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       # taz.de -- das wird: „Von der Anziehungskraft des Abgrunds“
       
       > Sounding Situations dekonstruiert die Musik von Richard Wagner
       
       Interview Katrin Ullmann 
       
       taz: Wie kamt ihr auf die Idee, die Söldnergruppe Wagner mit dem
       Komponisten Wagner in Verbindung zu bringen? 
       
       Jens Dietrich: Ich war im April 2023 auf Gastspielreise in Ruanda, wo ich
       einen Journalisten aus der Zentralafrikanischen Republik kennen- lernte. Er
       erzählte mir, wie die russische Söldnergruppe „Wagner“ die Macht im Land
       übernommen hat. Ein gemeinsamer Bekannter, ein russischer Journalist, der
       einen Dokumentarfilm über die Wagner-Gruppe in Afrika machen wollte, wurde
       in der Zentralafrikanischen Republik ermordet, höchstwahrscheinlich im
       Auftrag der Wagner-Gruppe. Ich habe mich gefragt: Warum wird der deutsche
       Komponist Wagner von russischen Neonazis benutzt? Wie kommen diese
       neokolonialen Truppen in die Zentralafrikanische Republik? Und was bedeutet
       das für das urdeutsche Kulturverständnis von Wagner? Diese Fragen habe ich
       dann in unser Kollektiv Sounding Situations getragen …
       
       Milena Kipfmüller: „Wagner, um Himmels willen!“, haben wir alle gesagt. Vor
       allem Klaus Janek, unser Musiker und Komponist, hat „Bloß nicht!“ gerufen.
       Inzwischen sind wir alle drei nicht nur interessiert, sondern begeistert
       von der Beschäftigung mit Wagner. Ob man seine Musik jetzt mag oder nicht,
       ist etwas anderes, aber allein die Personalie Wagner hat eine große
       Faszination.
       
       taz: Was kann ich mir auf der Bühne vorstellen? 
       
       Dietrich: Dass dieses Projekt kein Dokumentartheater werden würde, war uns
       schnell klar. Vielmehr verbindet es sehr viele freie Ideen, mit jeweils
       historischem Ausgangspunkt. Wir spannen einen Bogen von 2014, der
       Maidan-Revolution, bis zum Flugzeugabsturz der Wagner-Gruppe am 23. August
       2023. Inhaltlich geht es um die Macht der Manipulation, speziell um die
       Propaganda der russischen Medienmaschinerie. Manipulation ist wiederum ein
       Thema, das mit der Musik des Komponisten Wagner zusammenhängt. Denn bei ihr
       geht es ja um nichts weniger als um Gefühlsmanipulation.
       
       Kipfmüller:Klaus Janek hat eine Interpretation von 16 Stunden Klangmaterial
       aus dem „Ring des Nibelungen“ erstellt. Klaus kommt selbst aus der Berliner
       Echtzeitmusik, und wir arbeiten mit drei weiteren Mitgliedern aus dieser
       Szene zusammen, die dafür bekannt sind, dass sie das Gegenteil von Wagner
       machen: also nicht überwältigend und mit großem Orchester, sondern
       minimalistisch, leise und punktuell. 
       
       taz: Also gibt es keine notierte Komposition? 
       
       Kipfmüller: Die Musiker*innen sind performende Komponist*innen. Manche
       notieren, manche nicht. Hier geht es darum, die Gefühle, die Wagner zum
       Ring inspiriert haben, in eine zeitgenössische Musik zu kleiden und sie mit
       Leitmotiven des „Ring des Nibelungen“ zu verweben. Dabei entsteht ein
       Klangraum, der diesem Wagner’schen Gefühl nahe kommt und thematische
       Parallelen zwischen damals, sprich Mitte des 19. Jahrhunderts, und heute
       zieht. Innerhalb unseres Klangraumes singt Katsia Kaya verschiedene Rollen
       aus dem Ring.
       
       taz: Und was soll sich bei den Zuschauer*innen einstellen? 
       
       Dietrich:Bei den Zuschauer*innen soll sich eine Mischung aus
       Begeisterung und Irritation darüber einstellen, was Manipulation zu leisten
       vermag. Also dass die Inszenierung durch die Musik, das Bühnenbild,
       Videoprojektionen und die Geschichten, die erzählt werden, einen Sog
       entwickelt. Einen Sog, der die Zuschauer*innen so mitreißt, dass sie
       sich erschrecken, wenn sie plötzlich auf der falschen Seite aufwachen. 
       
       Kipfmüller: Wir wollen von der Verführbarkeit durch Schönheit erzählen und
       von der Anziehungskraft des Abgrunds.
       
       24 Apr 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Ullmann
       
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