# taz.de -- Kultursenator Joe Chialo tritt zurück: Mangelndes Feingefühl
> Berlins Kultursenator Joe Chialo tritt zurück. Er hinterlässt einen
> Scherbenhaufen und die Frage, was für eine Zukunft die Kultur der Stadt
> erwartet.
IMG Bild: Tritt zurück: Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU)
Nun hat er also [1][auf sein oft beschworenes Bauchgefühl gehört]. Am
Freitagvormittag ließ der Berliner Kultursenator Joe Chialo seinen
Rücktritt verkünden.
Ganz überraschend kommt die Nachricht nicht. Schon seit Wochen raunt sich
die Kulturszene mögliche Berliner Nachfolger für Chialo zu, der lange als
potenzieller neuer Kulturstaatsminister gehandelt wurde – über den jedoch
auch geflüstert wurde, er wolle wohl wieder in die Kreativwirtschaft
wechseln, sollte ihm der Aufstieg in die Bundespolitik verwehrt bleiben.
Klar ist, dass der Kultursenator mehr und mehr Rückhalt in der Hauptstadt
verlor – in der Kulturszene, die sich nach den radikal überproportionalen
Kürzungen des Kulturetats zu Recht im Stich gelassen fühlte, in der
Öffentlichkeit, die gar nicht so schnell die Nachrichten verfolgen konnte,
wie ihr der freie Museumssonntag weggenommen, Theatertickets erhöht und
stadtweite Programme wie „Draussenstadt“ gestrichen wurden.
In den letzten Monaten krachte es offenbar auch im eigenen Regierungslager.
Das Verhältnis von Chialo zu seiner Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson soll
zerrüttet sein, und auch seine Beziehung zum Regierenden Bürgermeister Kai
Wegner habe angeblich stark unter der restriktiven Haushaltspolitik und
Chialos Umgang damit gelitten.
## Den Kultureinrichtungen der Stadt in den Rücken gefallen
Aus allen Richtungen lauten die Hauptvorwürfe, Chialo habe die Auswirkungen
der Kürzungen zu spät verstanden, zu spät kommuniziert und sei damit den
Kultureinrichtungen der Stadt in den Rücken gefallen, anstatt sie zu
schützen.
Sein Rat, sich doch ein Vorbild an der kommerziellen Kulturwirtschaft zu
nehmen und sich Hilfe durch Kooperationen mit privaten Sponsoren zu suchen,
wurde in der Szene wutschnaubend von vielen Seiten als zynisch
zurückgewiesen – auch wenn in Anbetracht des Tempos, in dem die Häuser der
Stadt gerade bereitwillig die Arme für die Privatwirtschaft öffnen, unklar
bleibt, wie viel der Empörung nur ein Lippenbekenntnis für die
Kunstfreiheit war.
Zuletzt eröffnete Wegner persönlich einen sogenannten Kulturdialog, in dem
er sich mit den führenden Vertreter:innen der Berliner Kulturlandschaft
über die drastischen Sparmaßnahmen und deren Folgen austauschte – über den
Kopf seines eigenen Kultursenators hinweg.
Nun nennt Chialo selbst die Einsparungen im Kulturhaushalt, die er
„schweren Herzens“ mittrug, und die darauffolgende Konzentrierung der
Kritik auf seine Person, die eine konstruktive Diskussion erschwert habe,
als Gründe des Rücktrittsgesuchs: „In dieser Situation sehe ich es als
meine Verantwortung, Raum für neue Perspektiven zu schaffen“, heißt es in
der dpa-Meldung zum Rückzug.
Die Probleme in Chialos Amtszeit waren nicht zu übersehen. Neben dem
kläglichen Einsatz für den Kulturetat und einem mangelnden Feingefühl für
die Berliner Kulturszene – insbesondere abseits des prestigeträchtigen oder
kommerziell-popkulturellen Mainstreams – machte Chialo vor allem mit seiner
umstrittenen, schlecht gestrickten und folgerichtig rechtlich nicht
haltbaren [2][Symbolpolitik um die „Antisemitismusklausel“] von sich reden,
mit der er die Förderung antisemitischer und rassistischer Inhalte mit
öffentlichen Mitteln verhindern wollte. Ebenso mit dem verfehlten Vorstoß,
die [3][Zentrale Landesbibliothek in das Gebäude der ehemaligen Galeries
Lafayette] zu verlegen.
## Ein bitterer Beigeschmack
Chialos Rücktrittsentscheidung ist angesichts des hinterlassenen
Scherbenhaufens nachvollziehbar. Vielleicht hoffte er bis zuletzt auf einen
erlösenden Ruf durch Friedrich Merz' in den Bund, um seinen hausgemachten
Problemen und dem Hauptstadtklüngel zu entfliehen. Vielleicht zog Chialo
wirklich persönlich die Konsequenzen aus seiner versagten Politik und
wollte mit erhobenem Kopf gehen, um das Feld für jemanden Kompetenteren zu
räumen.
Die Berliner Grünen fordern bereits, dass Kai Wegner nun selbst die
Verhandlungen um den nächsten Kulturhaushalt übernehmen solle. Und
vielleicht bleibt genau deshalb ein bitterer Beigeschmack: Chialos Fehler
waren offensichtlich – und doch sollte man nicht vergessen, dass es der
Regierende Bürgermeister Kai Wegner war, der [4][den Kassiererinnen der
Stadt unterstellte, kein Interesse an den Opernhäusern zu haben], sodass
sie von den subventionierten Tickets ohnehin nicht profitieren würden.
Chialo geht, doch Wegner wird bleiben. Und mit ihm das Gefühl, dass
vielleicht mal wieder der Botschafter mit der Botschaft verwechselt wurde,
während derjenige, der sie ursprünglich verantwortete, als heldenhafter
Scherbenkitter auftreten kann. Ob die Berliner Kultur nun tatsächlich einer
besseren Zukunft entgegenblickt, bleibt abzuwarten.
2 May 2025
## LINKS
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## AUTOREN
DIR Hilka Dirks
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