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       # taz.de -- Geflüchtete Jesid:innen: Abgeschoben in das Land des Genozids
       
       > Saber Elias hat einen Völkermord überlebt und tat alles, um sich in
       > Gütersloh zu integrieren. Trotzdem schoben die Behörden den Jesiden ab.
       
   IMG Bild: Das Flüchtlingslager von Scharya entstand für Jesiden, die dem IS entkommen mussten
       
       Scharya und Sindschar taz | Wenige Tage vor Weihnachten betrat Saber Elias
       zum letzten Mal das Rathaus in Gütersloh. Der Termin bei der
       Ausländerbehörde endete in Handschellen. Das Amt hatte den 27-jährigen
       gebürtigen Iraker für den Nachmittag einbestellt. Er sollte wegen seines
       Antrags auf eine Ausbildungsduldung vorsprechen. An diesem Mittwoch im
       Dezember 2024 kam er gerade aus der Berufsschule, die er als Teil seiner
       Gastronomie-Ausbildung besuchte. Elias wollte in Deutschland bleiben.
       
       Doch statt seines Sachbearbeiters warteten im Rathaus vier Beamte vom
       Ordnungsamt auf Saber Elias. Sie fixierten seine Hände, sagt er, nahmen ihm
       sein Handy ab und fuhren ihn zum Flughafen Düsseldorf. Von dort aus wurde
       er am nächsten Morgen abgeschoben. Flug FH 996, Ziel: Bagdad, Irak. Von
       einem Tag auf den anderen war Elias’ Leben in Deutschland vorbei.
       „Normalerweise geht so was nicht in Deutschland“, sagt Saber Elias. „Aber
       das haben sie mit mir gemacht.“
       
       Wenige Wochen später sitzt Elias auf dem Boden eines Zeltes im
       Flüchtlingslager Scharya in der Autonomen Region Irakisch-Kurdistan.
       Nachdem er fast vier Jahre in Deutschland verbracht hat, lebt er nach
       seiner Abschiebung jetzt wieder hier bei seiner Familie. Das Zelt ist von
       innen mit einem blau-grauen Teppich mit Rosenmotiven ausgeschlagen, durch
       den die Sonne scheint, ein Heizstrahler sorgt für Wärme. „Ich hatte keine
       Probleme mit der Polizei“, sagt Elias über seine Zeit in Deutschland. „Ich
       habe mehr als drei Jahre Vollzeit gearbeitet.“ Er habe Deutsch gelernt,
       Steuern gezahlt. „Ich hatte eine Wohnung, ich hatte ein Auto, ich hatte
       alles …“ Außer der Aufenthaltserlaubnis.
       
       An der Geschichte von Saber Elias zeigen sich die Kapriolen und
       Ungerechtigkeiten der deutschen Migrations- und Abschiebepolitik. Eine
       Ausländerbehörde, die einen Jesiden gewaltsam zurück in den Irak schickte,
       obwohl die Bundesregierung noch vor wenigen Jahren verlauten ließ, es sei
       unzumutbar, Jesiden dort hin zurückzuschicken. Ein junger Mann, der alles
       tat, um sich in Deutschland zu integrieren, und trotzdem zurück in sein
       Herkunftsland muss. Elias’ Fall zeigt, was der eisige Migrationsdiskurs und
       das Buhlen um höhere Abschiebezahlen mit den betroffenen Menschen macht.
       
       ## Von Linkspartei bis AfD erkannten alle den Genozid an
       
       Während Saber Elias in Scharya seine Geschichte erzählt, bringt sein
       kleiner Bruder Kaffee und Kekse. Seine sieben Geschwister, die Eltern und
       er teilen sich hier zwei Zelte. Der kleine Weg davor ist betoniert, ein
       paar Zweige und Äste zwischen den Zeltreihen dienen als Vordach. Die
       Toiletten und Duschen im Lager befinden sich einige Meter entfernt in
       verrosteten Metallcontainern. „Es ist alt geworden“, sagt Elias und meint
       das Lager, das er schon seit 2014 kennt. Und es ist gefährlich: Weil es
       keine feste Stromversorgung gibt und die Generatoren immer wieder
       kurzschließen, brechen regelmäßig Feuer aus. Ein paar Nächte ist es erst
       her, da ist das Zelt einer Familie in der Nähe in Flammen aufgegangen. Nur
       mit Glück haben alle ohne Brandwunden überlebt.
       
