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       # taz.de -- Demos am 1. Mai in Berlin: Auf die Straße nicht trotz, sondern wegen allem
       
       > Vieles am 1. Mai fühlt sich aufgebraucht an – und doch erfüllt der Tag
       > weiter eine wichtige Funktion. Die taz-Übersicht zu allen Terminen.
       
   IMG Bild: Nicht alle sind Fans vom 1. Mai
       
       Neulich im Späti, eine Gruppe Kreuzberger Jugendlicher sitzt abends beim
       Bierchen zusammen. „Bald ist 1. Mai“, sagt ein Mädchen, vielleicht 17 Jahre
       alt. „1. Mai geht immer“, sagt ihre Freundin. Nicht ohne Stolz erzählt sie:
       „Letztes Jahr sind wir so krass von den Bullen gekesselt worden, ne?“
       Eifrig werden Geschichten ausgetauscht, viel Halbwissen, wie man sich im
       Block, bei Krawall oder Verhaftung zu verhalten hat, wird ausgepackt.
       
       Auch jenseits der Jugendlichen, die bereits in festen politischen
       Strukturen organisiert sind, bleibt der 1. Mai ein fester Termin. In den
       vergangenen Jahren erreichte die Teilnehmer:innenzahl der
       18-Uhr-Demonstration zuverlässig den fünfstelligen Bereich. Noch immer
       zieht das Kokettieren mit revolutionärer Ästhetik und radikalen Forderungen
       viele Menschen auf die Straße.
       
       An den Organisator:innen dürfte dies nicht liegen. Seit einigen
       Jahren schon wird die 18-Uhr-Demo regelrecht lustlos organisiert – in
       diesem Jahr gibt es nicht einmal einen gemeinsamen Bündnisaufruf. Die
       roten, oftmals autoritär ausgerichteten Gruppen, die die Orga inzwischen
       prägen, bleiben ihrem Credo treu, bereits vor 100 Jahren alle Antworten auf
       alle Fragen gefunden zu haben. Lediglich der feministische und der
       Antifa-Block brechen aus dieser 1920er-Jahre-Ästhetik aus.
       
       Bei vielen Linksradikalen hat das inzwischen zu einer mehr oder weniger
       offen zur Schau gestellten Resignation geführt. Der 1. Mai, insbesondere
       die 18-Uhr-Demo, gilt als verbraucht, inhaltsleer, langweilig. Verbreitet
       ist auch der Frust über das angeblich unpolitische Publikum, das keine
       Demosprüche kann, nicht weiß, wie es sich verhalten soll – und dem es ja eh
       nur um Party oder Krawalltourismus gehe.
       
       ## Heraus zum 1. Mai – wegen allem
       
       Doch das Argument des Krawalltourismus war schon falsch, als es noch Riots
       gab – weil es den Wunsch der Jugendlichen auf Krawall entpolitisiert.
       Kommen die Leute weiterhin, auch ohne Krawall, heißt das: Es gibt weit über
       die aktivistischen Milieus hinaus eine ausgeprägte, wenn auch oftmals
       diffuse Unzufriedenheit mit den Zuständen – und diese Unzufriedenheit ist
       es, die viele Leute zum Revolutionären 1. Mai zieht, auch wenn sie sich
       sonst nicht täglich mit linksradikaler Politik beschäftigen.
       
       Und genau das ist es, warum der Tag eine wichtige Funktion erfüllt: Der 1.
       Mai ist das niedrigschwelligste linksradikale Großereignis des Jahres.
       Jedes Jahr sammeln hier Hunderte erste Demoerfahrungen, kommen erstmals in
       Kontakt mit Polizei und der radikalen Linken. Für viele Berliner
       Jugendliche ist der 1. Mai ein entscheidendes Politisierungsmoment – was
       auch viele von jenen, die jetzt alles schrecklich langweilig finden, aus
       eigener Erfahrung genau wissen.
       
