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       # taz.de -- Rumänien vor Politikwechsel: Eine Schockwelle jagt die nächste
       
       > Der Rechtsradikale George Simion könnte Rumäniens nächster Präsident
       > werden. Er kündigt eine konservative Revolution an – und Europa wird
       > nervös.
       
   IMG Bild: Calin Georgescu und George Simion nach der Stimmabgabe am 4. Mai in Bukarest
       
       Berlin taz | Der deutliche [1][Sieg des rechtsradikalen Kandidaten George
       Simion] in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hat Rumänien kräftig
       durchgeschüttelt. Am 5. Mai, dem Tag danach, trat der Ministerpräsident und
       Chef der sozialdemokratischen PSD Marcel Ciolacu zurück. Der
       kommissarische Staatspräsident ernannte daraufhin den amtierenden
       Innenminister Cătălin Predoiu zum neuen Regierungschef.
       
       Die Koalitionsregierung, bestehend aus der PSD, der Nationalliberalen
       Partei (PNL) und dem Demokratischen Union der Ungarn in Rumänien (UDMR)
       ging zur Präsidentschaftswahl mit einem gemeinsamen Kandidaten ins Rennen.
       Dieser jedoch erhielt nicht die nötigen Stimmen, um in die Stichwahl zu
       kommen.
       
       [2][In der zweiten Runde] am 18. Mai stehen sich nun der Kandidat der
       rechtsradikalen Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR), George
       Simion, für den rund 41 Prozent der Wähler*innen gestimmt haben, und der
       Unabhängige Nicuşor Dan, der knapp 21 Prozent erhielt, gegenüber. Laut
       einer Umfrage könnte Simion bei der Stichwahl auf mehr als 54 Prozent
       kommen, sein Rivale nur auf rund 45 Prozent.
       
       Seit Dezember durchlebt Rumänien eine Schockwelle nach der anderen. Wegen
       angeblicher illegaler Wahlkampffinanzierung hatte das
       [3][Verfassungsgericht die erste Runde der Präsidentschaftswahl am 24.
       November annulliert] und damit den bevorstehenden Sieg des Ökofaschisten
       und Esoterikers Călin Georgescu verhindert. Mit raunenden
       Heilsversprechungen, vaterländischen Tiraden sowie Sympathiebekundungen für
       US-Präsident Trump war es Georgescu gelungen all jene anzusprechen, die
       mit der regierenden Parteienelite unzufrieden sind. Eine erneute Kandidatur
       Georgescus für die neu angesetzte Wahl am 4. Mai wurde abgelehnt.
       
       ## Orchestrierte Kampagne oder echte Unterstützer?
       
       Gegen ihn läuft ein Ermittlungsverfahren wegen undurchsichtiger
       Finanzierung des Wahlkampfs 2024. Ein angeblicher Geldgeber wurde
       festgenommen, jedoch mangels Beweisen aus der Untersuchungshaft entlassen.
       Georgescu bestreitet die Vorwürfe und behauptet, seine Kampagne in den
       sozialen Netzwerken verdanke sich allein dem Einsatz freiwilliger
       Unterstützer.
       
       Diese Darstellung teilt auch Simion, der als Präsidentschaftskandidat mit
       dem Anspruch angetreten ist, das Programm Georgescus umzusetzen. Bei seinen
       öffentlichen Auftritten und in Internetbotschaften erklärt Simion in
       staatsmännischer Pose, nach seinem Wahlsieg Călin Georgescu zum
       Ministerpräsidenten einer neuen Regierung einsetzen zu wollen. Sein
       gemeinsamer Auftritt mit Georgescu am Wahltag war als Signal dafür
       gedacht, dass ein zukünftiger Präsident Simion seine Versprechen auch
       umsetzen werde.
       