       Saber Elias hat sein braunes Haar zurückgekämmt, sein Bart schimmert
       rötlich. Als Jeside gehört er einer ethnisch-religiösen Minderheit an, die
       vor allem im Nordwestirak im Distrikt Sindschar beheimatet ist.
       Aufgewachsen ist er dort in dem kleinen Dorf Zorava, es liegt 90 Kilometer
       Luftlinie südwestlich vom Lager Scharya.
       
       Hunderttausende Jesidinnen und Jesiden mussten 2014 vor dem „Islamischen
       Staat“ fliehen, viele von ihnen fanden auch in Deutschland Zuflucht. Die
       Organisation Pro Asyl schätzt, dass hierzulande etwa 250.000 von ihnen
       leben. Doch seit einigen Jahren schiebt die Bundesrepublik wieder vermehrt
       Jesiden in den Irak ab. Und das, obwohl der Islamismus dort jederzeit
       wieder erstarken könnte. Obwohl viele Gebäude und Häuser im Sindschar noch
       vom Krieg zerstört sind und es keine wirtschaftliche Perspektive gibt. Im
       April bezifferte Pro Asyl die Zahl der ausreisepflichtigen Jesiden auf
       5.000 bis 10.000 Menschen.
       
       Im Januar 2023 hatte der Bundestag die IS-Massaker und die Verfolgung der
       Jesiden in einer Resolution als Völkermord anerkannt. Und zwar einstimmig,
       von Linken bis AfD. „Der Deutsche Bundestag verneigt sich vor den Opfern
       der durch den IS begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
       Menschlichkeit“, heißt es dort. Auf eine kleine Anfrage im März desselben
       Jahres teilte die Ampelregierung mit: „Für jesidische Religionszugehörige
       aus dem Irak […] ist es – ungeachtet veränderter Verhältnisse – nicht
       zumutbar, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren.“ [1][Trotzdem
       schob Deutschland 2023 nach Angaben des Bundesinnenministeriums 399
       Menschen in den Irak ab], darunter auch Jesiden. 2024 waren es 699.
       
       ## Diskurs-Druck auf die Kommunen
       
       Einer davon war Saber Elias. Fälle wie seiner mehren sich. So wurden am
       Morgen des 17. Februar vom Flughafen Hannover aus knapp 50 irakische
       Staatsangehörige abgeschoben, wie der Verein Flüchtlingsrat Niedersachsen
       mitteilte. An Bord war auch ein 30-jähriger Jeside. Die Festnahmen der
       Menschen erfolgen laut dem Flüchtlingsrat „in der eigenen Wohnung oder bei
       angeblichen Routineterminen bei der Ausländerbehörde“.
       
       Tareq Alaows arbeitet als flüchtlingspolitischer Sprecher bei Pro Asyl. Er
       kritisiert, dass überhaupt Jesiden aus Deutschland abgeschoben werden. „Es
       gibt Berichte von Menschen, die sich das Leben genommen haben nach der
       Abschiebung wegen der Retraumatisierung vor Ort. Wir sprechen über
       Menschen, die in unwürdige Lebensumstände geschickt wurden“, sagt Alaows am
       Telefon. Er fordert von der Bundesregierung deshalb einen Abschiebestopp
       für Jesiden.
       
