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       # taz.de -- Lahav Shapira zu antisemitischem Angriff: „Ich hätte sterben können“
       
       > 2024 wurde der jüdische Student Lahav Shapira brutal verprügelt. Ein
       > Gericht hat die Tat als antisemitisch verurteilt. Doch einige Wunden
       > bleiben.
       
   IMG Bild: Lahav Shapira beim Prozess im Kriminalgericht Berlin-Moabit mit seinem Rechtsanwalt Sebastian Scharmer (rechts)
       
       taz: Herr Shapira, am Donnerstag ist [1][das Urteil gefallen]: Drei Jahre
       hat der Täter Mustafa A. bekommen, ein Kommilitone von Ihnen an der Freien
       Universität Berlin, der Sie im Februar 2024 aus einem [2][antisemitischen
       Motiv] heraus brutal zusammenschlug. Sind Sie mit diesem [3][Urteil]
       zufrieden? 
       
       Lahav Shapira: Wenn man bedenkt, dass jemand versucht hat, jemanden
       umzubringen, dann ist das schwer zu sagen. Das Wichtigste war mir, dass das
       antisemitische Motiv anerkannt wird und dass es eben nicht zu einer
       Täter-Opfer-Umkehr kommt. Insofern bin ich zufrieden. Aber wir wissen noch
       nicht, ob Mustafa A. in Berufung gehen wird.
       
       taz: Drei Jahre Haft – das sind acht Monate mehr, als die
       Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Hat Sie das überrascht? 
       
       Shapira: Eigentlich nicht, eher die geringeren Anforderungen der
       Staatsanwaltschaft. Theoretisch wären bis zu vier Jahren möglich gewesen.
       Aber die Höhe der Strafe ist mir eine Genugtuung.
       
       taz: Manche Prozessbeobachter empfanden die Staatsanwaltschaft als zu
       schwach, auch ihr Plädoyer. Wie sehen Sie das? 
       
       Shapira: Das sehe ich persönlich nicht so. Ich finde, dass alles Passende
       gesagt wurde. Die Staatsanwaltschaft betonte das antisemitische Tatmotiv
       von Anfang an. Ich bin froh, dass die Vorgeschichte berücksichtigt wurde.
       
       taz: Im Gerichtssaal waren Sie wieder mit dem Täter konfrontiert. Wie war
       das für Sie? 
       
       Shapira: Was mich gestört hat, war, dass er teilweise gegrinst hat, als er
       sich zum Schluss entschuldigte. Da war keine Ernsthaftigkeit, obwohl der
       Richter ihm sogar eine Tüte mit den Schrauben und Metallplatten zeigte, die
       nach der OP aus meinem Gesicht entfernt werden mussten. Aber vor allem der
       Verteidiger von Mustafa A. war eine Zumutung.
       
       taz: Mustafa A. wurde von [4][Ehssan Khazaeli] vertreten, einem Anwalt, der
       Verbindungen in die rechtsextreme Szene hat, wie die taz berichtete. 
       
       Shapira: Man fragt sich schon, wie der Alltag eines gebürtigen Iraners im
       Nazi-Milieu aussieht. Aber das ist nichts Überraschendes: Mein Opa wurde
       beim Olympia-Attentat 1972 von palästinensischen Terroristen ermordet, die
       ihre Waffen auch von Nazigruppen in Deutschland hatten. Hass verbindet.
       
       taz: Wie haben Sie den Verteidiger Khazaeli erlebt? 
       
       Shapira: Er wollte Druck aufbauen, auch medial. Ich fand seine Art arrogant
       und aggressiv. Aber im Endeffekt hat seine Verteidigungsstrategie uns sogar
       geholfen. Das hat der Richter auch gesagt. Mehr als ein Jahr habe ich auf
       ein Urteil, auf Gerechtigkeit gewartet. Und das Erste, was im Gerichtssaal
       passiert, ist, dass der Verteidiger mir einen Umschlag mit 5.500 Euro bar
       als Vergleich anbietet.
       
       taz: Im Ernst? 
       
