URI: 
       # taz.de -- Kuratorengruppe über Off-Szene in Berlin: „Kultur als nicht kommerzielle Horizonterweiterung“
       
       > Bald ist Sellerie Weekend, organisiert vom Aktionsraum Spoiler. Der hat
       > einen neuen Ort in Berlin. Anlass für ein Gespräch über Kunst und
       > Kulturpolitik.
       
   IMG Bild: Im alten Spoiler: Lena-Marie Emrich „A Total Burnout Performance“, 2019
       
       taz: Spoiler, wie entstand Ihr Aktionsraum Spoiler? 
       
       Spoiler: Wir kennen uns teilweise schon viele Jahre, sind befreundet, teils
       verheiratet. Anfangs trieben nur drei von uns die ursprünglich auf drei
       Monate befristete Zwischennutzung in unserem ersten Raum voran. Als der
       Mietvertrag verlängert wurde, wurden wir ganz natürlich diese sechs. Für
       die zuerst angenommene begrenzte Zeit legten wir für uns Prinzipien fest:
       Niemand darf doppelt ausstellen, nur Gruppenausstellungen, alle dürfen
       ausstellen – bzw. sich bewerben. Die haben wir bis heute behalten. Wir
       hatten nie ein größeres Ziel, außer Kunst möglich zu machen. Bei uns dauern
       die Ausstellungen nur ein Wochenende, es gibt eine enge Taktung, sehr viel
       Programm, kurze Aktionen, um möglichst vielen Akteuren Raum und vor allem
       jungen Künstler:innen die Möglichkeit zu geben, schnell ihre Arbeiten zu
       zeigen. Wir hätten auch sagen können, wir machen eine schicke,
       durchkuratierte Ausstellung, aber haben stattdessen versucht, für alle zu
       öffnen. Dadurch ist auch dieser Nicht-Personen-Kult entstanden, deswegen
       treten wir als Spoiler auf. Wir wollen uns nicht profilieren. Es ging und
       geht um die Sache. Um die Kunst und darum, einen Ort zu schaffen, an dem
       man gerne abhängt.
       
       taz: Wie viele Künstler:innen haben Sie schon ausgestellt? 
       
       Spoiler: Im alten Space hatten wir mehr als 66 Shows und damit über 666
       Künstler:innen in fünf Jahren. Bis heute haben wir nur eine einzige
       Einzelausstellung gemacht, weil wir [1][den Berlin Art Prize mit
       zugewiesenem Programm ausgerichtet] haben. Sonst waren es immer
       Gruppenausstellungen, Performances, unterschiedliche Pop-up-Formate. Nach
       jeder Show gab es mehr Bewerbungen.
       
       taz: Auch Ihr neuer Ort ist in Moabit, passenderweise ein alter Pitstop.
       Sind Sie lokal stark eingebunden? 
       
       Spoiler: Große Teile unseres Publikums generieren sich natürlich aus der
       Nachbarschaft. Wir sind immer offen, aber kein klassisches Kiezprojekt. Ab
       und zu haben wir mit lokalen Galerien oder Kunstinitiativen kooperiert. Und
       der [2][Moabiter Rapper Apsilon ist bei uns aufgetreten]. Moabit kam immer
       eher von allein bei uns vorbei.
       
       taz: Kam auch mal die Politik? 
       
       Spoiler: Joe Chialo war mal angekündigt, weil er wohl nicht wusste, was ein
       Projektraum ist. Weiß er wahrscheinlich bis heute nicht. Seine
       Mitarbeiter:innen im Senat wollten eine Tour mit ihm machen, initiiert
       vom Projektraum Tropez. Die wurde dann aber kurzfristig abgesagt. Lokale
       Politiker:innen kamen auch nie. Aber ein netter Mitarbeiter aus der
       Senatsverwaltung war gerade bei unserer Eröffnung am neuen Standort zu
       Gast.
       
       taz: Wie finanzieren Sie sich? Sind Sie von den Kürzungen des Kulturetats
       betroffen? 
       