       Alaows sieht die vermehrten Abschiebungen als Folge des
       migrationsfeindlichen Umschwungs im Land. „Wir merken in der allgemeinen
       Stimmung, dass mehr über Abschiebungen von Schutzsuchenden als
       vermeintliche Lösung für Probleme in Deutschland gesprochen wird“, sagt
       [2][Alaows, der selbst 2015 aus Syrien geflohen ist]. „Es muss um jeden
       Preis abgeschoben werden, egal, was die Person in Deutschland gemacht und
       geleistet hat. Hauptsache man hat am Ende des Jahres hohe Abschiebezahlen.“
       Die Kommunen, die über die Abschiebungen entscheiden, würden durch diese
       Debatten unter Druck gesetzt.
       
       3.000 Kilometer weit entfernt, im Zelt seiner Familie, erzählt Saber Elias,
       wie er überhaupt zum Geflüchteten wurde. Anfang August 2014, als er 17
       Jahre alt war, [3][fiel der „Islamische Staat“ in der Region Sindschar in
       die Dörfer der Jesiden ein und massakrierte Männer und alte Frauen], nahm
       kleine Jungen als künftige Rekruten und Frauen und Mädchen als
       Sexsklavinnen gefangen. Als Elias’ Familie im Dorf Zorava am Nachmittag des
       3. August von der IS-Offensive hörte, packten sie das Nötigste zusammen und
       flüchteten mit der Großfamilie ins nahegelegene Sindschar-Gebirge. Wie
       Hunderttausende andere Jesiden auch.
       
       ## Die Täter rasierten sich den Bart ab, das Leben ging weiter
       
       Wer dem IS entkam, konnte sich glücklich schätzen, doch in den Bergen
       fehlte es an allem. „Es war richtig warm“, erinnert sich Elias. „Es gab
       kein Wasser, kein Essen, gar nichts.“ Nothelfer flogen mit Helikoptern
       Wasser und Nahrung ein und die Bedürftigsten unter den Flüchtlingen aus,
       doch es reichte nicht für alle. „Ich habe so was noch nie gesehen“, sagt
       Elias. „Kinder weinten, Frauen schrien.“ Schließlich gelang es der
       kurdischen YPG-Miliz aus Syrien vom Westen aus vorrückend, einen
       Fluchtkorridor für die Jesiden freizukämpfen. Auch Elias und seine Familie
       konnten so nach Syrien fliehen. In Qamischli wurden sie von der YPG
       versorgt, bevor sie wieder über die Grenze kamen, nach Irakisch-Kurdistan.
       Zwischen ihnen und dem IS lag jetzt schützend der Fluss Tigris. Sie waren
       in Sicherheit.
       
       In Sindschar, der größten Stadt der Jesiden, ist die Zerstörung durch den
       IS und den Krieg auch heute noch allgegenwärtig. Ganze Viertel liegen noch
       immer in Trümmern. An den Wänden der Häuserruinen kann man alte Graffiti
       des „Islamischen Staats“ sehen. Sie wirken wie ein Relikt aus einer anderen
       Zeit – und gleichzeitig wie eine Drohung für die Zukunft. Die Täter und
       Unterstützer des IS waren damals teils die sunnitisch-muslimischen Nachbarn
       der Jesiden. Nach der Niederlage des IS rasierten sich viele von ihnen die
       Bärte ab, und das Leben ging weiter.
       
       In Irakisch-Kurdistan angekommen, schliefen Elias und seine Familie nach
       der Flucht zunächst für ein paar Monate in einer Schule in der Stadt
       Scharya. „Da war alles voll. Die Leute haben auf der Straße geschlafen“,
       sagt Elias. Als das Flüchtlingscamp am Rande der Stadt fertig gebaut war,
       zogen sie dort in Zelte. Elias ging im Camp zur Schule, bis zur zwölften
       Klasse, aber im Kopf hatte er eigentlich nur ein Ziel: „Ich wollte mein
       ganzes Leben nach Deutschland“, sagt er. Seine Stimme wird dabei ganz
       leise.
       
