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       # taz.de -- 10 Jahre SOS Humanity: Kein Happy Birthday
       
       > Die NGO SOS Humanity rettet Menschen im Mittelmeer. Jetzt wird sie zehn
       > Jahre alt – Grund zum Feiern hat sie allerdings wenig.
       
   IMG Bild: Trotz zahlloser Versuche das zu ändern, ist Seenotrettung nach wie vor legal
       
       Berlin taz | Es ist kein fröhlicher Geburtstag: Seit zehn Jahren rettet die
       Organisation SOS Humanity Menschen, die auf dem Mittelmeer in Seenot
       geraten – weil die EU und ihre Mitgliedstaaten es nicht mehr tun. Im
       Oktober 2014 beendete die italienische Regierung ihre Seenotrettungsmission
       „[1][Mare Nostrum]“ wegen fehlender Unterstützung der EU. Seitdem setzt
       diese auf Abschottung statt Rettung.
       
       SOS Humanity, das früher SOS Méditerannée hieß, hat seit seiner Gründung im
       Mai 2015 laut eigenen Angaben mehr als 38.500 Menschen gerettet. Trotzdem
       sind in diesem Zeitraum fast 25.000 Menschen bei der Überquerung des
       Mittelmeers gestorben. Die meisten von ihnen sind Geflüchtete, die in
       Europa Schutz vor Gewalt und Armut suchten.
       
       In einem [2][am Montag veröffentlichten Report] kritisiert die Organisation
       die Europäische Union scharf – vor allem, weil diese eng mit den
       Regierungen von Libyen und Tunesien zusammenarbeitet, um Menschen an der
       Ankunft in Europa zu hindern. Die Küstenwachen der beiden Länder bringen
       Migrant*innen zurück nach Tunesien und Libyen, wo sie [3][systematischen
       Misshandlungen] wie Schlägen, Folter, Vergewaltigungen und Menschenhandel
       bis hin zu Mord ausgesetzt sind, heißt es in dem Report.
       
       Schon 2022 sprach eine Untersuchungsmission der Vereinten Nationen von dem
       begründeten Verdacht, dass in Libyen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
       gegen Migrant*innen begangen werden. Zwischen 2017 und März 2025 wurden
       laut SOS Humanity 166.393 Menschen auf dem Meer gewaltsam in das
       nordafrikanische Land zurückgebracht.
       
       ## Pullbacks mit Schusswaffen nach Tunesien und Libyen
       
       Der Report der NGO stützt sich auf Berichte von Augenzeugen, die auch von
       Menschenrechtsverletzungen durch die Behörden der Küstenwachen selbst
       sprechen. Diese würden Schusswaffen und Gewalt einsetzen, um Menschen
       zurück nach Libyen und Tunesien zu zwingen.
       
       „Drei junge Männner sprangen wegen der schweren Schläge, die sie erleiden
       mussten, ins Meer. Die libysche Küstenwache ließ sie vor unseren Augen
       sterben und beschimpfte sie sogar, während sie ertranken. Sie sagten
       zueinander: Lasst sie sterben, das ist leichter für uns und für sie“,
       berichtet ein Augenzeuge. Auch die Küstenwache von Tunesien geht laut SOS
       Humanity gewaltsam gegen Migrant*innen auf dem Meer vor und fährt
       gezielt Manöver, um Schiffbrüche zu verursachen. Die EU mache sich durch
       ihre Zusammenarbeit mit den zwei Ländern an alldem mitschuldig.
       
       SOS Humanity rechnet auch die finanziellen Kosten dieser
       Abschottungspolitik der EU vor. Diese gab in den vergangenen zehn Jahren
       durchschnittlich über 242 Millionen Euro pro Jahr für „Grenzschutz“ in
       Libyien und Tunesien aus. Unter anderem werden mit diesem Geld die
       Küstenwachen finanziert.
       
       ## Groko will noch enger mit Tunesien zusammenarbeiten
       
       Zu ihrem zehnten Geburtstag fordert SOS Humanity von der EU und der
       deutschen Bundesregierung unter anderem, ihrer Pflicht der staatlichen
       Seenotrettung nachzukommen, die derzeitige Zusammenarbeit mit der
       tunesischen und libyschen Küstenwache zu beenden und ein europäisches
       Seenotrettungsprogramm aufzusetzen.
       
       Dass die neue Bundesregierung diesen Forderungen nachkommen oder sie auf
       europäischer Ebene einfordern wird, ist allerdings unwahrscheinlich. In dem
       am Montag unterschriebenen [4][Koalitionsvertrag] zwischen Union und SPD
       wird das Wort Seenotrettung nicht einmal erwähnt. Stattdessen sollen
       Asylsuchende an deutschen Außengrenzen abgewiesen und mehr Länder als
       sichere Drittstaaten ausgewiesen werden, darunter auch Tunesien.
       
       6 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Mare-Nostrum/!t5011058
   DIR [2] https://sos-humanity.org/wp-content/uploads/2025/05/SOS_HUMANITY-Report-2025_No1_20250430-dt-1.pdf
   DIR [3] /Menschenrechtsverletzungen-in-Libyen/!6073239
   DIR [4] https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag2025_bf.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alice von Lenthe
       
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