       Shapira: Zunächst wurde mir 5.000 Euro angeboten, dann haben sie die Summe
       um 500 Euro erhöht. Vielleicht dachte er, dass man Juden halt so überzeugt
       – mit einem Umschlag voller Geld. Das war nichts anderes als eine Taktik:
       Wenn der Täter dem Opfer eine Entschädigung anbietet, kann das
       strafmildernd wirken. Wir haben gefordert, dass sein Mandant Antisemitismus
       als Motiv anerkennt, was er nicht machen wollte.
       
       taz: Warum war der Angriff aus Ihrer Sicht antisemitisch motiviert? 
       
       Shapira: Antisemitismus ist nicht nur dieses Nazi-Zeug mit der
       „Judenrasse“. Es gibt verschiedene Formen. Der israelbezogene ist einer von
       ihnen. Mustafa A. hat sich daran gestört, dass ich antisemitische Plakate
       an der Freien Universität abgerissen habe. Auf seinem Handy wurde ein Video
       aus der Tatnacht gefunden, mit dem Text „Musti hat diesen Judenhurensohn
       totgeschlagen“.
       
       taz: Auch ein Gruppenchat für Lehramtsstudierende an der FU, in der Mustafa
       A. auch Mitglied war, war Gegenstand des Prozesses. 
       
       Shapira: Darin sieht man eine bunte Mischung: von „Juden beherrschen die
       Welt“ und es gebe zu viele Juden an der Uni bis hin zu der Behauptung, ich
       persönlich würde Whatsapp kontrollieren. Studierende haben eine Montage von
       mir mit Hörnern gemacht. Sie schrieben, ich fände es gut, dass Kinder
       sterben – und Babys insbesondere. Das LKA hat übrigens diese Chatverläufe
       nicht ans Gericht übermittelt, sie hätten keine Zeit gehabt, sie
       auszuwerten, hieß es. Am Ende haben wir sie als Beweismittel eingereicht.
       Als die Nachrichten im Gericht vorgelesen wurden, hat der Richter gefragt,
       ob das ernsthaft angehende Lehramtsstudierende sind, die andere so
       angreifen.
       
       taz: In den Wochen vor dem Angriff gab es eine regelrechte Hasskampagne
       gegen Sie. Sie seien ein rechter Zionist, ein Provokateur. Können Sie das
       nachvollziehen? 
       
       Shapira: Nein, ich persönlich habe nie Werbung für Netanjahu gemacht, ich
       bin kein Patriot. Das Einzige, wogegen ich mich eingesetzt habe, sind
       Gewaltaufrufe gegen Israelis und Juden sowie diese ganze Intifada-Rhetorik,
       die fordert, Israel auszulöschen. Es ging nie darum, dass man Israel nicht
       kritisieren darf. Doch das wird von diesen Aktivisten als störend
       empfunden. Das nutzen sie aus, um Leute als Rassisten oder Aggressoren
       abzustempeln. Man gilt als provokant, weil man sich gegen Antisemitismus
       ausspricht. Und schnell machten Videos und Fotos von mir die Runde. Auch
       das linke Medienportal „Red“ fertigte Clips an, die viral gingen.
       
       taz: Provokant seien Sie vor allem, weil Sie Plakate heruntergerissen
       haben. 
       
       Shapira: Ich habe extra darauf geachtet, dass ich nur Plakate mit
       antisemitischen Aussagen niedergerissen habe – unter anderem von der
       Organisation Young Struggle, die den 7. Oktober als Gefängnisausbruch
       feiert. Da war unter anderem vom israelischem „Landraub“ die Rede. Plakate
       mit rassistischen Zitaten von Ben-Gvir (Anm. d. Red.: der rechtsradikale
       Sicherheitsminister Israels) habe ich nicht abgemacht.
       
       taz: Würden Sie das heute noch mal tun? 
       
       Shapira: Wenn das antisemitische Plakate sind, ja. Auch das Gericht fand
       das in Ordnung.
       
       taz: Selbst nach dem Angriff auf Sie schrieb auf Instagram Udi Raz,
       Vorstandsmitglied der antiisraelischen Aktivistengruppe „Jüdische Stimme“
       und Doktorandin an der FU, Sie seien ein „notorisch rassistischer Jude“, in
       dem eine „satanische Seele“ lebe. Wie gehen Sie mit solchen Vorwürfen um? 
       
