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       # taz.de -- das wird: „BürgerInnen lernen, sich selbst als KünstlerInnen wahrzunehmen“
       
       > Das Stück „Swipe, Match, Love“ der BürgerInnenbühne Oldenburg beschäftigt
       > sich mit Onlinedating
       
       Interview Karoline Gebhardt
       
       taz: Calendal, glauben Sie an die große Liebe oder eher an gute
       Algorithmen? 
       
       Calendal: Weder noch. Ich glaube daran, dass die Erzählungen um die große
       Liebe und die algorithmischen Versprechungen super Hand in Hand gehen. Und
       dass es spannend sein wird, das, was darunter liegt, in unserem Stück zu
       entdecken. Liebe und das Versprechen von ewiger oder wahrer Liebe lösen in
       der Realität Druck aus. Dabei gibt es schon längst eine gelebte
       Emanzipation von diesem einengenden Konzept. Und trotzdem ist es eine
       Erzählung, die Generation für Generation ihre Wirkung entfaltet und dadurch
       Druck ausübt. Wir versuchen in „Swipe, Match, Love“ dieser Norm gelebte
       Erfahrungen entgegenzusetzen.
       
       taz: Mit welchen Fragen beschäftigen Sie sich im Stück? 
       
       Calendal: Wie wollen wir Gesellschaft definieren und wie wollen die
       Beteiligten in Oldenburg zusammenleben? Welchen Blick auf Liebe auf
       Beziehungen haben sie? Die Inhalte kommen von den Leuten, die am Stück
       mitwirken.
       
       taz: Wie haben Sie das gestaltet? 
       
       Calendal: Die erste Probe war im Dezember, als wir auf die BürgerInnen
       getroffen sind, die davor schon ein paar Monate geprobt und sich
       kennengelernt haben. Die Bühnenbildnerin Yi-Ju Chou und ich sind mit einem
       Gespräch in die Proben gestartet. Ich habe Texte mitgebracht, die wir
       gemeinsam gelesen und diskutiert haben, ausgehend von der Frage, welche
       Erfahrungen in der Gruppe mit Onlinedating gemacht wurden. Wir haben
       schnell festgestellt, dass Onlinedating eigentlich eher der Anlass ist, um
       über verschiedene Beziehungsmodelle zu sprechen. Auch über
       FreundInnenschaften und warum diese anders funktionieren als Beziehungen.
       
       taz: Wer kommt bei der BürgerInnenbühne zusammen und wie haben Sie diese
       Erfahrungen in der Regie wahrgenommen? 
       
       Calendal:Das Theater K schaltete einen Open Call, für den das Thema
       feststand und Interessierte meldeten sich darauf. Wir als künstlerisches
       Team sind dann in eine Gruppe gekommen, die sich schon kannte. Das war
       ungewöhnlich, weil ich die Arbeit häufig so kenne, dass diese
       Kennenlernphase auch Teil von einem künstlerischen Prozess ist. Der Fokus
       lag dann sehr schnell darauf, unsere künstlerische Vorgehensweise zu teilen
       und eine gemeinsame künstlerische Sprache zu entwickeln.
       
       taz: Wie verändert sich Theater, wenn es offen für alle ist? 
       
       Calendal: Die Sicherheiten, die sonst vorausgesetzt werden, also
       beispielsweise was es bedeutet, in einer großen Gruppe auf der Bühne zu
       stehen, haben wir mit den Beteiligten erarbeitet. Das war für mich absolut
       bereichernd. Außerdem können durch diese Öffnung Blickwinkel aus der
       Gesellschaft auf die Bühne kommen, die sonst keinen Raum haben, um ihre
       Lebenserfahrungen und ihren Blick auf das Leben zu teilen. Das fand ich
       sehr schön. Die Möglichkeit, Komplexität auf die Bühne zu bringen, die mit
       den Menschen, die auf der Bühne sprechen, auch verknüpft ist, war toll.
       
       taz: Man kann so also ein breiteres Bild der Gesellschaft auf Theaterbühnen
       bringen? 
       
       Calendal: Auf jeden Fall. Zum einen wird ein Teil der Gesellschaft auf der
       Theaterbühne sichtbar und zum anderen lernen BürgerInnen, ihre eigene
       Stimme anders zu nutzen und sich selbst als KünstlerInnen wahrzunehmen.
       Gerade durch diese Altersspanne, die wir haben, habe ich viel lernen können
       durch den Blick von zum Beispiel einer pensionierten Lehrerin. Es ist sehr
       bereichernd, wenn man außerhalb seines Milieus arbeitet.
       
       taz: Was haben Sie gelernt, zum Beispiel? 
       
       Calendal: Es gibt einen Satz im Stück, der heißt: „Ich bin aber nicht das
       erste Mal in meinem Leben verliebt und bestimmt auch nicht das letzte Mal.
       Und das ist mir bewusst.“
       
       taz: Gab es bestimmte Perspektiven, die Ihnen besonders wichtig waren? 
       
       Calendal: Was fehlt, und das bedaure ich persönlich, sind BiPoC- und trans*
       Perspektiven. Unser Fokus lag darauf, die Sichtweisen der Beteiligten
       abzubilden und ihren Erfahrungen gerecht zu werden. Was uns, glaube ich,
       gut gelungen ist.
       
       25 Apr 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karoline Gebhardt
       
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