       Man kann also genervt darüber sein, dass die Organisator:innen der
       Proteste den Tag nicht mit mehr Liebe behandeln, mit mehr Kreativität und
       weniger Dogmatismus. Man kann genervt darüber sein, dass nicht alle auf den
       Demos solche linken Vollprofis sind, wie man es selbst natürlich ist. Das
       kann aber kein Argument dafür sein, diesen wichtigen Tag unpolitisch zu
       verbringen – oder hinter verschlossener Tür [1][über Theorie zu
       diskutieren, wie es die Antideutschen tun]. Und was wäre auch die
       Alternative?
       
       Gerade haben CDU und SPD einen Koalitionsvertrag beschlossen, der einen
       Angriff auf den 8-Stunden-Tag enthält. Deutschland verstrickt sich mit
       Waffenlieferungen an Israel in schwere Kriegsverbrechen; derweil werden
       Milliarden in Aufrüstung gepumpt und die Wiedereinführung der Wehrpflicht
       debattiert. Das alles benötigt eine Antwort – und ein Ort, wo die Wut über
       diese Entwicklungen zum Ausdruck gebracht werden kann, bleibt eben der 1.
       Mai. Deshalb heißt es auch in diesem Jahr: heraus zum 1. Mai – trotz, oder
       vielleicht gerade wegen allem.
       
       Vorabenddemo gegen Krieg und Krise
       
       Den Auftakt zu den Protesttagen macht wie in jedem Jahr die
       [2][klassenkämpferische Vorabenddemo] der Stadtteilgruppe Hände Weg vom
       Wedding. Schon hier werden zentrale inhaltliche Akzente gesetzt: Es geht
       gegen teure Preise für Lebensmittel, Energie und Mieten, gegen die
       niedrigen Löhne und den Wahnsinn, inmitten all der Sparpolitik die
       Bundeswehr mit Milliarden vollzupumpen. (Mittwoch, 30. April, U-Bhf.
       Leopoldplatz, 17 Uhr)
       
       Vorabenddemo „Take Back The Night“
       
       Am Abend startet die [3][autonom-queerfeministische Walpurgisnachtdemo]
       „Take Back The Night“. Im Fokus steht hier die Verbundenheit von weltweiten
       Kämpfen gegen Kapitalismus, Kolonialismus und Patriarchat – und damit gegen
       Deutschlands „feministischer Außenpolitik“, die Waffen an Israels völlig
       entgrenzten Krieg in Gaza liefert und im Inneren Palästinasolidarität
       unterdrückt. Gegen einen solchen liberalen Feminismus und die alltägliche
       patriarchale Gewalt stellt sich die Flinta*-only Demo. (Mittwoch, 30.
       April, Boxhagener Platz, 20 Uhr)
       
       DGB-Demo „Mach dich stark mit uns“
       
       Am 1. Mai selbst beginnt der Tag mit der großen DGB-Demo, dieses Jahr unter
       dem Motto: [4][„Mach dich stark mit uns“]. Und eine kämpferische
       Gewerkschaftsbewegung ist wohl auch notwendig, angesichts der notorischen
       Liebe der CDU für Reichen-Politik und der erwartbaren Abwesenheit jeglichen
       Rückgrats in der SPD, die dem etwas entgegensetzen könnte. Ob sich diese
       Arbeiter:innenbewegung zwischen Bratwurstständen und Politikerreden
       findet? Immerhin gibt es einen [5][klassenkämpferischen Block].
       (Donnerstag, 1. Mai, Strausberger Platz, 11 Uhr)
       
