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       # taz.de -- Annektierte Halbinsel Krim: Quelle neuen Unrechts
       
       > Die russische Besetzung der ukrainischen Krim seit 2014 wird von der
       > Weltgemeinschaft achselzuckend hingenommen. Eine Anerkennung hätte fatale
       > Folgen.
       
   IMG Bild: Die Russifizierung schreitet voran: Feierstunde zum 11. Jahrestag der Annexion der Krim in diesem Frühjahr
       
       In letzter Zeit ist immer häufiger die Meinung zu hören, dass Wladimir
       Putin den Krieg gegen die Ukraine beenden würde, wenn man ihm alle von
       Russland annektierten ukrainischen Gebiete überlassen würde. Sogar
       US-Präsident Donald Trump und sein Umfeld haben bereits mehrfach Signale
       gesendet, dass die annektierte Krim als russisches Gebiet anerkannt werden
       könnte. Als Argument dafür wird nicht nur die Absicht angeführt, den
       russischen Präsidenten auf diese Weise zum Kriegsende zu bewegen, sondern
       auch russische Propaganda wird übernommen: Die Krim sei schon immer
       russisch gewesen, dort habe ein Referendum stattgefunden, und dort werde
       schon immer Russisch gesprochen.
       
       All dies ist jedoch eine Illusion und Wunschdenken. Zudem birgt es die
       Gefahr, sich mitschuldig zu machen. [1][Die Anerkennung der Krim als
       russisches Gebiet würde einen Völkerrechtsbruch legalisieren]. In
       moralischer Hinsicht wäre ein solcher Schritt noch schwerwiegender, denn er
       würde nicht nur Gleichgültigkeit gegenüber dem begangenen Unrecht bedeuten,
       sondern auch die Beteiligung daran. Straflosigkeit bei Völkerrechtsbrüchen
       missachtet nicht nur das geltende Recht, sondern ermutigt auch zu neuen
       Völkerrechtsbrüchen.
       
       Hinter der bewaffneten Eroberung und Besetzung ukrainischer Gebiete durch
       Russland stehen auch Jahre der Unterdrückung, Gewalt und Terror. Das Ausmaß
       dieser Verbrechen ist der internationalen Gemeinschaft erst in den letzten
       drei Jahren bewusst geworden. [2][Tatsächlich dauert das Unrecht auf der
       Krim jedoch seit 2014 an]. Die Besatzungsbehörden auf der Krim verletzen
       die Menschenrechte der Bevölkerung systematisch: Unerwünschte Personen
       werden willkürlich festgenommen, manche gar gefoltert.
       
       Junge Männer werden für den Dienst in der russischen Armee mobilisiert.
       Zugleich versuchen die Besatzer, die ethnische Zusammensetzung der
       Halbinsel gezielt zu verändern, um die ukrainische und krimtatarische
       Identität auszulöschen. Dies geschieht durch gewaltsame Vertreibungen von
       Teilen der Bevölkerung und die gezielte Ansiedlung russischer Staatsbürger.
       Zu den größten Opfern der Besetzung der Krim gehören die Krimtataren, das
       indigene Volk der Krim.
       
       Von den 195 politischen Gefangenen aus der Krim, die sich in russischen
       Gefängnissen befinden, sind 115 Krimtataren. Russische Spezialeinheiten
       verhafteten sie unter dem Vorwurf des „Extremismus“. Das indigene Volk der
       Krim leidet unter religiöser Verfolgung durch die russische Besatzung. Sein
       Selbstverwaltungsorgan, der Medschlis, wurde von Russland als extremistisch
       eingestuft und verboten. Schulen mit Krimtatarisch als Unterrichtssprache
       sind nur dort erlaubt, wo die Schulleitung loyal gegenüber der
       Besatzungsmacht ist. Unter dem Vorwand der „Restaurierung“ werden
       Kulturdenkmäler zerstört.
       
       Diesen Sonntag gedachte die Ukraine der Opfer der Deportation des
       krimtatarischen Volks, die 1944 durch die sowjetischen Behörden auf der
       Halbinsel verübt wurde und als Völkermord einzustufen ist. Innerhalb
       weniger Tage wurden über 180.000 Krimtataren gewaltsam aus ihrer Heimat
       vertrieben. Hunderte starben während des wochenlangen Transports in
       Güterwagen ohne Wasser und Nahrung. Zehntausende starben in den ersten
       Jahren der Verbannung – vor allem nach Usbekistan – an Hunger, Erschöpfung
       und Krankheiten. Nach unterschiedlichen Schätzungen starben bis zur Hälfte
       aller Krimtataren an den Folgen der Deportation.
       
       Die Deportation der Krimtataren wurde damals offiziell damit begründet,
       dass sie mit den deutschen Besatzern kollaboriert hätten – eine
       Kollektivstrafe. Eine ähnliche Taktik verfolgte Russland, als Wladimir
       Putin im Jahr 2022 die vollständige Invasion der Ukraine mit der Absicht
       rechtfertigte, das Land zu „entnazifizieren und entmilitarisieren“, und die
       Ukrainer des Neonazismus bezichtigte.
       
       Russland, das sich selbst als Nachfolgestaat der UdSSR ansieht, wiederholt
       die Verbrechen der sowjetischen Herrschaft in den besetzten Gebieten der
       Ukraine. Das gilt auch für die Krim, wo angeblich 96 Prozent der
       Bevölkerung in einem Pseudoreferendum die Annexion der Halbinsel durch
       Russland befürwortet haben sollen. Aus der heutigen Perspektive wird immer
       deutlicher, wie dreist die russische Propaganda gewesen ist. Doch vor elf
       Jahren glaubten noch viele Menschen die Lügen des Kremls über die Annexion
       der Krim. Umso schmerzhafter war für die Bevölkerungsteile, die gegen die
       russische Besetzung waren, die lasche Reaktion der Weltgemeinschaft auf den
       eklatanten Völkerrechtsbruch Russlands.
       
       ## Mittäterschaft durch Zustimmung
       
       Wenn jemand die Krim als russisch anerkennen sollte, stimmt er all dem zu.
       Das ist Mittäterschaft – Mittäterschaft an der moralischen und physischen
       Vernichtung von Menschen. Die Krim ist kein abstraktes Gebiet, sondern
       dahinter stehen konkrete Menschen. Die Besetzung ist keine Übergabe eines
       Gebiets von einem Staat an einen anderen, sondern ein Völkerrechtsbruch.
       Genau diese Menschen werden zu Geiseln, und der Völkerrechtsbruch bleibt
       ungestraft, sobald die Welt „müde“ wird und von „de facto russisch“
       spricht.
       
       Die russische Besetzung der Krim ist nicht nur ein Akt der bewaffneten
       Aggression. Sie ist auch die Quelle weiteren Unrechts. Denn von der Krim
       aus führt Russland Raketen- und Drohnenangriffe auf die Ukraine durch. Von
       der Krim aus mobilisiert Russland Soldaten für den Krieg gegen die Ukraine.
       Die Krim war der Beginn des Kriegs und der Straflosigkeit für Putin.
       
       Wer die Krim als russisch anerkennt, erkennt Macht statt Recht an. Und
       öffnet die Tür für neue, ähnliche Völkerrechtsbrüche, die sich immer wieder
       wiederholen würden. Eine solche Anerkennung ist Verrat. Verrat am
       Völkerrecht. Verrat an der Erinnerung. Und Verrat an all jenen, die für
       Gerechtigkeit gestorben sind oder ihre Freiheit verloren haben.
       
       18 May 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Anastasia Magasowa
       
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