       Spoiler: Dass die Förderungen circa halbiert worden sind, kriegt man schon
       mit. Förderungen schließen für uns eher Lücken oder ermöglichen etwas
       Neues, aber wir würden es irgendwie auch ohne schaffen. Wir haben für 2024
       und 2025 erstmalig eine Strukturförderung des Berliner Senats bekommen. Die
       kann nun wegfallen. Ansonsten gab es immer nur projektbasierte Gelder. Und
       anfangs den mittlerweile abgeschafften Projektraumpreis. Die Förderungen
       für die freie Szene werden einfach weniger. Aber Spoiler ist sowieso bis
       heute ein komplettes Plus-minus-null-Ding, das sich größtenteils über
       Spenden deckt. Wir können meistens keine Honorare zahlen und haben uns auch
       selbst jahrelang nichts bezahlt. Spoiler ist nur möglich, weil wir alle
       noch andere Jobs haben. Es ist eine Art Ehrenamt, ein Leidenschaftsprojekt,
       das nicht vorbei ist, nur weil es kein Geld oder keinen Ort mehr gibt. Dann
       muss es anders gehen. Diesen Spirit finden wir nach wie vor wichtig für die
       Kultur. Den müssen wir erhalten. Und das heißt nicht, dass es keine
       Förderung braucht. Insbesondere etablierter arbeitende Institutionen sind
       darauf angewiesen. Die Off-Szene hat schon immer auf Selbstausbeutung
       beruht – und sich dadurch eine ultimative Freiheit bewahrt. Unsere
       wildesten Sachen hätten wir niemals gefördert bekommen.
       
       taz: Was für wilde Sachen? 
       
       Spoiler: Die Künstlerin Lena-Marie Emrich hat im Raum einen Burnout mit
       einem Auto gemacht, also die Reifen durchdrehen lassen, bis sie sich
       auflösen und blauer Nebel den ganzen Raum füllt. Ein Künstler hat den Boden
       mit Frittierfett geflutet. So was halt. Dafür schreibt man keinen
       Förderantrag. Das macht man einfach.
       
       taz: Spoiler ist ja auch ein Aktionsraum. Sehen Sie sich in der Tradition
       der Aktionskunst? 
       
       Spoiler: Zeitgenössisch interpretiert vielleicht. Wir haben den Namen
       gewählt, weil wir es nicht auf „Ausstellungsraum“ reduzieren wollten. Es
       passiert Action. Der Ort ist vorgegeben, sonst nichts. Wir sind eher eine
       Plattform für alles, was da sein kann, als ein klassischer Projektraum.
       
       taz: Nun bilden Sie mit dem Sellerie Weekend noch eine weitere Plattform
       für die gesamte Off-Kunstszene. 
       
       Spoiler: Erst gab es den Wortwitz – und dann haben wir es einfach gemacht:
       Das Off-Programm während des Gallery Weekends gesammelt und es so genannt.
       Im Gegensatz zum Gallery Weekend muss bei uns niemand Geld bezahlen, um
       mitzumachen und es wird nichts ausgewählt. Alle mit einem festen Ort oder
       Konzept und ohne kommerzielle Interessen dürfen mitmachen.
       
       taz: Das klingt eigentlich nach einem Programm, das vom Senat organisiert
       oder unterstützt werden sollte, so wie die Art Week. 
       
       Spoiler: Viele, die in Berlin über Kulturprogramme und Mittelvergabe
       entscheiden, haben keinen Anschluss mehr und sie machen sich auch nicht
       mehr die Mühe, die Szene kennenzulernen. Es hilft, dass wir selbst viel in
       der Szene unterwegs sind, zu Eröffnungen gehen und viel mit Leuten
       sprechen. Die Arbeit, einen Verteiler mit den unzähligen Off-Spaces
       anzulegen, macht sich sonst keiner, sodass wir das dann ehrenamtlich machen
       müssen. Dabei sind wir beim Sellerie Weekend immer selbst überrascht, wie
       viele Projekträume es gibt – in jedem Bezirk.
       
       taz: Hat sich diese Szene in den letzten Jahren verändert? 
       
