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       # taz.de -- Parteitag der Linkspartei: Nach dem Wunder
       
       > Die Linkspartei muss angesichts einer dramatisch gewandelten Weltlage
       > neue Antworten finden. Friedensfloskeln reichen nicht aus.
       
   IMG Bild: Machen die Linkspartei zur Bewegungslinken: Ines Schwerdtner und Heidi Reichinnek
       
       Rechte Parteien sind global auf dem Vormarsch. Offener Rassismus ist wieder
       salonfähig, oft kombiniert mit einem entgrenzten Tech-Raubtierkapitalismus
       und rabiaten Nationalismus. Linke haben dem außer Händeringen,
       Besserwisserei oder hilflos wirkender Verteidigung des Status quo meist
       wenig entgegenzusetzen.
       
       Umso spektakulärer war der Erfolg der Linkspartei, [1][die, anstatt wie
       prophezeit unterzugehen, bei der Bundestagswahl fast 9 Prozent der
       Wählerstimmen holte]. 50.000 neue GenossInnen strömen in die Partei. Die in
       heillose Machtkämpfe versunkene, überalterte Organisation wandelte sich in
       kürzester Zeit in eine Bewegung, die sich mit Schwung in einen
       erfolgreichen Haustürwahlkampf stürzte.
       
       Diese wundersame Rettung war hart erarbeitet und Ergebnis eines glücklichen
       Timings. Mit der Abspaltung von Sahra Wagenknecht verschwanden Lähmung und
       Streit. Ein zentraler Bestandteil der linken Selbstrettung war eine Art
       Bernie-Sanders-Effekt: Millionen von jungen AkademikerInnen, die unter
       hohen Schulden ächzten, hatten den US-Linken 2016 und 2020 bei den
       Vorwahlen unterstützt. Universitäten sind in den USA extrem teuer. Sanders’
       Forderung nach kostenlosen Unis fiel bei hoch verschuldeten AkademikerInnen
       auf fruchtbaren Boden.
       
       Der Erfolg der Linkspartei war ein Sanders-Moment. Bildung ist in
       Deutschland zwar fast kostenlos. Urbane AkademikerInnen hierzulande bringen
       die kaum bezahlbaren Mieten in den Metropolen zur Verzweiflung. Die
       Mietenkampagne der Linkspartei, clever verstärkt durch einen
       Heizkostencheck, der praktischen Nutzen verspricht, adressiert dieses
       Problem.
       
       ## Politik pro domo
       
       Sie unterscheidet sich von anderen Linkspartei-Aktionen, weil hier nicht
       Mittelschicht-AkademikerInnen als Anwalt der Unterschicht auftreten,
       sondern auch Politik pro domo machen. In der Regel ist Interessenpolitik
       soliderer Grund als karitativ oder revolutionär begründete Aktivismus. Ein
       Bonus ist gewiss die Kampagnenfähigkeit der Linken – etwas, das der
       blutarmen Machtverwaltungsmaschine SPD derzeit völlig fehlt.
       
       Die neue Spitze aus Ines Schwerdtner und Jan van Aken sendet bislang recht
       störungsarm auf verschiedenen Frequenzen. Schwerdtner verkörpert
       sozialistische Tradition ohne DDR-Rost – und ist diskursiv anschlussfähig.
       Van Aken forderte wirksamere Sanktionen gegen Russland und reinigte die
       Partei geschickt vom Image der Putin-Versteher. Der neue
       [2][Social-Media-Star Heidi Reichinnek] erreicht jenes junge urbane
       Publikum, das geschädigt durch die Corona-Isolation bei der Linkspartei
       auch Gemeinschaftlichkeit zu finden hofft.
       
