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       # taz.de -- Russische Eliten: Putins Schwachstelle
       
       > Die größte Gefahr für das Moskauer Regime sind Eliten, deren
       > Unzufriedenheit wächst. Und Europa? Muss ihnen eine Exitstrategie
       > anbieten.
       
   IMG Bild: Wladimir Putin mit dem Sultan von Oman und russischen Eliten am 22.April
       
       Die Chancen, dass Putins Regime durch einen Volksaufstand oder durch die
       Exilopposition gestürzt wird, sind äußerst gering. Wenn überhaupt, werden
       Veränderungen in Russland von den Eliten ausgehen: der zivilen Bürokratie,
       Teilen des Militärs und möglicherweise wohlhabenden Unternehmer*innen
       – auch wenn diese Gruppe seit Jahrzehnten von Putin entmachtet wurde. Die
       öffentlichen Positionen der Eliten schwanken zwischen angeblich
       begeisterter [1][Unterstützung des Krieges] und einem zurückhaltenden
       Versuch, [2][das Thema zu vermeiden]. Es gibt jedoch Gründe zu vermuten,
       dass zumindest Teile der einflussreichen Kreise mit der aktuellen Lage
       unzufrieden sind.
       
       Erstens: Da der Arbeitskräftemangel [3][die russische Wirtschaft] zunehmend
       in die Stagnation treibt, müssen die Eliten, die bisher von der Bonanza der
       Kriegswirtschaft profitiert haben, in den kommenden Jahren mit deutlich
       geringeren Gewinnmöglichkeiten und harten Umverteilungskämpfen rechnen.
       Zweitens: Putin hat in den letzten drei Jahren seinen größten Vorteil
       gegenüber den Eliten verspielt – die Vorhersehbarkeit und Stabilität des
       Regimes. Drittens: In Russland beginnt ein schleichender Prozess der
       Herausbildung neuer Eliten – der Veteranen des Krieges, die im Rahmen
       spezieller Programme gefördert werden. Zurzeit stellen diese neuen Akteure
       noch keine Herausforderung für die etablierten Eliten dar, aber das kann
       sich ändern.
       
       [4][Die Unzufriedenheit] der wirtschaftlichen und politischen Spitzen führt
       nur in äußerst seltenen Fällen zu einem Staatsstreich. Das bedeutet jedoch
       nicht, dass diese keinen Einfluss nehmen können. Auch wenn Putin kritische
       Entscheidungen aus seiner Sicht allein und ohne Beratung trifft – wie zu
       Beginn des Krieges –, kann er die Positionen der Eliten nicht vollständig
       ignorieren und passt seine Strategie zumindest teilweise an deren
       Erwartungen an. Außerdem könnten die Eliten passiven Widerstand leisten –
       wodurch die Initiativen des Regimes im bürokratischen Sumpf versinken
       würden. Und sollte das Regime externen Schocks ausgesetzt sein – im
       Extremfall Putins Tod –, werden die Eliten (und nicht die Exilopposition)
       eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung eines neuen Russlands spielen.
       
       Für die Eliten ist nicht nur die Unzufriedenheit mit der aktuellen Lage
       entscheidend, sondern auch das Vorhandensein realistischer Alternativen.
       Gerade die wahrgenommene Alternativlosigkeit ist ein zentraler Faktor, der
       ihre Loyalität gegenüber [5][Putin] zementiert. Etwas vereinfacht: Die
       Eliten gehen davon aus, dass eine Wiederherstellung der Beziehungen zum
       Westen unter für sie akzeptablen Bedingungen absolut unmöglich ist.
       
       ## Skeptisch, ob Sanktionen gelockert werden
       
       Unternehmer*innen sehen keine Chance auf eine Lockerung der
       Sanktionen; Bürokrat*innen glauben, dass der Westen zu keinerlei
       Kompromissen in den Beziehungen mit Russland bereit ist. Ob die jüngsten
       Aktionen von Donald Trump diese Wahrnehmung signifikant verändert haben,
       ist fraglich – denn niemand weiß, wer in vier Jahren ins Weiße Haus
       einziehen wird oder wie sich Trumps eigene Position entwickeln könnte.
       
       Wenn die EU Veränderungen in Russland anstrebt, muss sie den Eliten
       realistische individuelle und kollektive Exitoptionen anbieten.
       Individuelle Exitoptionen erfordern klare Regeln, unter welchen Bedingungen
       Elitenmitglieder von westlichen Sanktionen befreit werden können – und
       dabei geht es nicht zwingend um einen lebensgefährlichen offenen Widerstand
       gegen das Regime.
       
       Diese Optionen sind insbesondere für Unternehmer*innen wichtig, aber
       auch für Bürokrat*innen, die versuchen, sich vom System zu lösen. Die
       Aufhebung von Sanktionen könnte etwa an hohe Sonderzahlungen (für
       Unternehmer*innen) oder an einen klaren Rückzug aus Politik und Verwaltung
       (für Bürokrat*innen) gekoppelt sein.
       
       Noch wichtiger sind kollektive Exitoptionen: klare Signale, dass die EU und
       der Westen nicht alle Eliten gleichermaßen für Putins Verbrechen
       verantwortlich machen und im Falle politischer Veränderungen in Russland
       durchaus zu einem Dialog bereit sind. Eine mögliche Post-Putin-Regierung,
       die eine Verbesserung der Beziehungen zum Westen anstrebt, wäre sehr
       wahrscheinlich schwach und auf Kompromisse zwischen verschiedenen
       Elitengruppen angewiesen.
       
       ## Exitoptionen für russische Eliten
       
       In solchen Situationen könnte es für den Westen verlockend sein,
       Maximalforderungen als Voraussetzung für die Aufhebung der Sanktionen und
       die Aufnahme von Gesprächen zu stellen. Die konservativeren Gruppen
       innerhalb der Eliten würden solche Forderungen jedoch sicherlich ablehnen –
       was für die liberaleren Gruppierungen bedeutet, dass es keinen Sinn ergibt,
       überhaupt Kontakt zum Westen zu suchen. Der Westen sollte daher klar und
       glaubwürdig machen, dass es ihm nicht zwingend um Maximalforderungen geht.
       
       Dass den russischen Eliten Exitoptionen angeboten werden sollten, wird seit
       drei Jahren diskutiert. Das Problem ist jedoch nicht nur, dass solche
       Optionen bislang ausblieben. Sobald man merkt, dass Putins Regime ins
       Wanken gerät – etwa wegen wirtschaftlicher Probleme oder militärischer
       Rückschläge –, setzt man auf maximalen Druck und Kompromisslosigkeit. Gilt
       das Regime hingegen als stabil, beginnt man, über Alternativen im Umgang
       mit Moskau nachzudenken. So entsteht ein Teufelskreis. In den Phasen der
       Stärke des Regimes sind die Eliten besonders vorsichtig oder sehen
       keinerlei Anreiz, sich vom Regime zu distanzieren. Wenn jedoch Anzeichen
       von Instabilität auftreten, sind sie potenziell zum Handeln bereit, treffen
       dann aber auf eine harte Haltung des Westens.
       
       Wer auf Veränderungen in Russland hofft, muss diesen Teufelskreis
       durchbrechen. Das bedeutet: Gerade dann, wenn sich das Regime in
       Schwierigkeiten befindet, sollte der Westen Offenheit signalisieren. Das
       [6][abflachende Wirtschaftswachstum] könnte schon bald eine Gelegenheit
       bieten, den Eliten zu zeigen, dass es durchaus Alternativen zu Putin und
       seinem Kurs gibt.
       
       25 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
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