URI: 
       # taz.de -- Pressefreiheit in Estland: Großes kleines Land
       
       > Im Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen belegt Estland Platz
       > Zwei. Was lässt sich von dem kleinen baltischen Land lernen?
       
   IMG Bild: Blick über Tallinn
       
       Estland steht dieses Jahr im [1][Pressefreiheits-Ranking] von Reporter ohne
       Grenzen erstmals fast ganz vorn – nur Norwegen gilt es nun noch zu
       schlagen. Aber ist es wirklich ein Rennen um die besten Plätze? Und was
       macht das kleine Estland mit seinen 1,33 Millionen Einwohnern und seiner
       langen Geschichte unter Fremdherrschaft anders als andere Länder in
       Osteuropa?
       
       Das Medienangebot in Estland gilt als vielfältig, gerade für ein so kleines
       Land. Das gilt auch weiterhin, trotz einer kritisch beäugten Konzentration
       der Anbieter auf wenige große Konzerne.
       
       Durch die schnelle Digitalisierung war in Estland der Übergang zum
       Onlinejournalismus früher und mit weniger finanziellen Einbußen für
       Medienhäuser als anderswo vollzogen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist
       stark verankert, Medienpädagogik ist Teil des Lehrplans an Schulen und
       Medienethik in der Journalismusausbildung. Das Institut für Medien- und
       Kommunikationspolitik (IfM) in Berlin beschreibt den hohen Stand der
       Pressefreiheit in Estland „quasi als Reflex auf die Zeit der
       Fremdherrschaft“.
       
       ## Die Gesellschaft hat andere Sorgen
       
       Katharina Weiß, Europareferentin bei Reporter ohne Grenzen Deutschland,
       nennt auf taz-Nachfrage [2][mehrere Gründe für das Top-Ranking]: Die
       gesellschaftlich und politisch ruhige Lage Estlands schaffe stabile
       Arbeitsbedingungen für Medienschaffende. Sie würden weder durch
       sicherheitspolitische noch wirtschaftliche Zwänge in ihrer Arbeit
       eingeschränkt.
       
       Verbale Angriffe aus der Politik, also eine pressefeindliche Rhetorik, die
       der Glaubwürdigkeit von Medien bewusst schaden will, seien äußerst selten.
       Die estnische Journalismusforscherin Halliki Harro-Loit schreibt dazu der
       taz, die extremen populistischen Parteien nutzten für Medienhatz ihre
       eigenen Kanäle – aber die Gesellschaft generell habe andere Sorgen, etwa
       die Bedrohung durch Russland.
       
       Harro-Loit, Professorin an der Universität Tartu, hat in einem
       internationalen Forschungsprojekt die Medienlandschaften in 14 EU-Ländern
       daraufhin untersucht, wie sie zum demokratischen Diskurs beitragen. Ein
       wichtiger Punkt dabei: Nicht alle Bedingungen funktionieren in jedem Land
       gleich, nicht jeder potenzielle Gefahrenfaktor für die Pressefreiheit ist
       tatsächlich bedrohlich – die Vergleichbarkeit ist also schwierig.
       
       Reporter ohne Grenzen hebt für Estland positiv hervor, dass der große
       russischsprachige Teil der Bevölkerung – etwa ein Viertel – Zugang zu
       verlässlichen Informationen in einem vielfältigen Medienangebot habe,
       anders als etwa in Ländern auf dem Balkan. Zudem folgten in Fällen von
       Einschüchterungsversuchen durch russische Akteure gegen Journalisten in
       Estland konsequente juristische Schritte. Auch der [3][aktuelle
       Demokratie-Index der Zeitschrift The Economist] sei in diesem Jahr
       berücksichtigt worden, der Estland nun erstmals als „vollständige
       Demokratie“ einordnet, erklärt Katharina Weiß.
       
       Aus Sicht der Forscherin Harro-Loit tragen einzelne Ereignisse eines Jahres
       häufiger zur Platzierung in dem RSF-Ranking bei, ohne dass grundlegende
       Veränderungen in einem Land stattgefunden hätten. Sie sieht auch durchaus
       problematische Aspekte in Estland. Aber da bietet sich vielleicht doch
       wieder ein direkter Vergleich an, zur Einordnung der Gesamtlage. Mit dem
       Nachbarn Russland etwa – bei der Pressefreiheit dieses Jahr auf Platz 171.
       
       20 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rangliste-der-Pressefreiheit/!6085488
   DIR [2] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2025
   DIR [3] https://www.eiu.com/n/campaigns/democracy-index-2024/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anne Diekhoff
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
   DIR Baltikum
   DIR Estland
   DIR Russland
   DIR Medienethik
   DIR GNS
   DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
   DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
   DIR Österreich
   DIR Podcast „Freie Rede“
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Oligarchen schließen Sender: Plötzliches Aus von griechischem Attica TV
       
       Der TV-Sender Attica TV aus Griechenland wird abrupt eingestellt. Ein
       Lehrstück darüber, wieso es im Land mit der Pressefreiheit weiter bergab
       geht.
       
   DIR Pressefreiheit in Griechenland: Medien-Misere in Hellas
       
       NGOs schlagen Alarm: Die Lage der Medien in Griechenland wird immer
       prekärer. Schuld ist der konservative Premier Mitsotakis. Nun schreitet die
       EU ein.
       
   DIR Pressefreiheit in Österreich: FPÖ ohne jeden Standard
       
       Die Wiener FPÖ schießt gegen den „Standard“. Die Zeitung hatte die
       rechtsradikalen Umtriebe eines Kandidaten bei der Landtagswahl offengelegt.
       
   DIR Pressefreiheit in der Türkei: „Schreiben gilt als Terror“
       
       Die Erdoğan-Regierung fährt neue Strategien, um die Presse zu unterdrücken.
       Zum Tag der Pressefreiheit ein Gespräch mit dem Journalisten Ali Çelikkan.