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       # taz.de -- Gedenken an Kriegsende in Torgau: Kretschmers Botschaft an Russlands Botschafter
       
       > Vor 80 Jahren trafen sich in Sachsen sowjetische und amerikanische
       > Befreier. Zum Gedenken kam auch Russlands Botschafter. Nicht er wurde
       > ausgebuht.
       
   IMG Bild: Michael Kretschmer während der heutigen Gedenkveranstaltung
       
       Torgau taz | Applaus und empörte Buhrufe vermengen sich, als Sachsens
       Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) den Höhepunkt seiner Rede
       erreicht und sich direkt an den russischen Botschafter wendet. Kretschmer
       steht am Freitagvormittag im sächsischen Torgau am Fuße des Monuments der
       Begegnung. Kyrillische Buchstaben über ihm ehren die Rote Armee und ihre
       Verbündeten für den Sieg über das faschistische Deutschland. In Stein
       gemeißelt sind darüber die Flaggen der Sowjetunion und der USA zu sehen.
       Sterne, Hämmer, Sicheln. Das Denkmal erinnert an das erste Zusammentreffen
       der Roten Armee mit US-Soldaten kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs
       vor 80 Jahren, am 25. April 1945.
       
       Jährlich gedenkt Torgau feierlich diesem Tag. Daran knüpft auch Kretschmer
       an: „Keine Veranstaltung hier, kein Händereichen eines amerikanischen und
       eines Zeitzeugen der Roten Armee hat stattgefunden, ohne dass die sich
       geschworen haben: Nie wieder Krieg.“ Krieg sei das Schlimmste, was es gibt,
       beschwört Kretschmer und wendet sich dann an den russischen Botschafter
       Sergej Netschajew, der inmitten der Menge vor dem Monument steht und
       lauscht.
       
       Manche der Zuhörer:innen tragen wie der Botschafter das
       Sankt-Georgs-Band, das seit Beginn des russischen Angriffskriegs als
       Propagandazeichen gilt. Einige sind T-Shirts mit Hammer und Sichel
       erschienen, dem alten Wappen der Sowjetunion. Auch Kinder von
       Wehrmachtssoldaten nehmen jedes Jahr am Gedenken teil. Unmittelbar vor
       Beginn des offiziellen Gedenkens kamen zudem Rocker des
       russisch-nationalistischen Motorradclubs „Nachtwölfe“ zum Denkmal. Sie
       legten Kränze und rote Nelken nieder. Vor den Motorrädern ritt eine Frau
       mit einer Russland-Fahne auf einem Pferd.
       
       Zum ersten Mal dabei sind die vier Söhne des amerikanischen Infanteristen
       Robert Ellis, der im Zweiten Weltkrieg gegen die Deutschen kämpfte. Um
       seinen Spuren nachzugehen, seien sie aus den USA nach Europa geflogen,
       erzählen sie der taz. Auf die Anwesenheit des russischen Botschafters
       angesprochen sagen sie, der politische Kontext sei kompliziert. Aber sie
       hofften auf einen schnellen Frieden in der Ukraine, damit das Sterben
       aufhöre. Über Torgau verdunkeln graue Wolken den Himmel.
       
       ## „Es liegt an Russland, den Krieg zu beenden“
       
       Kretschmer sagt, er habe eine Botschaft an Netschajew: „Es war Russland,
       das einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukrainer begonnen hat.“
       Netschajew blickt unverändert auf Kretschmer. Der Ministerpräsident setzt
       fort: „Nicht 2021, sondern schon 2014. Und es liegt an Russland, nur an
       Russland, diesen Krieg zu beenden.“ Während der letzten Worte applaudieren
       einige der Anwesenden, andere buhen Kretschmer für diese Bemerkung aus. Der
       Botschafter lässt sich nichts anmerken.
       