       Im Herbst 2019 trat er die Reise an. Sein großer Bruder lebte zu dem
       Zeitpunkt bereits in Deutschland. Zunächst flog Elias vom irakischen Erbil
       aus in die Türkei, und von dort aus ging es weiter mit dem Bus, zu Fuß,
       irgendwie. Manchmal schlief er in einer Unterkunft, manchmal im Wald,
       obwohl es Winter war. „Das war richtig kalt. Es war schwierig.“ Als seine
       Gruppe in Rumänien ankam, entschieden sich einige zu bleiben. Elias aber
       wollte weiter. „Ich wollte nach Deutschland. Ich muss nach Deutschland“,
       sagte er den anderen. In seiner Stimme mischen sich die Entschlossenheit
       von damals und die Trauer von heute.
       
       ## „Das ist ein Sonnenschein, den nimmt man sofort auf“
       
       Zunächst wohnte Elias im nordrhein-westfälischen Lippstadt in einer
       Geflüchtetenunterkunft, begann schnell, Deutsch zu lernen. Und auch zu
       arbeiten. Vollzeit in einem Café, sagt er. Weil sein Bruder in Gütersloh
       wohnt, zog er im Frühjahr 2023 in die etwa 30 Kilometer entfernte Stadt. Er
       wechselte den Arbeitsplatz, machte jetzt Schichten im Café Barcelona, erst
       in der Küche und später auch hinter der Theke.
       
       Isa Yadel war Elias’ Chef im Café Barcelona. Weil er selbst Jeside ist,
       konnten sich die beiden auf Kurdisch unterhalten. Elias habe sich in der
       Gaststätte sofort ins Team eingefügt, sagt Yadel am Telefon. „Das ist ein
       Sonnenschein, den nimmt man sofort auf. Der ist eine Grinsebacke. Und jeder
       mochte ihn.“ Im August 2024 erfuhr Elias, dass sein Antrag auf Asyl
       abgelehnt wurde. Er fragte seinen Chef, ob er ihm weiterhelfen könne. Das
       sei nicht der erste Fall dieser Art gewesen, sagt Yadel. „Ich bin dann mit
       den Leuten zur Ausländerbehörde gegangen. Und die konnten immer irgendwie
       helfen.“
       
       Anfang September 2024 sprachen Elias und er bei der Ausländerbehörde vor,
       sagt Yadel. Doch der Sachbearbeiter habe ihnen gesagt, nachdem das
       Asylverfahren abgelehnt worden sei, sei der Zug abgefahren. Yadel schlug
       daraufhin vor, Elias im Unternehmen als Auszubildenden anzustellen. Das
       wäre eine Möglichkeit, habe der Sachbearbeiter entgegnet. Dafür bräuchten
       sie einen Ausbildungsvertrag, die Anmeldung bei der Industrie- und
       Handelskammer und seinen Pass, der sich zu dieser Zeit aber noch im Irak
       befand.
       
       Die Vorlage des Passes aus dem Herkunftsland ist eine Bedingung, damit ein
       Migrant für die Dauer der Ausbildung in Deutschland eine sogenannte Duldung
       bekommen kann. Doch der Pass ist auch noch Voraussetzung für etwas anderes:
       eine Abschiebung.
       
       ## Eine Abschiebung hat der Sachbearbeiter nicht erwähnt
       
       Elias nahm sich einen Anwalt, mit dem er erneut zur Ausländerbehörde ging,
       und alle Dokumente einreichte. „Ich dachte, er ist in guten Händen, der hat
       seine Ausbildungsduldung gekriegt, Thema erledigt“, erinnert sich Yadel.
       „Währenddessen ist aber gar nichts passiert. Die haben die ganzen Sachen
       gebraucht, um seine Abschiebung vorzubereiten.“ Yadel sagt, er fühlt sich
       von den Behörden hintergangen und benutzt.
       
