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       # taz.de -- Architekturbiennale in Venedig: Die Intelligenz nachwachsender Baustoffe
       
       > Können Technik und nachhaltige Produkte leisten, was Politiker nicht
       > hinkriegen: die Klimakrise lösen? Das fragt die Architekturbiennale in
       > Venedig.
       
   IMG Bild: „Gateway To Venice’s Waterways“ von Norman Foster Foundation, Porsche, BAU + Empty und Aerotrope am Arsenal in Venedig
       
       So viele pilzartige Raumgewächse stehen herum, so vielen amöbenhaften
       Objekten kann man jetzt in Venedig über ihre porösen Oberflächen aus
       irgendetwas Erdigem oder Recyceltem streichen. Auch durch eine „Kapelle“
       lässt sich laufen, deren hübsch zwischen Hell- und Tarngrün changierende
       Rippenbögen aus Elefantendung geformt sind. Zwischen den mächtigen Säulen
       des Arsenals, deren bröckelnder Putz darauf hinweist, dass die große Zeit
       der historischen Schiffswerft eher in der Vergangenheit liegt, ist ein
       rhizomartiges Textildach gespannt. Etwas blitzt in ihm auf: elektrische
       Fäden, sozusagen Nervenbahnen. Welche Informationen da wohl gerade durch
       das Nervensystem schießen?
       
       Jetzt [1][eröffnet die Architekturbiennale in Venedig], die 19. Ausgabe
       dieses internationalen Riesenevents ist es. 750 Aussteller:innen hat
       der leitende Kurator Carlo Ratti unter dem Titel „Intelligens. Natural.
       Artificial. Collective“ im Arsenal versammelt – Architekturbüros,
       Recherchegruppen und viele Firmen. Rund 60 nationale Pavillons nehmen teil.
       Massenhaft zwängt man sich nun in die Lagunenstadt für diesen eigentlich
       antiquierten, aber seit Jahrzehnten gut geölten Wettbewerb um
       Aufmerksamkeit auf der Weltbühne der Kunst und Architektur. Russland ist
       nicht dabei, sein Pavillon in den Giardini steht leer. [2][Auch Israel
       nimmt nicht teil. Es heißt, sein Pavillon] müsse restauriert werden. Einige
       große Konflikte auf dem Globus werden hier jetzt einfach ausgeblendet.
       
       Der Regen strömt in Venedig am ersten Tag der Presseeröffnung, der helle
       Fassadenstein von Andrea Palladios San Giorgio Maggiore verschwindet in den
       tiefen, grauen Wolken, der Fischmarkt an der Rialto-Brücke ist vom Canal
       Grande überflutet. Der Klimawandel und sein unberechenbares Wetter finden
       vor der elegant dahinrottenden Kulisse dieser Stadt ein schauderhaft
       schönes Schauspiel. Venedig könnte im Jahr 2100 schon um 75 Zentimeter im
       Wasser versunken sein, heißt es in einem Bericht des Weltklimarats IPCC.
       An dem orientierte sich auch Carlo Ratti. Die Klimakrise ist das
       eigentliche Thema seiner Schau.
       
       Das 1,5-Grad-Ziel ist bei Ratti passé, so wie ohnehin internationales Recht
       oder politische Einigungen, wie der Krise zu begegnen sei, kaum eine Rolle
       spielen auf dieser Architekturschau. Hier sind wir wohl in der multipolaren
       Welt angekommen. Stattdessen setzt Ratti auf das architektonische Objekt
       als Problemlöser. Ein total hybrides Objekt, geschaffen von Firmen, durch
       Technologie und KI-generiertem Wissen aus der Natur. So erklären sich die
       Baustoffe aus Fasern der Bananenpflanze oder bakteriell recycelten
       Kunststoffen, die der 3D-Drucker wieder in Form einer Insektenwabe
       ausspuckt, die künstlichen Austernriffe, die Bäume als mitwachsender
       Baustoff, die es hier so viel gibt. „Echte Intelligenz ist überall zu
       finden“, sagt Ratti auf einer Pressekonferenz. „Konfrontiert mit einer
       brennenden Welt, müssen wir in der Architektur jegliche Intelligenz nutzen,
       die uns umgibt.“
       