       Dass Netschajew am Gedenken in Torgau teilnehmen wollte, [1][hatte schon
       vor ab bundesweit für Furore gesorgt]. Vor dem Hintergrund des Krieges in
       der Ukraine hatte das Auswärtige Amt im Bund davor gewarnt, russische und
       belarussische Vertreter:innen könnten das Gedenken für ihre Propaganda
       vereinnahmen. Rederecht bekam Netschajew in Torgau nicht.
       
       Torgaus Oberbürgermeister, Henrik Simon (parteilos), hatte betont, dass der
       russische Botschafter nicht explizit eingeladen worden sei. Die Stadt habe
       außerdem bereits im Februar die Botschaften Großbritanniens, Frankreichs,
       der Ukraine, Polens, der USA und Kasachstans informiert. Neben der
       russischen hatte sich nur die französische Botschaft angekündigt.
       
       Kurz vor dem Gedenken [2][forderte der ukrainische Botschafter Oleksii
       Makeiev, die Teilnahme Russlands zu unterbinden]. In der Nacht zuvor hatte
       Russland erneut die ukrainische Hauptstadt Kyjiv mit Raketen und Drohnen
       beschossen und mindestens ein Dutzend Menschen getötet. Wenn Netschajew am
       Gedenken teilnähme, „verspotte“ das den Friedensschwur, sagte Makeiev.
       
       „Wir haben keinen ausgeladen“, erklärt Torgaus Oberbürgermeister Simon am
       Freitag der taz, „weil ich glaube, das hilft nicht dabei, die Gräben zu
       schließen.“ Bei den Bildern, die täglich aus der Ukraine zu sehen seien,
       sei das entscheidende, „dass nur Russland diesen Krieg beenden kann.“
       Vielleicht nehme der Botschafter das mit, sagt Simon hoffnungsvoll, „das
       sollte zumindest versucht werden.“
       
       ## USA, Ukraine, Belarus, Georgien halten sich fern
       
       Das Gedenken in Torgau ist besonders, weil es nicht an Tote oder Helden
       erinnert, sondern an das friedliche Aufeinandertreffen zweier Armeen. Als
       am 25. April 1945, einem Sonntag, Soldaten der Roten Armee auf jene der
       Vereinigten Staaten trafen, dauerte der Zweite Weltkrieg bereits mehr als
       fünf Jahre an. Der Handschlag in Torgau, er kündete vom Ende der deutschen
       Nazi-Diktatur. US-Soldaten und Rotarmisten, West und Ost, gemeinsam gegen
       Faschismus und Krieg, das war die Botschaft. Gut zwei Wochen später
       kapitulierte die Wehrmacht.
       
       In dem von Deutschland begonnenen Krieg wurden schätzungsweise 60 Millionen
       Menschen getötet. Fast die Hälfte kam aus den 15 Nationen der Sowjetunion:
       27 Millionen Tote. Fünf Monate nach der Begegnung in Torgau ließ die
       Sowjetunion das Denkmal an der Elbe errichten.
       
       Der Sieg über Nazi-Deutschland galt in der Sowjetunion als eine der größten
       Errungenschaften. Bis heute begeht [3][Russland den „Tag des Sieges“ am 9.
       Mai mit einer großen Parade in Moskau]. Präsident Wladimir Putin feiert
       dabei aber mittlerweile eher die Soldaten, die für ihn gegen die Ukraine
       kämpfen, als die Veteranen des Zweiten Weltkriegs.
       
       In Torgau drückt Michael Kretschmer in seiner Rede Bedauern darüber aus,
       dass keine Vertreter:innen der USA, der Ukraine, Georgiens oder Belarus
       beim Gedenken dabei sind. Der Grund sei wohl „die Anwesenheit des
       russischen Kollegen“, vermutet der Ministerpräsident. Doch trotz allem sei
       es wichtig, das Gedenken in Torgau zu begehen, schließt er seine Rede. „Das
       ist ein wichtiger Beitrag für die Demokratie, für die Freiheit, für den
       Frieden.“ Danach steigt Kretschmer vom Monument herunter, reicht Netschajew
       kurz die Hand und stellt sich ein paar Meter abseits von ihm in die Menge.
       
       25 Apr 2025
       
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