       Grunewald: Superreiche auf den Mars
       
       Im Villenviertel Grunewald heißt es unterdessen: „Musk, Milei und Merz auf
       den Mars!“ Die [6][hedonistisch-antikapitalistischen
       Quartiersmanager:innen von MyGruni], die den Reichen-Kiez jedes Jahr
       mit einer Problemintervention beglücken, wollen den Superreichen ihre
       innigsten Wünsche erfüllen – und sie per One-Way-Flug ins All
       katapultieren. Ausgehend von einer Zentralkundgebung führt eine Orbiterdemo
       zu fünf Kundgebungen mit inhaltlichen Schwerpunkten. Es gibt
       Fahrradzubringer, die zum Beispiel um 10.30 Uhr am Gesundbrunnen und am
       Hermannplatz starten. (Donnerstag, 1. Mai, Johannaplatz, 12 Uhr)
       
       Görli: Rave Against The Zaun
       
       Im Görlitzer Park geht es gegen die Pläne von Berlins Regierendem
       Bürgermeister Kai Wegner (CDU), die Grünanlage in Kreuzberg mit Wachschutz
       und Scheinwerfern in eine Law-and-Order-Dystopie zu verwandeln. Dagegen
       gibt's [7][ein Fest des Widerstands] – auf dem sich auch die DKP als jung
       und hip feiern darf, da sie den Spaß organisiert. (Donnerstag, 1. Mai,
       Görlitzer Park, 13 Uhr)
       
       Jugenddemo gegen Wehrpflicht
       
       Vom Görli zur 18-Uhr-Revolution geht es mit der [8][Jugend-Zubringerdemo]
       für alle, die Wehrpflicht, Aufrüstung und Kapitalismus irgendwie sus
       finden. Wer will schon gern als Kanonenfutter enden? Besser ist es da doch,
       für eine lebenswerte Zukunft für alle einzutreten, finden die
       sozialistischen Jugendgruppen, die die Demo organisieren (Donnerstag, 1.
       Mai, Lausitzer Platz, 16 Uhr).
       
       Revolutionäre 1. Mai Demonstration
       
       Der Haupttermin des Abends muss nicht vorgestellt werden: [9][die
       alljährliche 18-Uhr-Demo] gegen die Gesamtscheiße. Auch in diesem Jahr
       dürfte Aufrüstung und Palästinasolidarität im Fokus stehen. Akzente setzen
       wird der feministische und der Antifa-Block. (Donnerstag, 1. Mai, U-Bhf.
       Südstern, 18 Uhr)
       
       2. Mai: Kampftag der Arbeitslosen
       
       Am 2. Mai noch nicht genug? Dann heraus zum [10][Kampftag der
       Arbeitslosen]! Zur katerfreundlichen Uhrzeit um 15 Uhr geht es in
       Prenzlauer Berg gegen den Zwang zur Lohnarbeit und für das bedingungslose
       Grundeinkommen sowie gegen die Spaltung in Arbeitende und Arbeitslose,
       Arbeitswillige und Arbeitsscheue, Einheimische und Zugewanderte.
       Stattdessen wird der bedingungslose Wert eines jeden Menschen postuliert.
       (Freitag, 2. Mai, Schönhauser Allee / Wörther Str., 15 Uhr)
       
       30 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Revolutionaerer-1-Mai-Demo/!6085089
   DIR [2] https://www.unverwertbar.org/aktuell/2025/9582/
   DIR [3] https://takebackthenightberlin.noblogs.org/
   DIR [4] https://berlin-brandenburg.dgb.de/presse/++co++107b296a-2196-11f0-991f-2f8c05e5ea10
   DIR [5] https://berlin.fau.org/2025/04/21/raus-auf-die-strasse-am-1-mai-gemeinsam-im-klassenkaempferischen-block/
   DIR [6] https://mygruni.de
   DIR [7] https://www.dkp-berlin.info/8-berlin/1092-free-goerli-rave-against-the-zaun
   DIR [8] https://www.instagram.com/p/DIbzv1bMlvF/
   DIR [9] https://erstermai.nostate.net/
   DIR [10] https://www.instagram.com/p/DIjEAZqsM-r/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Timm Kühn
       
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