# taz.de -- Soziologe über rechten Libertarismus: „Sie wollen so viel wie möglich vom Staat abschaffen“
> Der Libertarismus ist der ideologische Rahmen für rechte
> Politiker*innen weltweit. Andreas Kemper über die rechte Aneignung
> des einst linken Begriffs.
IMG Bild: Will eine anarcho-kapitalistische Gesellschaft: Javier Milei, hier bei einer Wahlkampfveranstaltung am 15. Mai in Buenos Aires
taz: Herr Kemper, was haben Elon Musk, Yavier Milei und Alice Weidel
gemeinsam?
Andreas Kemper: Sie verbindet eine Ideologie: der Libertarismus. Sie wollen
so viel wie möglich vom Staat abschaffen. Der Sozialstaat soll abgeschafft,
Bildungs- und Familienministerien sollen weggeschnitten werden. Javier
Milei geht in Argentinien noch weiter. Er will eine
[1][anarcho-kapitalistische Gesellschaft], in der überhaupt nichts
Staatliches mehr übrigbleibt und es nur noch Unternehmen gibt. Polizei,
Militär, Bildung und Gesundheit – alles soll privatisiert werden.
taz: Gehört der Begriff Libertarismus nicht ursprünglich zur linken
Terminologie?
Kemper: Ja, libertär bedeutet eigentlich etwas ganz anderes. Er kommt aus
dem Sozialanarchismus und ich sehe mich selber auch in dieser Tradition.
Aber in der rechten Szene wurde seine Bedeutung ins Gegenteil verwandelt.
Javier Milei fordert zum Beispiel einen freien Organhandel. Für ihn wäre es
Freiheit, wenn die Menschen ihre eigenen lebenswichtigen Organe
kommerzialisieren. Das hat nichts mehr mit einer menschenrechtlichen
Tradition zu tun.
taz: Seit einiger Zeit ist dies ja keine akademische Diskussion über
politische Theorien mehr. Entspricht es nicht auch dieser Ideologie, wenn
US-Präsident Donald Trump die Universitäten finanziell austrocknen und das
Public Radio abschaffen will?
Kemper: Ja, aber bei Trump ist es komplizierter, weil er verschiedene
Gruppen von seinen Unterstützern bedienen muss. Das sind die [2][völkischen
Nationalisten mit seinen „Proud Boys“], die evangelikanischen Fanatiker und
schließlich seine kapitalistischen Freunde um [3][Elon Musk], die einen
„hightech libertanism“ anstreben. Aber dazu passt seine Zollpolitik
überhaupt nicht.
taz: In ihrem Gespräch mit Elon Musk vor der Bundestagswahl hat Alice
Weidel die AfD als eine „libertär konservative Partei“ bezeichnet. Hat sie
das gemacht, um Musk auf ihre Seite zu ziehen oder um diese Terminologie
auch in Deutschland durchzusetzen?
Kemper: Bisher hatte sie ihre Partei immer als liberal konservativ
bezeichnet. Aber sie kommt selber aus dieser Denkschule und innerhalb der
AfD gibt es ja Richtungsstreitigkeiten. In Elon Musk hat sie einen
mächtigen Menschen, der die AfD unterstützt und der diese Ideologie mit ihr
teilt. Und das stärkt den libertären Flügel der Partei.
taz: Dieser Umkehrung der ursprünglichen Bedeutung des Wortes entspricht ja
auch [4][Alice Weidels absurde Aussage, Hitler wäre ein Linker gewesen.]
Kemper: Ja, denn für die ist alles Sozialismus. Ex-Bundeskanzlerin Angela
Merkel war eine Sozialistin, die Kontaktbeschränkungen wegen Corona waren
Seuchensozialismus, Maßnahmen gegen die Erderwärmung sind Klimasozialismus
und für Javier Milei ist auch der Neoliberalismus eine Art von Sozialismus.
Hans-Hermann Hoppe, einer der Vordenker der Bewegung, hat gesagt, er sehe
keinen großen Unterschied zwischen dem Parteiprogramm der FDP und dem
kommunistischen Manifest von Karl Marx.
taz: Sehen Sie die Gefahr, dass sich auch andere Staaten in diese Richtung
verändern?
Kemper: Ja, zum Beispiel Großbritannien. Der Brexit ging ja auch in diese
Richtung. Der Handelsberater von Boris Johnson, Shanker Singham, hat
gesagt, der [5][Brexit] sei dafür da, Großbritannien für die Globalisierung
zu öffnen. Ohne die Regulierungen durch die EU sollen „property zones“
geschaffen werden, also Leuchtturmstädte, zwischen denen der Handel
zollfrei sein würde. Die Londoner „finance city“ wäre dann eine eigene
Stadt innerhalb von London und sie würde mit Städten wie Dubai und Singapur
Geschäfte machen.
taz: Und dann?
Kemper: Es geht darum, wie viel Autonomie man diesen Städten überlässt. In
denen gäbe es dann immer weniger Staatlichkeit und das würde immer weniger
Demokratie, Gewerkschaftsrechte sowie Umweltstandards bedeuten. Und dieses
Freihäfen-Programm wird von der jetzigen britischen Regierung
weitergeführt.
17 May 2025
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DIR Wilfried Hippen
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