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       # taz.de -- Klimakläger über Prozess in Frankreich: „Wir beginnen ein neues Kapitel in der Klimadebatte“
       
       > In Frankreich verklagen Opfer von Klimafolgen die Regierung. Jérémie
       > Suissa von der Umweltorganisation Notre Affaire à Tous über die Bedeutung
       > dieses Prozesses.
       
   IMG Bild: Ein Auto wurde von der Gewalt der Gyronde-Strömung mitgerissen, Hautes-Alpes
       
       In Frankreich klagt ein Bündnis aus Nicht-Regierungsorganisationen und
       Bürger*innen gegen den Klimaanpassungsplan der Regierung. Neben
       Greenpeace und Oxfam wird das Bündnis auch von der französischen
       Umweltorganisation Notre Affaire à Tous angeführt. Die ist auf Klimaklagen
       spezialisiert und hat seit 2015 zahlreiche Prozesse gegen die französische
       Regierung geführt und gewonnen. Jérémie Suissa, Geschäftsführer von Notre
       Affaire à Tous, schaut optimistisch auf den neuen Prozess und sieht darin
       eine bedeutsame Entwicklung in der Klimadebatte. 
       
       taz: Ihre Organisation hat schon einige Klimaprozesse gegen die
       französische Regierung bestritten. Was ist besonders an dieser neuen Klage? 
       
       Jérémie Suissa: Bei den Verfahren in der Vergangenheit ging es bisher immer
       darum, die Regierungen zu zwingen, entschiedener gegen den Klimawandel
       vorzugehen – ihn also einzudämmen. In dieser neuen Klage geht es nun darum,
       wie wir uns an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen und uns vor ihnen
       schützen können. Es ist der erste Prozess dieser Art in Europa. Ich glaube,
       dass wir damit ein neues Kapitel der Klimadebatte beginnen und eine neue
       Entwicklung anstoßen könnten.
       
       taz: Was macht die Regierung Ihrer Ansicht nach falsch? 
       
       Suissa: Auf dem französischen Festland und in den Überseegebieten bekommen
       wir [1][immer stärker die Folgen des Klimawandels zu spüren]. Das reicht
       von Hitzewellen über Überschwemmungen zu Ernteausfällen. Etwa 10 Millionen
       Haushalte sind von der Gefahr betroffen, dass durch die stärkere Witterung
       große Risse im Mauerwerk entstehen. Die Folgen des Klimawandels treffen
       dabei besonders die Arbeiterklasse sowie Menschen mit körperlichen
       Einschränkungen.
       
       Die französische Regierung hat im vergangenen Monat einen Plan vorgestellt,
       wie sie die Bevölkerung vor diesen Folgen schützen möchte. Darin erkennt
       sie zwar grundsätzlich an, welche Bereiche angegangen werden müssen, es
       fehlt aber gleichzeitig der politische Wille, einen effektiven Schutz
       umzusetzen.
       
       taz: Inwiefern? 
       
       Suissa: Man kann das gut an den Finanzierungslücken erkennen. Es fehlen
       fast überall Mittel, um die Vorhaben zum [2][Schutz betroffenerer Gruppen]
       umzusetzen. Von den 310 Maßnahmen, die der Plan angehen will, ist nur für
       48 geklärt, wie diese finanziert werden sollen – etwa dafür, wie die
       Bodenverdichtung in den Städten reduziert werden kann. Das ist keine
       seriöse Politik, so kann man keine Probleme lösen.
       
       taz: Welche Folgen hätte es, wenn sie die Klage gewinnen? 
       
       Suissa: Zunächst einmal hat die Regierung nun zwei Monate Zeit, um auf
       unsere Kritik zu reagieren und ihren Plan anzupassen. Wenn man die
       Regierung verklagt, dann gibt es immer einen Zeitraum, in dem sie noch auf
       die Forderungen eingehen kann.
       
       Tut sie das nicht, beginnt danach der Prozess vor dem höchsten
       französischen Gericht, dem Conseil d'État. Dort wird anschließend
       vermutlich für etwa zwei Jahre verhandelt. Wir sind optimistisch, dass wir
       mit unserer Klage gute Chancen haben zu gewinnen. Wir haben dem Gericht 160
       Seiten guter Argumente vorgelegt.
       
       Die Richter*innen sind sich der Dringlichkeit des Klimawandels bewusst.
       2021 konnten wir schon [3][wichtige Prozesse gegen den französischen Staat
       gewinnen]. Damals hat das Gericht dessen mangelhafte Bemühungen in der
       Reduzierung von Treibhausgasen als rechtswidrig beurteilt.
       
       Sollten wir dieses Mal auch gewinnen, ist die wahrscheinlichste Konsequenz,
       dass das Gericht die Regierung auffordern wird, den Anpassungsplan zu
       überarbeiten. Diese muss dann auf unsere Kritik eingehen und einen
       ambitionierteren Plan verabschieden. Das ist unser Ziel.
       
       taz: Auf welche Gesetze stützen Sie sich in dem neuen Prozess? 
       
       Suissa: Zum einen benutzen wir die nationale Rechtslage. Es gibt in
       Frankreich die sogenannte [4][charte de l'environnement] (Umweltcharta).
       Diese hat verfassungsähnlichen Status und sichert allen Bürger*innen das
       Recht zu, in einer intakten Umwelt zu leben, sowie die Verantwortung, diese
       zu schützen.
       
       Zum anderen benutzen wir aber auch internationale Rechtsprechung in diesem
       Fall. Das sogenannte europäische Klimagesetz etwa verpflichtet die
       Mitgliedstaaten, nationale Anpassungspläne zu entwickeln und umzusetzen.
       
       Vor allem aber beziehen wir uns auf ein Urteil des Europäischen
       Gerichtshofs für Menschenrechte vom vergangenen Jahr. Dieser hatte einer
       Gruppe Schweizer Senior*innen Recht gegeben, [5][die ihre Regierung
       verklagt hatten], weil diese nicht genug gegen den Klimawandel tue. In der
       Klage ging es um die Reduzierung des Klimawandels. Wir hoffen dieses Urteil
       nun als Präzedenzfall nutzen und auf die Anpassung an den Klimawandel
       übertragen zu können.
       
       taz: Könnten solche Klagen dann auch in anderen europäischen Ländern
       stattfinden?
       
       Suissa: Ja, das glaube ich schon. Auf der Grundlage des Urteils des
       Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte könnten auch die Regierungen
       vieler anderer Länder verklagt werden. Ich glaube, dass wir in Europa noch
       viele Prozesse dieser Art sehen werden. Darin könnte ein wirksames Mittel
       liegen, um die Bevölkerung vor den Folgen des Klimawandels zu schützen.
       Auch wenn das effektivste Mittel nach wie vor die Reduktion von Emissionen
       bleibt.
       
       11 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Physiker-ueber-Temperaturen-in-der-Arktis/!6079629
   DIR [2] /Anpassung-an-den-Klimawandel/!6071224
   DIR [3] /Pariser-Gericht-ruegt-Klimapolitik/!5749144
   DIR [4] https://www.legifrance.gouv.fr/contenu/menu/droit-national-en-vigueur/constitution/charte-de-l-environnement
   DIR [5] /Klima-Urteil-des-EGMR/!6001342
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Henning Giesen
       
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