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       # taz.de -- Juryauswahl bei Harvey-Weinstein-Prozess: Nicht objektiv genug
       
       > Eine potenzielle Geschworene schloss sich selbst aus, weil sie sexuell
       > belästigt wurde. Ihre Objektivität sei nicht gewährleistet. Das ist ein
       > Fehler.
       
   IMG Bild: Harvey Weinstein im Manhattan Criminal Court, 15. April 2025
       
       taz | Der Prozess hat begonnen – fast. Denn bevor Harvey Weinsteins Fall
       neu verhandelt wird, muss die Jury ausgewählt werden, die über das Urteil
       entscheiden wird. Seit Dienstag berät das Gericht über mögliche
       Kandidat_innen. Aus einer Gruppe von 140 Leuten, die ins New Yorker
       Justizhaus einberufen wurden, sollen zwölf ausgewählt werden.
       
       Eigentlich war Weinstein schon verurteilt. Im Jahr 2020 sprach ihn das New
       Yorker Gericht der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung schuldig und
       verhängte eine 23-jährige Haftstrafe. Weil es aber zu einem
       Verfahrensfehler kam und Weinsteins Verteidigung Berufung einlegte,
       [1][beginnt der Prozess diesen April von vorn.] Mit einer neuen Jury.
       
       Bisher wurden noch keine Geschworenen ausgewählt. Einige wurden von
       vornherein ausgeschlossen. Der Grund: Es mangle ihnen an Objektivität. Als
       der Richter die Menge der Kandidat_innen fragte, wer von ihnen glaubte,
       nicht unparteiisch sein zu können, meldeten sich mehr als ein Dutzend – und
       schlossen sich somit selbst aus.
       
       Eine Frau schätzte sich als nicht objektiv genug ein, weil sie selbst Opfer
       von sexueller Gewalt war. Ein hartes Kriterium, wenn man bedenkt, dass es
       vorwiegend Frauen betrifft. Das US-amerikanische [2][„Office for Victims of
       Crime“], also das Büro für Kriminalitätsopfer, schätzt, dass jede achte
       Frau in den USA in ihrem Leben Opfer einer Vergewaltigung wurde. Täglich
       seien das knapp 1,871 Vergewaltigungen. Zählt man versuchte
       Vergewaltigungen hinzu, ist jede fünfte Frau betroffen.
       
       ## Und was fragen sich die Männer?
       
       Dazu schätzt das [3][nationale Ressourcenzentrum für sexuelle Gewalt], dass
       ganze 81 Prozent der US-amerikanischen Frauen in ihrem Leben sexuell
       belästigt wurden oder einen anderen sexuellen Übergriff erlebt haben.
       Dagegen sind es nur 43 Prozent der Männer. Eine Frau zu finden, die keine
       sexuelle Missbrauchserfahrung gemacht hat, scheint bei diesen Zahlen fast
       unmöglich.
       
       Natürlich ist es in Ordnung, wenn eine Frau etwa aus Angst vor
       Retraumatisierung nicht an dem Prozess teilnehmen möchte. Wenn die
       Lebensrealität vieler Frauen jedoch sexuelle Ausbeutung durch Männer
       einschließt, sollte es nicht automatisch als mangelnde Objektivität
       gewertet werden, selbst betroffen zu sein. Ganz im Gegenteil: Erfahrungen
       mit Belästigung und Gewalt spiegeln eine gesellschaftliche Realität wider,
       die in solchen Prozessen berücksichtigt werden muss, statt sie als
       Vorurteil zu sehen.
       
       Aus der Diskussion um die Objektivität ergibt sich außerdem die Frage, wer
       die ganzen Vergewaltigungen und Belästigungen verübt. Unter den 140
       potenziellen Geschworenen, die sich im New Yorker Gericht versammelt haben,
       müssen rein statistisch gesehen Männer sein, die Täter waren.
       
       Werden sie sich nach ihrer Objektivität fragen? Werden sie sich fragen, ob
       sie überhaupt in der Lage sind, Frauen zu glauben? Oder ob sie nicht
       insgeheim doch Komplizen Weinsteins sind? Nein, diese Frage wäre doch zu
       absurd.
       
       16 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /MeToo-Prozess-in-New-York/!6079036
   DIR [2] https://ovc.ojp.gov/sites/g/files/xyckuh226/files/pubs/OVC_Archives/reports/help_series/pdftxt/sexualassaultvictimization.pdf
   DIR [3] https://www.nsvrc.org/statistics
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Valérie Catil
       
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