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       # taz.de -- Israel beim Eurovision Song Contest: Der Wunsch nach Eskapismus
       
       > Die Situation in Gaza ist nicht mehr zu rechtfertigen, sagen sogar
       > Israels Verbündete. Israel sollte von Wettbewerben wie dem ESC
       > ausgeschlossen werden.
       
   IMG Bild: Protest während Yuval Raphaels Auftritt beim Halbfinale des Eurovision Song Contest, 14. Mai 2025
       
       Seit Anfang März lässt Israel keine Hilfslieferungen in den Gazastreifen.
       Nahrungsmittel und Medikamente gehen aus und Hilfsorganisationen warnen vor
       [1][einer massiven Hungersnot]. Der Nothilfekoordinator der UN, Tom
       Fletcher, prangerte die Blockade am Dienstag im UN-Sicherheitsrat an.
       Israel schaffe „bewusst und schamlos unmenschliche Bedingungen“, sagte er,
       und sprach von einem drohenden Völkermord. „Welche Beweise brauchen Sie
       jetzt noch?“, fragte er.
       
       Derweil kündigt Netanjahu einen weiteren Vormarsch an. Doch die Kritik
       daran wird immer lauter. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez
       bezeichnete Israel in dieser Woche als „genozidalen Staat“. Frankreichs
       Präsident Emmanuel Macron nannte Israels Vorgehen „inakzeptabel“ und eine
       „Schande“.
       
       Selbst Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, die bisher zum Vorgehen
       ihres Verbündeten in Israel geschwiegen hatte, bezeichnete die Lage im
       Gazastreifen als „durch nichts zu rechtfertigen“. Nur die deutsche
       Regierung versucht weiter so zu tun, als sei alles wie immer. Friedrich
       Merz hält stur daran fest, Benjamin Netanjahu nach Deutschland einzuladen,
       obwohl der wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gesucht wird, und
       [2][Frank-Walter Steinmeier schüttelte Netanjahu in Jerusalem die Hand]:
       ein Symbolbild für deutsche Realitätsverweigerung.
       
       Es ist längst überfällig, Israel von internationalen Wettbewerben wie dem
       Eurovision Song Contest auszuschließen. Das gilt auch für europäische
       Fußball-Wettbewerbe, wie man es mit russischen Mannschaften nach Russlands
       Angriff auf die Ukraine getan hat.
       
       ## Propaganda auf der Bühne
       
       Dass es in Israel demokratischer zugeht als in Russland ist kein Argument
       dagegen: Auch Demokratien müssen sich im Krieg an Regeln halten und das
       Völkerrecht achten. Die Teilnahme Israels an diesen Wettbewerben dient nur
       dazu, den Schein einer Normalität aufrechtzuerhalten, die es längst nicht
       mehr gibt. Der ESC macht sich damit außerdem zu einer Bühne für israelische
       Propaganda.
       
       Dass man von dort in diesem Jahr [3][eine Sängerin schickt, die den Angriff
       der Hamas am 7. Oktober 2023 überlebt hat], passt in die propagandistische
       Linie der Regierung, immer wieder auf die Kriegsverbrechen der Hamas und
       das dadurch verursachte Leid hinzuweisen, um von [4][eigenen
       Kriegsverbrechen] abzulenken oder diese gar zu rechtfertigen. Yuval Raphael
       ist eine unpolitische Sängerin, versteht sich aber dezidiert als
       Botschafterin ihres Landes. Ihre vordergründig ebenfalls unpolitische
       Ballade „New Day Will Rise“ handelt von Trauer und Selbstbehauptung
       angesichts eines erzwungenen Abschieds und kann, sicher kein Zufall,
       durchaus nationalistisch gelesen werden.
       
       Doch beim Eurovision Song Contest möchte man zwanghaft beim „business as
       usual“ bleiben. Zwar haben die Rundfunkanstalten Spaniens, Islands und
       Sloweniens und über 70 ehemalige Eurovision-Teilnehmer gefordert, Israel
       vom Musikwettbewerb auszuschließen. Sie werfen Israels
       öffentlich-rechtlichem Sender KAN vor, eine Mitschuld an der
       Entmenschlichung der Palästinenserinnen und Palästinenser zu tragen, die
       die brutale Kriegsführung begünstigt. Doch die Europäische Rundfunkunion
       (EBU), die den Musikwettbewerb veranstaltet und in der Deutschland als
       größter Beitragszahler eine zentrale Rolle spielt, setzt sich darüber
       hinweg. Man möchte sich die schöne Show nicht verderben lassen.
       
       ## Die deutsche Musikszene schweigt
       
       Dieser Eskapismus entspricht dem deutschen Hang zur Realitätsverleugnung,
       der auch in der Medien- und Kulturbranche verbreitet ist. Zum Start der
       Filmfestspiele in Cannes haben Stars wie Javier Bardem, Julie Delpy und
       weitere Filmschaffende gerade in einem offenen Brief [5][den „Völkermord“
       in Gaza verurteilt]. Jurypräsidentin Juliette Binoche erinnerte an die
       palästinensische [6][Fotojournalistin Fatima Hassouna], die mit ihren
       Verwandten im April bei einem israelischen Luftangriff auf ihr Haus getötet
       wurde und deren Film an der Croisette gezeigt wird.
       
       Bei der Verleihung des deutschen Filmpreises in Berlin applaudierte das
       Publikum dagegen kürzlich brav einem Wolf Biermann, der mit einem leicht
       abgewandelten Golda-Meir-Zitat zynisch den Palästinenserinnen und
       Palästinensern selbst die Schuld daran gab, dass sie getötet werden.
       
       Zugleich werden in Deutschland inzwischen reihenweise Konzerte von Bands
       wie [7][Kneecap] und [8][The Murder Capital] abgesagt, weil sie Israel zu
       scharf kritisieren – ohne dass sich dagegen Protest regt. Das Schweigen der
       deutschen Musikszene dazu ist beängstigend.
       
       16 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Blockade-in-Gaza/!6081454
   DIR [2] /Steinmeier-in-Israel/!6087915
   DIR [3] /Eurovision-Song-Contest/!6084659
   DIR [4] /Pressefreiheit-in-Israel/!6068408
   DIR [5] https://www1.wdr.de/kultur/kulturnachrichten/cannes-filmstars-israel-gaza-kritik-100.html
   DIR [6] /Israelischer-Luftangriff/!6083042
   DIR [7] /Spielfilm-Kneecap-ueber-IRA/!6059542
   DIR [8] https://www.billboard.com/music/music-news/the-murder-capital-german-shows-cancelled-palestinian-flag-1235968818/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
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