       Am 17. Oktober 2024 sprach Elias erneut bei der Ausländerbehörde vor. An
       dem Tag verlängerte der Sachbearbeiter seine Duldung, so steht es in einem
       Schreiben, das den Termin dokumentiert und das der taz vorliegt. Doch am
       Ende des Schriftstücks findet sich noch ein Satz: „Ich wurde ferner […]
       darüber belehrt, dass ich trotz der Ausstellung einer Duldung jederzeit
       damit rechnen muss, zwangsweise abgeschoben zu werden.“ Darunter hat Saber
       Elias unterschrieben. Elias sagt aber: Eine mögliche Abschiebung hat der
       Sachbearbeiter im Gespräch nicht erwähnt.
       
       Am 18. Dezember hat Elias schließlich seinen letzten Termin bei der
       Ausländerbehörde. Es ist kurz vor Weihnachten und er hat eigentlich eine
       Verabredung für das Wochenende. Als er davon berichtet, schwillt seine
       sonst so leise Stimme wieder an. „Ich hatte einen Plan, ich wollte feiern
       gehen“, auf eine Hausparty mit seinem Cousin.
       
       Doch als Elias am Nachmittag ins Rathaus in Gütersloh kommt, habe ein
       Beamter vom Ordnungsamt gesagt: „Du musst heute nach Bagdad.“ „Warum?“,
       habe er entgegnet. „Du musst abgeschoben werden.“ Elias hat ein Auto, eine
       Wohnung. Und noch Geld zu Hause. Ob er wenigstens das holen dürfe? „Nein,
       es ist vorbei“, habe der Beamte gesagt. Erst an der Sicherheitsschleuse am
       Flughafen hätten die Beamten ihm die Handschellen abgenommen. Bei der
       Ausreise verhängte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch eine
       Einreisesperre für Elias.
       
       ## Besser integriert, leichter zu finden
       
       Weil er nicht wie verabredet zur Arbeit kam und auch auf dem Handy nicht
       erreichbar war, machte sich sein Chef in Gütersloh Sorgen. Erst in Bagdad
       bekam Elias sein Handy zurück und rief einen Kollegen an. Als Isa Yadel von
       der Abschiebung hörte, konnte er es nicht glauben. „Ich dachte, der
       scherzt. Bis zwei Tage später habe ich nicht gedacht, dass Saber im Irak
       ist. Für mich war das unvorstellbar, weil ich mich von den Behörden so in
       Sicherheit gewogen gefühlt habe.“
       
       Es gibt viele Fälle, die dem von Elias ähneln, in denen die Behörden aber
       eine Ausbildungsduldung erteilen und so den Weg für einen langfristigen
       Aufenthalt ebnen. In den Akten und dem Schriftverkehr mit dem Amt, die die
       taz einsehen konnte, deutet nichts darauf hin, dass Elias straffällig
       geworden ist. Die Ausländerbehörde in Gütersloh möchte den Fall auf
       taz-Anfrage nicht kommentieren. Man könne sich zu Einzelfällen nicht
       äußern, heißt es. Die Stadt handele immer rechtskonform.
       
       Ob ein Migrant Asyl oder eine Duldung erhält oder abgeschoben wird, ist
       letztlich eine Entscheidung der Sachbearbeiter:innen. Tarek Alaows
       von Pro Asyl sagt: „Oft nutzen die Sachbearbeiter:innen ihre
       Ermessensspielräume nicht im Sinne der Betroffenen – in vielen Fällen
       werden Bleiberechtsmöglichkeiten nicht ausgelotet. Das zeigt die derzeitige
       Haltung: Es muss um jeden Preis abgeschoben werden.“ Immer wieder hört man
       den Vorwurf, dass Behörden – um gewisse Quoten zu erfüllen – absichtlich
       gut integrierte Menschen abschieben, weil sie ihrer leichter habhaft werden
       können. Ebenjene Menschen, die zu einem Termin erscheinen, wenn sie
       eingeladen werden, wie Saber Elias.
       
