URI: 
       # taz.de -- Handke, der ORF und Srebrenica: Der sich selbst denunziert
       
       > Die Bezeichnung „Völkermord“ für Srebrenica könne ihm „gestohlen
       > bleiben“, sagte Peter Handke im ORF-Interview. Kritische Nachfragen gab
       > es nicht.
       
   IMG Bild: Der Schriftsteller Peter Handke in München, 2017
       
       Montagabend sendete das ORF-Fernsehen in seinem [1][„Kulturmontag“ ein
       Gespräch mit dem Kärntner Schriftsteller Peter Handke.] Der habe dem ORF
       „eines seiner raren TV-Interviews“ gegeben, wie es in der Anmoderation
       heißt. Der vermeintliche Coup erwies sich aber als Katastrophe. Der
       Literatur-Nobelpreisträger von 2019 nutzte die Bühne, den Genozid im
       bosnischen Srebrenica einmal mehr zu leugnen und herunterzuspielen.
       
       „Völkermord kann mir gestohlen bleiben. Ich finde, was da war, war
       Brudermord. Das ist etwas viel Schlimmeres“, sagte Handke im Interview. Und
       weiter: „Völkermord ist ein juristischer Ausdruck, aber Brudermord ist ein
       biblischer Ausdruck, und das war es. Aber ich werde mir nicht Wörter
       vorschreiben lassen von irgendwelchen Pfeifen, die keine Ahnung haben von
       Sprache, Silben, Rhythmus und Melodie.“ Danach keine Nachfrage der
       Moderatorin, sondern ein Themenwechsel.
       
       Der [2][Völkermord von Srebrenica] im Juli 1995 war das schwerste
       Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Unter der
       Führung von Ratko Mladić ermordeten bosnisch-serbische Truppen über 8.000
       muslimische Bosniaken in der eigentlich von UN-Blauhelmen geschützten
       „Sicherheitszone“. Die systematische Planung und Durchführung des Massakers
       wurden von internationalen Gerichten als Völkermord eingestuft.
       
       Schon in den 1990er und 2000er Jahren geriet Handke aufgrund seiner Haltung
       zu den serbischen Kriegsverbrechern in massive Kritik. Im Dezember 1996
       [3][traf Handke den bosnisch-serbischen Politiker Radovan Karadžić], der zu
       diesem Zeitpunkt bereits vom UN-Kriegsverbrechertribunal wegen Völkermords
       in Srebrenica und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt war.
       
       ## Unkritische Bühne
       
       Handke bezeichnete in seinen Schriften Srebrenica als „mutmaßlichen
       Genozid“ und sprach von „mutmaßlichen Massakerstätten“. Er gehörte zu den
       Unterzeichnern eines Künstlerappells zur Verteidigung des ehemaligen
       jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević, dem Kriegsverbrechen
       angelastet wurden, und veröffentlichte kritische Artikel über das
       UN-Kriegsverbrechertribunal.
       
       Angesichts dieser Vorgeschichte ist fraglich, warum der ORF Handke eine
       derart unkritische Bühne gibt. Anlass gab es dafür keinen, denn das
       Gespräch dreht sich nur am Rande um Handkes neuen Text. Auch andere
       Aussagen waren problematisch: Handke könne „Demokratie“ nicht mehr hören,
       sagte er, und sprach seiner Wahlheimat Frankreich teilweise ab, eine
       vollwertige solche zu sein. „Frankreich ist eine Demokratie, wo viele
       kleine Diktaturen sind“, sagte er ohne nähere Ausführung.
       
       Bezeichnend ist der Umgang im ORF mit der Kritik, die ihn unter anderem in
       Form von zahlreichen Schreiben aus der Wiener Balkan-Diaspora erreicht hat.
       „Bei aller erwartbarer Polarisierung hat sich die ORF-Kulturredaktion dafür
       entschieden, Peter Handke als einen der wichtigsten Autoren Österreichs und
       als Nobelpreisträger zu Wort kommen zu lassen. Es sollte in dem Gespräch um
       sein jüngstes Buch, seine Einschätzung zur Weltlage und natürlich um seine
       umstrittenen politischen Haltungen gehen“, schreibt das Medienhaus auf
       Anfrage.
       
       Mit ihrer Frage „Viele haben sich 2019 zur Nobelpreisverleihung erwartet,
       dass sie öffentlich den Völkermord von Srebrenica anerkennen. Sie haben das
       nicht gemacht, warum nicht?“ habe die Interviewerin „klar gemacht, dass
       dieses Verbrechen als Völkermord einzustufen ist und dass es von Handke
       auch zu erwarten war und ist, diese Tatsache anzuerkennen.“ Warum wurde
       nicht nachgefragt? Warum wurde das Interview nicht anders eingebettet, etwa
       in Form eines kritischen Beitrags? Dies beantwortet der ORF nicht.
       
       Über seine Kritiker machte sich Handke im selben Interview lustig. „Ich
       habe nichts mitbekommen. Ich habe keinen Gegenwind. Das gehört zum Leben,
       ist gut für die Haut“, witzelt Handke. „Kein Wort, was ich über Jugoslawien
       geschrieben habe, ist denunzierbar, kein einziges. Das ist Literatur“,
       hatte der Schriftsteller andernorts gesagt. Der [4][Wiener
       Politikwissenschaftler Vedran Džihić] mit Wurzeln in Bosnien sieht das
       anders: Handkes Haltung zu Milosevic und Srebrenica sei keine Literatur,
       „sondern ein politischer Akt, der zutiefst zu verurteilen ist.“
       
       17 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://on.orf.at/video/14271579/15860812/peter-handke-im-gespraech-kulturmontag-vom-14042025
   DIR [2] /Jahrestag-des-Srebrenica-Massakers/!6019796
   DIR [3] /Kritik-an-Nobelpreis-fuer-Peter-Handke/!5629663
   DIR [4] /Experte-ueber-den-Angriff-auf-Polizisten/!5959655
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Florian Bayer
       
       ## TAGS
       
   DIR Peter Handke
   DIR Srebrenica
   DIR ORF
   DIR Literatur
   DIR Schriftsteller
   DIR Politisches Buch
   DIR Srebrenica
   DIR Srebrenica
   DIR Olga Tokarczuk
   DIR Peter Handke
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Buch über Forensik in Srebrenica: Totengräberinnen für das Leben
       
       „Die Reparatur der Lebenden“ porträtiert zwei Frauen in Bosnien, die in
       Handarbeit Knochen sortieren und nach weiteren Massengräbern suchen.
       
   DIR Künstlerin Šejla Kamerić über Srebrenica: „Sich weigern, Opfer zu sein“
       
       Auch 30 Jahre nach dem Genozid von Srebrenica sucht Šejla Kamerić nach
       Wahrheit. Wie ihre Kunst das kollektive Trauma aufarbeitet.
       
   DIR Historikerin zu Massaker von Srebrenica: „Das war der ultimative Weckruf“
       
       Im Juli 1995 ermordeten serbische Milizen 8.300 muslimische Bosniaken. Die
       Welt schaute zu. Die Historikerin Marie-Janine Calic zur Frage: Warum?
       
   DIR Literaturnobelpreisverleihung Stockholm: Lücken beim Bankett
       
       Olga Tokarczuk und Peter Handke haben nun endlich ihren
       Literaturnobelpreis. Im Fall Handke ging das nicht ohne Proteste
       vonstatten.
       
   DIR Nobelpreis für Peter Handke: Am Arsch der Hölle
       
       Peter Handke ist ein Kretin, ein Arschloch. Dass er mit dem höchsten
       Literaturpreis geehrt wird, hat aber etwas Gutes.