       Architekt Ratti, geboren 1971 in Turin mit Büros ebendort sowie in New York
       und London leitet auch das Senseable City Lab am renommierten Massachusetts
       Institute of Technology in den USA. Er entwarf das zweitgrößte Hochhaus in
       Singapur mit, in dessen fließend sich öffnende Fassade er hoch über der
       Stadt Kleinwälder anpflanzen ließ, und er konzipierte mit Techgiganten wie
       Uber Datenstudien zur Nutzung städtischer Räume. Dass er mit seinem wenig
       politischen Technikoptimismus zum Hauptkurator dieser großen
       Architekturschau ernannt wurde, hat vielleicht auch was mit dem neuen
       Biennale-Leiter Pietrangelo Buttafuoco zu tun, der bereits bei Rattis
       Ernennung Anfang 2024 mitreden konnte. [3][Der ehemalige TV-Journalist
       Buttafuoco steht der rechten Regierung] von Giorgia Meloni nahe. Besser
       also nicht zu viel kritischen Geist in die Biennale lassen.
       
       Dabei hat Ratti gleich zu Beginn der Ausstellung ein bisschen
       Gesellschaftskritik äußern lassen wollen: Das Rechercheunternehmen für
       Energietechnik Transsolar lässt nun in der ersten Halle des Arsenal zig
       ratternde Außenventilatoren von Klimaanlagen von der Decke hängen. Das ist
       furchtbar heiß und stickig. Der kühle Komfort für die einen drinnen ist die
       Hitze für die anderen draußen, so die mahnende Message. Doch der thermische
       Schock wird nur zum schönen „Puff“, nachdem Ratti noch Michelangelo
       Pistoletto mit hinzuholte. Der ließ nun in der gleichen Halle ein
       geschwungenes Wasserbecken hineinstellen in jenen 75 Zentimetern Höhe des
       ansteigenden Wasserspiegels, die Wand – [4][wie es der altehrwürdige,
       mittlerweile 91 Jahre alte Künstler häufig macht – füllend mit einem
       riesigen Spiegel] versehen. Das sieht poetisch aus. Nicht gewarnt vor einer
       „brennenden Welt“ betritt man hierauf die weitere Ausstellung, sondern
       vielmehr ästhetisch weichgestimmt.
       
       Die Architekturschau wird im Folgenden vor allem zu einer Produktmesse. Und
       in ihren dramatisch abgedunkelten Hallen weiß man gar nicht so recht, ob
       die Welt, die darin als Symbiose von Natur, Mensch und Technik beschworen
       wird, eine utopische oder eine dystopische ist. Heatherwick Studio stellt
       eine Raumskulptur vor, aus der sich Formen wie Pfifferlinge herauswinden.
       In deren transparenten, hydrierten Kappen wachsen Salate – und das auch im
       outer space. Hat nicht neulich noch Elon Musk Tomaten für den Weltraum
       züchten lassen?
       
       Architekt Norman Foster hat mit dem Unternehmen Porsche zusammen einen
       Bootsteg entwickelt. Wie eine Schlange ragt der nun in den Kanal, dessen
       Hülle aus Metallmodulen ihren Schuppen ähnelt. Betritt man das kreatürliche
       Bauwerk, versprüht die Schlangenhaut Wasser, als sei man im Regenwald –
       oder eher in einem Luxusspa. Das erinnert dann auch daran, wie exklusiv es
       hier eigentlich zugeht, dass auf dieser Biennale zu kurz kommt, wer
       überhaupt Zugang zu diesen neuen, schönen, nachhaltigen
       Produktentwicklungen kriegen kann.
       
       Neben dem Porsche-Steg lässt das Architekturbüro Diller Scofidio+Renfro
       das Kanalwasser von Venedig durch ein Klärsystem laufen, um daraus Espresso
       mit Venetian spice zuzubereiten. Da blubbert das trübe Nass in
       transparenten Bottichen auf vier Metern Höhe und tröpfelt langsam durch
       pfanzliche Filter. Aber so ganz will das am Tag der Presseeröffnung noch
       nicht klappen mit dem Espresso. „La merde“, hört man den Barrista fluchen.
       Ob das alles noch gutgeht, mit den Problemlösungen in der brennenden Welt?
       
       9 May 2025
       
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