       Spoiler: Es gibt vielleicht eine Professionalisierung der Räume. Früher
       waren die meisten Initiativen von Künstler:innen angestoßene
       Zwischennutzungen, während es jetzt mehr feste Orte mit einem bestimmten
       Profil gibt. Alleine auf der Leipziger Straße sind ganz verschiedene Räume
       in direkter Nachbarschaft. Die Räume nehmen sich ernster, sie haben
       verstanden, wie wichtig sie sind.
       
       taz: Man munkelt, Berlin wird bald eine:n neue:n Kultursenator:in
       haben. Was wäre Ihr Ratschlag an Chialos Nachfolge? 
       
       Spoiler: Misch dich unter die Leute. Geh auch privat auf Ausstellungen.
       Entbürokratisiert die Förderkonzepte, die zum Teil realitätsfremd sind.
       Wenn sich die Kulturszene diversifizieren soll, dann müssen es auch die
       Strukturen tun. Das einzige Kapital der Stadt ist Kultur. [3][Joe Chialo
       hat das nur als Kampfmittel] genutzt, um eine politisch-konservative Linie
       durchzuziehen. Die Leute kommen nicht nach Berlin wegen der Staatsoper,
       sondern weil sie zufällig in eine Ausstellung reinlaufen können und da
       gerade eine Performance stattfindet. Die Gesellschaft braucht Kultur als
       nicht kommerzielle Horizonterweiterung.
       
       taz: Und wo kann man denn beim kommenden Sellerie Weekend am besten seinen
       Horizont erweitern? 
       
       Spoiler: Am besten selbst auf der Website die Map aufmachen und schauen,
       was einen anspricht oder gerade in der Nähe ist. In der ganzen Stadt ist
       was los. Im Aktionshaus in Neukölln/Britz gibt es am Freitag essbare Kunst
       und danach DJ-Tapes. Bei New Fears in Kreuzberg gibt es auch eine große
       Gruppenausstellung und den ganzen Tag über Performances. Insola Berlin ist
       ein schwimmender Projektraum in der Rummelsburger Bucht, sicher einen Trip
       wert. Aber am besten einfach mal auf gut Glück random irgendwo hingehen, wo
       man noch nie war. Können wir sehr empfehlen. Machen wir auch so.
       
       26 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Finalistinnen-des-Berlin-Art-Prize/!5620697
   DIR [2] /Debuetalbum-von-Apsilon/!6041656
   DIR [3] /Berlins-CDU-Kultursenator-Joe-Chialo/!6071205
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hilka Dirks
       
       ## TAGS
       
   DIR Kunst Berlin
   DIR Projekträume Berlin
   DIR Kulturförderung
   DIR Freie Szene
   DIR Kunst im öffentlichen Raum
   DIR Berlin Ausstellung
   DIR Christoph Schlingensief
   DIR Ausgehen und Rumstehen
   DIR Moderne Kunst
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Gosia Lehmanns Schau über Kunst und Geld: Immer auf Kurs bleiben
       
       Im Berliner Projektraum Neun Kelche führt die Künstlerin Gosia Lehmann
       durch ein Labyrinth der Finanzen. Von Wert ist hier nicht immer das
       Original.
       
   DIR Installation von Christoph Schlingensief: Den Nerv treffen
       
       Die Videoinstallation „Deutschland versenken“ von Christoph Schlingensief
       ist nun in der Neuen Nationalgalerie in Berlin dauerhaft zu sehen.
       
   DIR Gallery Weekend Berlin: Ein Versprechen auf eine Zukunft ohne Chef
       
       In den Schaufenstern des KaDeWes steht seit dem Wochenende Kunst. Der
       Besuch der Eröffnung hinterlässt bei unserer Autorin unentschlossene
       Gefühle.
       
   DIR Frank-Auerbach-Ausstellung in Berlin: Wie innere Landschaften
       
       Mit Porträts wurde Frank Auerbach weltberühmt. Zum Gallery Weekend eröffnet
       die Galerie Michael Werner die erste Auerbach-Ausstellung in Berlin.