       In mehreren Interviews skizzierte er weitere Maßnahmen, die darauf
       abzielten, seinen Unterstützerkreis zu erweitern. Simion, dessen Ansichten
       mit denen anderer euroskeptischer Rechtsparteien übereinstimmen, erklärte,
       500.000 Staatsbeamte entlassen zu wollen. Die Maßnahme diene nicht nur der
       Zerschlagung alter, auf Vetternwirtschaft basierender Seilschaften, sondern
       auch der Sanierung des angeschlagenen Haushalts. Als Modell für die
       Verschlankung des Staats und den Bürokratieabbau nannte er den
       rechtspopulistischen argentinischen Präsidenten Javier Milei.
       
       ## Rumänien braucht glaubwürdige Linke
       
       Dessen radikales Privatisierungsprogramm wird auch von Claudiu Năsui, einem
       einflussreichen Politiker der neoliberalen Union Rettet Rumänien (USR)
       geteilt. Die USR steht aber hinter Nicuşor Dan, dem Herausforderer
       Simions, den sie als einen „Isolationisten“ sieht und als Hemmnis für den
       europäischen Integrationsprozess.
       
       Für eine Unterstützung des parteilosen Bukarester Oberbürgermeisters und
       Mathematikers Dan wirbt auch der Ungarnverband, nachdem die PSD des
       zurückgetretenen Premiers ihren Mitgliedern empfohlen hatte, nach eigenem
       Gewissen zu wählen.
       
       Victoria Stoiciu, eine der wenigen authentischen linken Politikerinnen
       Rumäniens und als Senatorin der PSD im Parlament, kritisierte die
       Empfehlung ihrer Partei und plädierte für die Unterstützung des
       unabhängigen Kandidaten Dan in der Stichwahl. „Der Rückzug der PSD aus der
       Regierung ist eine Gelegenheit für eine Wiederbelebung einer glaubwürdigen
       Linken“, schrieb sie auf Facebook. „Rumänien braucht jetzt mehr denn je
       eine überzeugende Linkspartei, die ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit eine
       Agenda rückt, die fundamentale Werte vertritt: Gleichheit, Inklusion und
       Solidarität.“ Gerade deren Missachtung führte zu einer sozialen Schieflage,
       von der Populisten und Rechtsradikale vom Schlage Simions profitieren.
       
       32 Prozent der Bevölkerung – von rund 19 Millionen – leben an der
       Armutsgrenze, 10,8 Prozent darunter. Betroffen sind insbesondere junge
       Menschen, Rentner, Roma, Arbeitslose und Alleinerziehende. 55 Prozent der
       18- bis 35-Jährigen leben bei ihren Eltern, weil sie sich keine eigene
       Wohnung leisten können. Der gesetzliche monatliche Bruttomindestlohn liegt
       bei 3.700 Lei (etwa 700 Euro), aber angesichts von Preisen, die
       stellenweise so hoch wie in Deutschland sind, profitieren die
       Unterprivilegierten nicht davon.
       
       ## Hohe Zustimmung für Simion auch im Ausland
       
       Ein Mix aus Frust, Unzufriedenheit und Hass auf das Establishment dominiert
       in breiten Schichten der Bevölkerung, die außerhalb großstädtischer
       Zentren wie Bukarest oder Temeswar leben. Das Gefühl, von den Regierenden
       ignoriert zu werden, hat auch die im Ausland lebenden Rumänen erfasst. Mehr
       als 60 Prozent stimmten für Simion, nachdem sie im November mehrheitlich
       Georgescu gewählt hatten.
       
       Simion, dessen Erstrundensieg am vergangenen Sonntag auch die AfD begrüßte,
       erklärte, die konservative Revolution sei in vollem Gange und niemand könne
       sie noch aufgehalten. Sie werde schrittweise den ganzen Kontinent erfassen,
       letztendlich die EU zu einem Europa souveräner Vaterländer machen und den
       von Linken angestrebten Föderalisierungsprozess für immer stoppen.
       
       12 May 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR William Totok
       
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