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       # taz.de -- Spielfilm „Grüße vom Mars“: Unendliche Weiten in Schleswig-Holstein
       
       > „Grüße vom Mars“ begleitet den autistischen Tom, der seine Ferien bei den
       > Großeltern als Marsmission sieht. Entstanden ist ein heiterer
       > Familienfilm.
       
   IMG Bild: Haben das Leben gut im Griff: Toms Mutter Vera (Eva Löbau, l.), Tom (Theo Kretschmer) und seine Schwester Nina (Lilli Lacher)
       
       Der Protagonist dieses Films heißt nicht zufällig Tom, und das norddeutsche
       Dorf, in dem er seine Abenteuer erlebt, trägt den ebenso anspielungsreichen
       Namen Lunau. David Bowie und Tom Schilling lassen grüßen und für diesen
       „Major Tom“ ist die Reise in die schleswig-holsteinische Provinz genauso
       fantastisch, als würde er auf dem Mond landen. Denn der zehnjährige Junge,
       leidet an einer [1][Autismus]-Spektrum-Störung.
       
       Sein Leben mit seiner alleinerziehenden Mutter und seinen zwei Geschwistern
       ist aber erstaunlich gut organisiert. Alle kennen und respektieren die
       strengen Regeln und Rituale, die sein Leben bestimmen: Tom kann keine
       Berührungen ertragen, gerät in Panik, wenn er mit der Farbe Rot in Kontakt
       kommt, muss alle drei Stunden Wasser trinken und kann an keinem runden
       Tisch Platz nehmen. Seine Obsession ist die Raumfahrt, und da er durch
       seine Inselbegabung ein immenses Wissen in Astrophysik hat, träumt er
       davon, einmal als Astronaut auf den Mars zu fliegen.
       
       So kann ihm seine Mutter, die für vier Wochen einen Job im fernen China
       angenommen hat, die Sommerferien bei den Großeltern auch als ein Training
       für die [2][Reise in den Weltraum] verkaufen. In einem Logbuch soll Tom
       alle Details der Reise aufzeichnen und die größeren Geschwister werden als
       Erster Offizier (weil hyperaktiv) und Funkerin (handysüchtig) rekrutiert.
       
       Mit dem Satz: „Wenn du Oma und Opa schaffst, dann schaffst du auf jeden
       Fall auch den Mars“, spielt Toms Mutter ihre Trumpfkarte aus. Denn die
       Großeltern sind ein in fröhlichem Chaos lebendes Rentnerpaar, und der Film
       erzählt davon, wie Tom bei ihnen von roten Haustüren, nackt badenden
       Übergewichtigen und Dorfpolizist*innen, die ihn unbedingt anfassen wollen,
       geplagt wird. Außerdem bewegt sich ein Asteroid auf die Erde zu und als
       dieser verschwindet, ist Tom vielleicht der Einzige, der ihn wiederfinden
       kann.
       
       „Grüße vom Mars“ basiert auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Sebastian
       Grusnick und Thomas Möller, und die Regisseurin Sarah Winkenstette hat es
       für ein Zielpublikum von schon etwas älteren Kindern inszeniert. Dabei
       werden die Neun- bis Zwölfjährigen von ihr ernst genommen. So wird etwa der
       Unterschied zwischen einem Asteroiden und einem Kometen nicht erklärt,
       sondern als bekannt (oder googlewürdig) vorausgesetzt. Es gibt Requisiten
       wie Toms Raumanzug (mit zuklappbarem Helm), die viele Kinder sicher auch
       gerne unter ihren Weihnachtsbäumen hätten, und viel Spaß macht auch das
       Weltraummodell, das Tom aus Alltagsgegenständen wie Fahrradteilen,
       Christbaumkugeln und einem alten Tonbandgerät zusammenbastelt.
       
       Die Fantasien von Tom werden in kurzen Zeichentricksequenzen sichtbar
       gemacht, in denen etwa der Familienbus sich auf der [3][Hamburger
       Köhlbrandbrücke] in eine startende Rakete verwandelt.
       
       Aber Winkenstette hat auch mit anspruchsvolleren Filmtricks gearbeitet, die
       man sonst eher in Genrefilmen für Erwachsene findet. So arbeitet sie viel
       mit einer subjektiven Kamera, versucht also, die Welt so zu zeigen, wie Tom
       sie sieht. Dabei hat der Kameramann Jakob Berger mit speziellen Linsen und
       Filtern gearbeitet, durch die das Filmbild voller diffuser Unschärfen ist,
       sodass man in diesen Momenten die Welt wie Tom als einen fremden, nur in
       Fragmenten erkennbaren Ort wahrnimmt.
       
       Diese Zerrbilder sind aber nie so fremdartig, dass jüngere Kinder durch sie
       geängstigt werden könnten, und Tom ist immer im Schutzraum seiner Familie
       sicher aufgehoben. Der Film hat eine positive Grundatmosphäre, und es
       gelingt Sarah Winkenstette, die sich mit TV-Serien wie „Die Jungs-WG“ oder
       „Schloss Einstein“ und ihrem ersten Kinofilm „Zu weit weg“ auf Stoffe für
       Kinder und Jugendliche spezialisiert hat, das Idealbild einer [4][Familie]
       auf die Leinwand zu bringen, in der am Schluss die Großeltern, die Mutter
       und die drei Kinder als Helden dastehen. Und in einer Traumsequenz sieht
       man Tom dann auch tatsächlich in seinem Raumanzug im Weltall schweben:
       „völlig losgelöst von der Erde“.
       
       7 May 2025
       
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