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       # taz.de -- Blackout ohne Folgen?: Mehr Alarm geht nicht
       
       > Spätestens nach dem Blackout im Süden Europas sollte Katastrophenhilfe
       > kein Orchideenthema mehr sein. Deutschland setzt aber bisher auf
       > Volksfeste.
       
   IMG Bild: Was tun, wenn der Vorhang fällt? Ladenbesitzerinnen vor ihrem Geschäft in Barcelona, am 28. April 2025
       
       Es ist einer dieser Sommersamstage zwischen Endspurt im Bundestag und kurz
       vor den Sommerferien. Die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser
       richtet an diesem 24. Juni [1][2023 den ersten Bevölkerungsschutztag in
       Deutschland] aus, in Potsdam. Es werden schmissige Reden über den Schutz
       von Ersthelfer:innen geschwungen. Die Kinder dürfen in den
       Rettungshubschrauber steigen. Die Bundeswehr verteilt Kugelschreiber und
       Schlüsselanhänger. Minen in den unterschiedlichsten Formen und Formaten
       sind zu besichtigen – Brandenburg ist schließlich das Bundesland, in dem
       die meisten Minen in der Erde verscharrt sein sollen. Bevölkerungsschutz
       als Spaßevent.
       
       Schließlich will sich ja kaum einer in seiner Freizeit auch noch mit Krisen
       und Katastrophen beschäftigen. Bei Bratwurst und Bier vielleicht aber
       schon. Und so gibt es das Notfall-Pack vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz
       und Katastrophenhilfe (BBK) zu begutachten, samt Quiz. Pflaster in schönen
       Verpackungen zum Mitnehmen, den Vortrag für die solarbetriebene Powerbank.
       
       Der Anlass ist weniger spaßig. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine
       tobt schon mehr als ein Jahr. Der Begriff hybride Kriegsführung ist noch
       was für Feinschmecker der Apokalypse. Das Hochwasser im Ahrtal 2021 hat
       unschöne Bilder in Öffentlichkeit und Politik gebrannt. Es schleicht sich
       zunehmend das ungute Gefühl ein: Die deutsche Bevölkerung ist für den
       Katastrophen-Ernstfall nicht gerüstet – und es gibt wenig Bewusstsein für
       Notfallvorsorge, für das Ehrenamt bei Feuerwehr und Rettungsdiensten,
       dafür, dass Strom, Wasserzufuhr, Verkehrswesen nicht selbstverständlich
       problemlos funktionieren. Und die Menschen sich höchstens über die
       verspätete Bahn aufregen.
       
       Faeser geht also in die Offensive in ihrer Amtszeit, rüstet die zuständige
       Behörde – das BBK – auf. Sie beruft neue Gremien ein, die sich möglicher
       Cyberangriffe annehmen sollen. Es sind undankbare Themen. Für Prävention
       gibt es meistens weniger Budget und überhaupt – was soll schon passieren?
       Auch für den [2][Warntag, der jährlich die Bevölkerung für den
       Katastrophenalarm sensibilisieren soll,] gibt es nur Augenrollen und ein
       müdes Lächeln.
       
       ## Genaue Ursache unklar
       
       In der vergangenen Woche nun musste Europa mit Schrecken erleben, dass ganz
       unerwartet nichts mehr geht: [3][Ein Blackout in Spanien], Portugal, sowie
       in Teilen Frankreichs lässt Züge stillstehen, Flugzeuge heben nicht ab. Die
       Netzverbindung fällt aus. Es bleibt dunkel in etlichen Wohnungen. Die
       kritische Infrastruktur der Länder – Stromversorgung ist ein zentrales
       Element – ist ausgeknockt.
       
       Über die genaue Ursache wird nach wie vor spekuliert. Ein merkwürdiges
       Wetterphänomen soll verantwortlich sein, ein ungutes Zusammenspiel
       verschiedener Energiequellen. Sabotage wird zwar geprüft, aber doch
       ausgeschlossen. Was der Katastrophenfall im Süden Europas aber zeigt:
       Lebenswichtige Versorgung ist angreifbar und zerbrechlicher als vermutet.
       
       Das ist kein Grund, sich in eine dystopische Lähmung zu ergeben. Sondern
       sich dem Phänomen der Prävention zu widmen. Das gilt nicht nur für die
       Bevölkerung, sondern auch für die neue schwarz-rote Bundesregierung. Die
       Ampel hatte bereits ein sogenanntes Kritis-Dachgesetz im Kabinett
       verabschiedet. Zugegeben, [4][Kritis-Dachgesetz] klingt alles andere als
       heiß. Heiß könnte das Wortungetüm aber werden, wenn es zu einem Ausfall bei
       Betreibern kommt, die Teil der kritischen Infrastruktur sind.
       
       Als Richtwert sind das alle Unternehmen, die bei einer Störung rund eine
       halbe Million Menschen im Mitleidenschaft ziehen. Im Kern sieht das Gesetz
       vor, dass Unternehmen sich Meldeketten und Pläne überlegen, dass sie
       Werkshöfe zum Beispiel mit Zäunen schützen, dass für den Fall der Fälle im
       Betrieb nicht Ratlosigkeit herrscht, sondern Tempo, um Stromversorgung,
       Abwasser, Transportwesen, Netze und Kommunikationskanäle fix wieder zum
       Laufen zu bringen. Und die unterschiedlichsten Behörden sollen endlich
       zusammenarbeiten und sich nicht im Zuständigkeitshickhack verlieren.
       
       Faeser und Sicherheitspolitiker:innen der Grünen drängelten über
       Monate, Firmen und Verbände jammerten über den hohen bürokratischen
       Aufwand, über das ineffiziente Gesetz, das sowieso nichts bringen würde.
       Und so kam es, dass die für die Zustimmung im Bundestag benötigten Stimmen
       aus der Union nicht zustande kamen. Interessant ist, dass es dieselben
       Politiker:innen der CDU waren, die scharfe Kritik übten am
       Kritis-Gesetz und im selben Atemzug die Ampel rügten, nichts gegen
       Sabotageakte an Unterseekabeln zu tun, gegen Drohnen, die über
       Bundeswehreinrichtungen schwebten – oder Klimaaktivist:innen, die auf den
       Flughafen marschierten.
       
       Wann das Gesetz im Bundestag zur Abstimmung steht, ist unklar. Man müsse
       sich erst mal sortieren, heißt es. Mehr Alarm als einen flächendeckenden
       Stromausfall in Europa kann es kaum geben. Immerhin steht das nächste
       Volksfest für Bevölkerungsschutz – am 12. Juli in Rostock.
       
       2 May 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tanja Tricarico
       
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