       Alaows und seine Kolleg:innen beobachten immer wieder, dass Geflüchtete
       für ein Gespräch in die Ausländerbehörde gelockt werden, um sie dort
       festzunehmen und abzuschieben, noch bevor sie einen Antrag auf Bleiberecht
       stellen können. „Das ist eine offensichtliche Täuschung. Das darf in einem
       Rechtsstaat nicht stattfinden“, sagt Alaows. „Ist die Person erst einmal
       abgeschoben, ist es für sie fast unmöglich, gegen so einen Vorgang
       rechtlich vorzugehen.“ Immer wieder täten die Behörden alles Mögliche, um
       keine Aufenthaltserlaubnis erteilen zu müssen.
       
       ## Abschiebewettbewerb trotz Fachkräftemangel
       
       Isa Yadel sagt, in seiner Systemgastronomie mit über 40 Betrieben seien
       mittlerweile vier Leute aus verschiedenen Ländern abgeschoben worden. Dabei
       herrsche Fachkräftemangel. „Wer bringt mir jetzt jemanden, der für mich
       arbeitet? Soll ich auf der Straße einen Deutschen suchen, der für mich
       arbeitet?“ Gerade die Arbeit in der Küche sei ein harter Job und stehe
       keineswegs ganz oben auf der Beliebtheitsliste. „Ich weiß nicht, wo das
       hingehen soll, wenn ganz viele Leute von heute auf morgen abgeschoben
       werden sollen. Wo sollen wir denn Nachwuchs herholen? Wie sollen wir
       demnächst Gastronomie machen?“, schimpft Yadel. Dass Deutschland Leute
       abschiebt, „die sich an alle Regeln halten“ und Steuern zahlen, ist für ihn
       nicht verständlich: „In welchem Land lebe ich denn mittlerweile? Ist das
       noch mein Land?“
       
       Auch Tareq Alaows sieht keinen Sinn in dem Abschiebewettbewerb der Politik.
       „Abschiebungen schaffen keine neuen Wohnung und führen nicht zu mehr
       Kitaplätzen. Der Abschiebediskurs führt aber derzeit sogar dazu, dass für
       eine vulnerable Gruppe wie die der Jesid:innen das grundlegende Recht
       auf Schutz in Gefahr gerät.“ Mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen
       spricht er von „rechtswidrigen Versprechen“, die nicht zu erfüllen seien,
       ohne „Grundrechte von geflüchteten Menschen zu missachten“.
       
       Saber Elias hat bisher noch keine Anstellung in Irakisch-Kurdistan
       gefunden, weder in der kleinen Camp-Wirtschaft, die sich in den letzten
       Jahren entwickelt hat, noch in der Stadt Scharya. „Es ist so schwierig,
       wenn man nicht arbeiten kann“, sagt er. „Kein Geld, kein gar nichts.“ Er
       hofft, dass es irgendeinen Weg gibt, damit er wieder nach Deutschland
       kommen und seine Ausbildung abschließen kann.
       
       Anfang April tat sich womöglich ein neues Fenster auf. Die lokale Presse
       war da schon auf Saber Elias’ Fall aufmerksam geworden. Isa Yadel bat den
       Bürgermeister der Stadt Gütersloh, Matthias Trepper, um ein Gespräch. Der
       SPD-Politiker willigte ein. An dem Treffen habe auch die Chefin der
       örtlichen Ausländerbehörde teilgenommen. Dabei stellte sich heraus, dass
       Elias womöglich wieder zurückkommen kann – wenn es ihm über einen Anwalt
       gelingt, beim Bamf die Einreisesperre aufheben zu lassen. In einer
       deutschen Botschaft könne er danach wieder ein Arbeitsvisum beantragen,
       berichtet Yadel. Alles ganz geordnet. Von der Abschiebung bis zur erhofften
       Wiederkehr.
       
       4 May 2025
       
       ## LINKS
       
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