       Shapira: Udi Raz und diese Organisation sind nichts mehr als ein
       Feigenblatt. Sie verbreiten Propaganda. Man kann sie nicht wirklich ernst
       nehmen. Der einzige Weg, mit denen umzugehen, ist mit Strafanzeigen. Und
       genau das habe ich bereits gemacht.
       
       taz: Sie betreten nur noch mit Personenschützer den Campus. Fühlen Sie sich
       von der Leitung der Freien Universität unterstützt? 
       
       Shapira: Nein. Die Uni-Leitung unternimmt fast gar nichts, deshalb klagen
       wir sie an. Ihre Aussage ist, dass man nicht überall Sicherheitsleute
       hinstellen kann. Ich weiß nicht, warum das das Einzige ist, was ihnen
       einfällt, um jüdische Studierende zu schützen. Was besser geworden ist,
       ist, dass Plakate und Schmierereien inzwischen schneller entfernt werden.
       Aber ansonsten müssen wir immer die Uni darauf hinweisen, wenn Hetze wieder
       stattfindet oder solche Veranstaltungen geplant sind.
       
       taz: Im Oktober wurde die FU besetzt, schon wieder: Aktivist*innen
       trugen Äxte, Sägen und Brechstangen mit sich und bedrohten
       Uni-Mitarbeiter*innen. Vergangene Woche wurde wieder die
       Humboldt-Universität besetzt: Ein historischer Hörsaal wurde mit roten
       Dreiecken und Intifada-Parolen besprüht und verwüstet. Es gibt Schaden im
       Wert von bis zu 100.000 Euro. Haben Sie das Gefühl, mit solchen
       Aktivist*innen ist man bislang zu nachsichtig umgegangen? 
       
       Shapira: Definitiv. Was mich stört: Solche Aktionen werden von den
       Aktivist*innen immer als so harmonisch dargestellt, obwohl sie den
       Zugang zu Unigebäuden versperren und Menschen beleidigen und bedrohen. Und
       auf der anderen Seite gebe es nur unverhältnismäßige Repression in einem
       vermeintlichen Polizeistaat. Manche Dozent*innen und Professor*innen
       – und zum Glück sind es wenige – solidarisieren sich sogar mit diesen
       Aktivist*innen.
       
       taz: Vier Personen – aus Irland, aus den USA und aus Polen – sollen nach
       der FU-Besetzung nun des Landes ausgewiesen werden. Das wurden von vielen
       als zu hart und auch rechtlich problematisch kritisiert, weil sie noch
       nicht verurteilt worden sind. Wie sehen Sie das? 
       
       Shapira: Ich bin gegen Abschiebung und finde, dass erstmal ermittelt werden
       soll. Und gegebenenfalls sollen dann verurteilte Täter hier in Deutschland
       bestraft werden. Gleichzeitig soll man nicht so tun, als wären Personen,
       die eigentlich nur Menschen bedrohen, irgendwie Kämpfer für die
       Meinungsfreiheit.
       
       taz: 14 Monate nach dem Angriff gegen Sie ist der Prozess nun endlich
       vorbei. Wie hat sich Ihr Leben seitdem verändert? 
       
       Shapira: Ich hätte sterben können. Und ich bin immer noch mit Arztterminen
       beschäftigt. Die Metallplatten wurden aus meinem Gesicht inzwischen
       entfernt, aber meine linke Wange ist immer noch ein bisschen angeschwollen.
       Es kann sein, dass sich wegen der OP Narben unter der Haut gebildet haben.
       Ich wollte eigentlich nur mein Studium bewältigen, der Angriff belastet
       mich aber bis heute sehr. Zum Glück habe ich viele liebe Menschen um mich
       herum, auch meine Partnerin, die ich in der Zwischenzeit kennenlernte.
       Jetzt will ich einfach meine Bachelorarbeit anmelden, die ich nachholen
       muss.
       
       23 Apr 2025
       
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