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       # taz.de -- Wirtschaftskrise im Libanon: Staat und Bürger sind pleite
       
       > Nach sechs Jahren Stillstand will Libanons Regierung nun eingefrorene
       > Sparguthaben auszahlen. Doch die Einleger*innen glauben nicht daran.
       
   IMG Bild: Frustrierte Kunden: Zerstörter Bankautomat in Beirut im Jahr 2000
       
       Beirut taz | Im Libanon wurden etwa 4.000 Menschen durch israelische
       [1][Angriffe getötet], Zehntausende Häuser wurden zerstört oder stark
       beschädigt. Der Wiederaufbau dürfte umgerechnet 9,6 Milliarden Euro kosten,
       schätzt die Weltbank. Der Staat muss Infrastruktur instand setzen, die
       Menschen ihre Wohnungen, Firmen und Agrarflächen. Doch nicht nur der Staat
       ist pleite, sondern auch die meisten seiner Bürger*innen.
       
       Seit sechs Jahren steckt der Libanon in einer tiefen Wirtschaftskrise.
       Dagegen gingen 2019 Massen auf die Straßen. Ihre Wut entlud sich auch gegen
       die Banken: Sie demolierten Geldautomaten und Fensterscheiben und sprühten
       Slogans wie „Nieder mit den Banken!“ an die Gebäude.
       
       Die Banken verbarrikadierten ihre Filialen. Als sie nach einer Woche wieder
       öffneten, beschränkten sie das Abheben von Bargeld auf wenige Hundert
       Dollar pro Monat. Seitdem kommen die Libanes*innen nicht mehr an ihr
       Erspartes für Schulbildung, Wohnungskäufe oder die Altersvorsorge. Manche
       Menschen waren so verzweifelt, [2][dass sie mit Pistole und Benzinkanister
       zum Geldabheben gingen].
       
       In der Bank erklärt eine Mitarbeiterin einem Kunden, wie er jetzt an sein
       Geld kommt: Sie werde ein neues Konto eröffnen, auf das die Bank jeden
       Monat 500 US-Dollar transferiere. Davon könne der Kunde dann sein Geld
       abheben. Bis zu 50.000 Dollar könne der Anleger so schrittweise über das
       langwierige Prozedere zurückbekommen. Das Limit bestimme die libanesische
       Zentralbank.
       
       ## Die Einleger*innen tragen bis jetzt die Last der Krise
       
       Seit Januar gibt eine neue Regierung Hoffnung auf Besserung:
       Ministerpräsident Nawaf Salam und Präsident Joseph Aoun wollen Reformen
       durchbringen. Diese Woche hat Finanzminister Yassine Jaber versprochen,
       Korruption gerichtlich zu verfolgen. Er kritisierte, dass libanesische
       Beamte das Bankgeheimnis benutzten, um Informationen zurückzuhalten. Jaber
       wies auf die kürzliche Änderung des Bankgeheimnisgesetzes hin: Den
       Aufsichtsbehörden soll für die Verfolgung von Korruption voller Einblick
       gewährt werden.
       
       Der Finanzminister bemüht sich, das Vertrauen in die Banken
       wiederherzustellen und Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds zu
       sichern, dem IWF. Reformgesetze sind dafür die wesentliche Voraussetzung.
       Im Rahmen der IWF-Vereinbarung hat sich der Libanon verpflichtet, Einlagen
       schrittweise zurückzugeben. Die Regierung werde mit „kleinen
       Einleger*innen“ beginnen, die unter 100.000 US-Dollar auf dem Konto haben.
       Dies mache 84 Prozent der Gesamteinlagen aus. „Es gibt kein einziges
       Bankensystem auf der Welt, das allen Einlegern gleichzeitig ihr Geld
       zurückgeben kann“, sagte Jaber. Aber: „Wir annullieren keine Einlagen“,
       versicherte er.
       
       Doch genau das fürchtet Ibrahim Abdallah. Der 45-Jährige setzt sich als
       Aktivist „für die Belange der Einleger“ ein, sagt er. „Von kleinen
       Einleger*innen zu reden, ist ein Weg, um den Diebstahl an unserem Geld
       zu legalisieren“, sagt er der taz. „Wenn jemand nur 50.000 auf dem Konto
       hat, aber ein dickes Auto und fünf Häuser, gilt die Person als kleiner
       Einleger. Das ist Blödsinn.“ Abdallah hat 17 Jahre in den Golfstaaten
       gearbeitet und nach eigenen Angaben knapp zwei Millionen US-Dollar im
       Libanon angespart. Er weiß nicht, wie er mit den paar Hundert US-Dollar,
       die er nun monatlich bekommt, seine Familie versorgen soll und fürchtet,
       den Großteil seines Geldes nie wiederzusehen.
       
       Diese Woche wollte das Parlament einen Gesetzentwurf zur
       Banken-Restrukturierung diskutieren. Die Initiative „Depositors Outcry“
       protestiert dagegen. Dieses ziele darauf ab, „Banken zu schützen und sie
       für alle begangenen Verstöße zu entschädigen“, erklärten sie und fordern
       die vollständige Rückzahlung ihrer Gelder. Regierung, Privatbanken und
       Zentralbank streiten weiter darum, wer die Verantwortung trägt und die
       Einleger*innen entschädigen muss. Diese tragen bisher die Last der
       Krise.
       
       26 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Neumann
       
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