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       # taz.de -- USA und Israel: Zunehmende Entfremdung
       
       > Die USA einigen sich mit der Hamas auf die Freilassung einer
       > israelisch-amerikanischen Geisel – wohl ohne israelische Beteiligung.
       
   IMG Bild: Durchdringen: Angehörige fordern noch im April an der Grenze zu Gaza die Freilassung von Edan Alexander
       
       Jerusalem taz | Die überraschend für Montagabend angekündigte Freilassung
       des US-israelischen Doppelstaatlers Edan Alexander aus der Geiselhaft der
       Hamas sorgt in Israel für gemischte Reaktionen. Angehörige der 59 noch im
       Gazastreifen festgehaltenen Entführten begrüßten die Einigung, kritisierten
       aber die israelische Regierung, die an den Verhandlungen laut
       Medienberichten nicht beteiligt gewesen war. „Mit gebrochenem Herzen“
       gratuliere man den Angehörigen, teilte die Familie des weiterhin in Gaza
       festgehaltenen Alon Ohel mit.
       
       Während im Ichilov-Krankenhaus in Tel Aviv die Vorbereitungen für den
       Empfang des seit 584 Tagen entführten 21-Jährigen liefen, betonte
       Regierungschef Benjamin Netanjahu, Israel werde an seinen Plänen für eine
       [1][Ausweitung der Angriffe auf den Gazastreifen] festhalten. Die ohne
       Israel geführten Verhandlungen werden weithin als ein Zeichen für zunehmend
       angespannte Beziehungen zwischen Netanjahu und US-Präsident Donald Trump
       gewertet.
       
       Die radikalislamische Palästinensergruppe Hamas kündigte an, im Gegensatz
       zu vergangenen Freilassungen auf [2][eine Inszenierung] zu verzichten. Die
       Armee unterbrach zeitweise ihre Angriffe im Gazastreifen, bei denen in der
       Nacht laut dem von der Hamas geleiteten Gesundheitsministerium mindestens
       29 Menschen getötet worden waren.
       
       Die Einigung kam laut Medienberichten zustande, nachdem eine inoffizielle
       Kontaktperson der Hamas unterbreitet hatte, die bedingungslose Freilassung
       Alexanders könne die Trump-Regierung dazu bewegen, Druck auf Israel für
       eine weitergehende Einigung auszuüben.
       
       ## Festgefahrene Verhandlungen
       
       Die Verhandlungen sind festgefahren: Die Hamas hat mehrfach erklärt, alle
       Geiseln im Gegenzug für ein Ende des Krieges und einen Abzug der
       israelischen Armee freilassen zu wollen und die politische Kontrolle über
       den Küstenstreifen abzugeben. Eine Entwaffnung lehnt sie ab. Israel weigert
       sich, den Krieg ohne die Zerstörung der Hamas zu beenden.
       
       Stattdessen hungert Israel die mehr als zwei Millionen Bewohner des
       Küstenstreifens seit mehr als zwei Monaten durch eine vollständige Blockade
       von Hilfslieferungen aus. Mehr als 70.000 Kinder unter fünf Jahren sollen
       von ernster Mangelernährung betroffen sein, hieß es in einem Bericht der
       IPC-Initiative, die auf die Analyse von Nahrungskrisen spezialisiert ist.
       
       Derzeit ruft die israelische Armee zehntausende Reservisten für eine neue
       Offensive ein, durch die Gaza vollständig erobert und dauerhaft besetzt
       werden soll. Der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich fordert
       offen die „vollständige Zerstörung“ Gazas und die Vertreibung der
       Bevölkerung. Bis heute wurden seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023
       mehr als 50.000 Palästinenser getötet, unter ihnen 18.000 Kinder.
       
       Weltweit sorgt Israels Vorgehen zunehmend für Entsetzen. Auch innerhalb des
       Landes wächst die Frage, wohin der Krieg führen soll. Dennoch steht die
       Regierungskoalition aus der rechtsnationalen Likud-Partei, radikalen
       Siedlern und Ultraorthodoxen, deren Anhänger vom Krieg politisch
       profitieren, weiter hinter Netanjahu. Doch die Freilassung Alexanders
       könnte sie unter Druck setzen.
       
       Israels Führung versuchte am Montag, die Einigung auch als Resultat ihres
       militärischen Drucks darzustellen. US-Verhandler Steve Witkoff hatte jedoch
       jüngst laut dem israelischen Sender Kanal 12 gegenüber Geisel-Angehörigen
       auf eine zunehmende Entfremdung blicken lassen: Israel sei „nicht bereit,
       den Krieg zu beenden, und verlängert ihn, obwohl wir nicht sehen, wohin es
       noch gehen soll“.
       
       Die Auswirkungen dieser Entfremdung gehen längst über vage Andeutungen
       hinaus. Trump lässt bei seiner anstehenden Nahost-Reise einen Besuch bei
       Netanjahu aus und hat in den vergangenen Wochen zunehmend Nahost-Politik
       gemacht, ohne israelische Interessen in Erwägung zu ziehen. Das gilt für
       den Waffenstillstand zwischen Washington mit der proiranischen Huthi-Miliz,
       die zwar ihre Angriffe auf den internationalen Schiffsverkehr einstellen,
       nicht aber den Raketenbeschuss auf Israel. Es zeichnet sich aber auch bei
       einem möglichen Abkommen mit Saudi-Arabien ab. Der Nachrichtenagentur
       Reuters zufolge könnte Trump in Riad ein Waffenpaket im Wert von weit über
       100 Milliarden US-Dollar anbieten. Auch ein Abkommen über zivile
       Atomenergie liegt auf dem Tisch. Die bisherige Voraussetzung einer
       Normalisierung der Beziehungen mit Israel scheint Washington fallen zu
       lassen.
       
       12 May 2025
       
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   DIR Felix Wellisch
       
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