen geometrischen Skulpturen – in meinen Augen in
       ihrem Aufbau schwer begreifliche Gitterbälle – entstanden also in nächster
       Nachbarschaft. Mit Ausnahme des Instrumentariums für „Everything we know
       about knowing and a rough estimate of what we still don’t know that we
       don’t know“ sieht auch alles sehr sympathisch nach Selbstbau aus.
       
       Polarisationsfilter kennt man gewöhnlich aus der Fotografie, wo sie vor das
       Objektiv gesetzt werden, wenn man etwa einen bewölkten Himmel fotografiert.
       Dadurch, dass die Filter nur Lichtwellen einer bestimmten Schwingung
       durchlassen und andere absorbieren, wird der Kontrast zwischen Himmel und
       Wolken verstärkt, also deutlicher. Olafur Eliasson nutzt sie nun, um – wie
       der Titel der Ausstellung schon sagt – überraschende optische Effekte zu
       erzeugen.
       
       Etwa mit dem polarisierten Fenster durch das ein Tageslichtscheinwerfer
       sein Licht wirft, das dann durch zwei nebeneinander hängende
       Polarisationsfilter auf die gegenüberliegende Wand fällt, wo das Fenster
       mit seiner Gitterstruktur je nach Stellung dieser Filter bunt und
       gleichzeitig schwarzweiß zu sehen ist, bevor wieder die leere weiße Wand
       erscheint.
       
       Das Fenster veranlasste Olafur Eliasson beim Presserundgang zu einer
       Überlegung, die sich gegen die Annahme wendet, der Galerieraum sei ein
       Escaperaum und der Galeriebesuch eine Flucht vor den unangenehmen
       Realitäten der Welt. Der Galerieraum – und das macht sich Elisson in seiner
       Ausstellung zunutze – ist immer auch eine Camera obscura und in ihr, so
       sagt er, ist die Welt immer schon anwesend, auch wenn man sie vielleicht
       nicht sieht. Man weiß es, weil die Camera obscura so funktioniert, dass
       Licht durch ein kleines Loch (statt dem großen Schaufenster) an einer Wand
       fällt, wodurch die Außenwelt seitenverkehrt und auf dem Kopf stehend auf
       die gegenüberliegende Wand projiziert wird.
       
       Auf dem Kopf stehend und seitenverkehrt, bunt und schwarz-weiß zugleich,
       genau so muss man die Welt von Zeit zu Zeit sehen, werden wohl die meisten
       Galeriebesucher:innen zustimmen, um wieder zu einem Bild von der
       Welt zu gelangen, das anregend, zukunftsweisend und das lebensnotwendige
       Window of Opportunities ist.
       
       28 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://palaispopulaire.db.com/
   DIR [2] /Die-Kunst-der-Woche/!6076292
   DIR [3] https://www.gallery-weekend-berlin.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Brigitte Werneburg
       
       ## TAGS
       
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