       Der Wahlerfolg der Linkspartei liegt aber auch an Friedrich Merz, der kurz
       vor der Wahl mit der AfD im Bundestag gemeinsame Sache machte. Das war ein
       Adrenalinschub für eine Anti-rechts-Bewegung. Kurzum: Die Linke war so
       erfolgreich, weil Bewegungs-Hausse und Bundestagswahl günstig
       zusammenfielen. Es wäre einfältig, diesen glücklichen Zufall und damit auch
       die Fragilität dieses Erfolges zu übersehen. Bewegungen folgen einer
       anderen Logik als Parteien. „Bewegungen kommen und gehen, vor allem gehen
       sie“, so der Soziologe Ulrich Beck. Die komplizierte Aufgabe der
       Parteiführung ist es nun, die Bewegungsenergie zu institutionalisieren.
       
       Was tun? Und was nicht tun? Vielleicht lässt sich etwas aus dem größten
       Erfolg der Linkspartei 2009 lernen, als die GenossInnen als
       Anti-Hartz-IV-Partei fast 12 Prozent bekamen. Lafontaine geißelte danach
       den Verrat der SPD mit immer schrilleren rhetorischen Volten und
       manövrierte die Partei in eine Sackgasse. In der Opposition Beton
       anzurühren, ist gedankenarm.
       
       Außerdem schwankt der Boden. Die Architektur der Bundesrepublik ist
       brüchig. Die Innenpolitik war dominiert von einer übermächtigen Mitte,
       meist Mitte-rechts, selten Mitte-links. Diese Trutzburg der Mitte besteht,
       wie die fast gescheiterte Merz-Wahl zeigte, mittlerweile eher aus Sand. Die
       Linkspartei kann angesichts dessen nicht nur dagegen sein. Sie trägt
       Verantwortung für die Demokratie. Dass die Linksfraktion Merz rasch zum
       zweiten Wahlgang verhalf, war jedenfalls klug. Die Botschaft lautete:
       Scharfe Kritik an Schwarz-Rot ja, – aber nichts, was der Chaos-Strategie
       der AfD nutzt.
       
       Auch außenpolitisch braucht die Linkspartei mehr als nur Anti. Die
       Bundesrepublik war pro Nato, die Linke anti Nato. Diese Spielanordnung ist
       von gestern. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag beschwört unverdrossen Nato
       und die „transatlantische Partnerschaft'“. Im Leitantrag zum Parteitag im
       Chemnitz feiert sich die Linke spiegelsymmetrisch „als Friedenspartei“ und
       wettert gegen „zunehmende Militarisierung“.
       
       ## Was ist die linke Antwort?
       
       Trumps möglicher Rückzug aus der Nato, Putins Angriffskrieg gegen die
       Ukraine und die neue Weltordnung kommen im linken Leitantrag der
       Einfachheit halber nicht vor. Das ist schwer verständlich. Die Rolle der
       Opposition bietet den Luxus, ohne Sachzwänge denken zu können. Anstatt sich
       routiniert an Friedensfloskeln zu klammern – und wenn es ernst wird,
       Aufrüstung halb verdruckst wie in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern
       zuzustimmen –, gilt es, neue Ideen zu suchen. Wie lautet die linke Antwort
       auf die neue Weltordnung? Gibt es defensive Rüstungskonzepte, um
       militärischen Schutz für Europa ohne USA zu schaffen?
       
       Das sind schwierige Fragen für eine Partei, der Pazifismus oft als Fetisch
       dient, um sich von allen anderen zu unterscheiden. Wenn die Linkspartei
       weiter ihre Nische möbliert, bleibt sie unter ihren Möglichkeiten.
       [3][Viele WählerInnen der Linken ticken bei der Frage, ob man der Ukraine
       weiter Waffen liefern soll, übrigens viel realpolitischer als die Partei.]
       Man sollte nicht vergessen: In der Post-Volksparteien-Demokratie sind die
       Stimmungsschwankungen extrem – nach oben und nach unten.
       
       9 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Junge-Linke-WaehlerInnen/!6068458
   DIR [2] /Linksfraktionschefin-Heidi-Reichinnek/!6077201
   DIR [3] https://defence-network.com/waffenlieferungen-an-die-ukraine-umstritten/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
       ## TAGS
       
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