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       # taz.de -- US-Regierung gegen Universitäten: „Ich hätte es für zu gefährlich gehalten“
       
       > Agnes Mueller lehrt an der University of South Carolina. Sie beobachtet,
       > wie die US-Regierung nicht nur an Elite-Universitäten ein Klima der Angst
       > erzeugt.
       
   IMG Bild: Instrumentalisiert Trump den Antisemitismusvorwurf? Eine propalästinensische Absolventin der George Washington University
       
       taz: Agnes Mueller, der Feldzug der Trump-Regierung gegen die
       US-amerikanischen Universitäten sorgt in deutschen Medien meist für
       Schlagzeilen, wenn es um Elite-Unis wie Harvard oder Columbia geht. Sie
       lehren an der University of South Carolina (USC). Wie macht sich dort die
       Politik von Donald Trump bemerkbar? 
       
       Mueller: Bei uns gab es einen Biomedizin-Studenten, der sich nie zu Trump,
       Juden oder Palästina geäußert hat, politisch völlig unauffällig war. In
       einem Jahr hätte er seine Doktorarbeit beendet. Er ist nie straffällig
       geworden. Aber er kommt aus Nigeria, das hat wohl gereicht. Studentenstatus
       und Visum wurden ihm ohne ordnungsgemäßes Verfahren vom
       Heimatschutzministerium entzogen. Er bekam einen Brief, dass er in wenigen
       Tagen das Land verlassen müsse, wenn er nicht abgeführt werden wolle.
       
       taz: Konnte er sich wehren? 
       
       Mueller: Er hat zum Glück Rechtsbeistand von ehrenamtlichen Juristen
       bekommen und ist vor Gericht gezogen. Aber er ist auch nur einer von zwölf
       Studierenden meiner Uni, die anderen haben meines Wissens von jetzt auf
       gleich das Land verlassen müssen. Wir werden also in Zukunft viel weniger
       internationale Studierende haben, und die, die noch keinen solchen Brief
       erhalten haben, leben in Angst. Sie überlegen sich wahrscheinlich, ob es
       sich für sie noch lohnt, in Amerika zu bleiben. Ich möchte aber ganz
       deutlich sagen: Alles, was jetzt passiert, war schon vor Trumps Amtsantritt
       im Januar angelegt und wird jetzt nur verstärkt.
       
       taz: Dieses Klima der Angst herrschte schon zuvor an Ihrer Uni. Dort kam es
       letztes Jahr zu einem Zwischenfall mit den „Proud Boys“, einer
       rechtsradikalen Miliz, die am 6. Januar 2021 beim Sturm aufs Kapitol die
       Speerspitze bildete. Was ist da passiert? 
       
       Mueller: Eine konservative Studentengruppe hatte die „Proud Boys“ während
       des US-Wahlkampfes an unsere Uni eingeladen. Auf dem Campus machten sie mit
       Zetteln Werbung für ihr Event mit einer Darstellung von Kamala Harris,
       buchstabiert CUMala (Anm. d. Red.: zu Deutsch Sperma) und einem Bild von
       ihr, auf dem ihr Samen aus dem Mund tropft. Mit einigen Fakultätskollegen
       diskutierten wir in einer Facebook-Gruppe darüber, ob das okay ist, und
       erkundigten uns bei der Universitätsleitung. Die sagten, das falle unter
       Redefreiheit. Wir versuchten noch mit einem sogenannten Obszönitätsgesetz
       zu argumentieren, weil eine solche Art Diffamierung aus unserer Sicht nicht
       von der Redefreiheit gedeckt sein sollte, daraus wurde aber nichts.
       
       taz: Das Event fand also statt? 
       
       Mueller: Ja. Leider war in unserer Facebook-Gruppe aber ein Maulwurf. So
       kam es, dass bei der Veranstaltung Bilder von mir und 36 weiteren
       ProfessorInnen mit vollem Namen und Kontaktinformationen an eine Leinwand
       projiziert und wir öffentlich diffamiert wurden. Zum Beispiel mit „sie
       sieht aus wie eine Lesbe“ oder „er sieht aus wie ein Kinderschänder“. Ein
       Video davon wurde auf Youtube hochgeladen. Parallel dazu forderte einer der
       Anführer, wir sollten alle je 10.000 Dollar an die „Proud Boys“ überweisen,
       wenn wir nicht verklagt werden wollten, weil wir ihre Redefreiheit hätten
       beschneiden wollen.
       
       taz: Und? Haben Sie überwiesen? 
       
       Mueller: Natürlich nicht. Das Schlimmste war aber, dass wir zu keinem Punkt
       Rechtsbeistand oder Unterstützung von unserer Universitätsleitung bekamen.
       Erst sehr viel später gab es ein Treffen mit einer
       Universitätsangestellten, die uns sagte, wenn wir uns unwohl fühlen,
       sollten wir unsere Fakultätswebseiten aus dem Netz nehmen. Wir Lehrenden
       sollen unsere Präsenz einschränken, damit die „Proud Boys“ sich nicht in
       ihren Rechten eingeschränkt fühlen, das ist die Logik.
       
       taz: Sie haben sich auch intensiv mit dem Fall der Columbia University
       beschäftigt. Die Regierung stoppte deren Finanzierung mit dem Vorwurf, die
       Uni vernachlässige den Schutz jüdischer Studierender. Sie hatten dazu einen
       Trump-kritischen Kommentar verfasst, haben sich aber dagegen entschieden,
       ihn in den USA zu veröffentlichen. Warum? 
       
       Mueller: Ich hätte es auf Englisch für zu gefährlich gehalten, weil ich nur
       eine Green Card habe. Offiziell bin ich Gast in dem Land.
       
       taz: Sie sind Deutsche, leben aber seit mehr als 30 Jahren in den USA.
       Gerade sind Sie als Stipendiatin für Jüdische Studien mehrere Monate in
       Berlin, wollen aber bald zurück. 
       
       Mueller: Die USA sind mein Zuhause, ich bin mit einem Amerikaner
       verheiratet und habe drei Kinder dort bekommen. Es wurden ja [1][nicht nur
       unliebsame Studierende mit Visum abgeschoben], es hat auch mehrere Fälle
       von Deutschen mit Green Card gegeben, die in die USA einreisen wollten und
       aus fadenscheinigen Gründen gefangen genommen wurden. Eine Freundin, die
       mit einem Verfassungsrechtler verheiratet ist, sagte mir schon letztes
       Jahr: „Pass bloß auf, was du schreibst.“ Da dachte ich noch, sie
       übertreibt. Aber inzwischen wird unter Trump die verfassungsrechtliche
       Demokratie so radikal abgebaut, dass auch Klagen von plötzlich
       abgeschobenen oder in Abschiebehaft gesteckten Menschen nur teilweise
       Erfolg haben oder sich sehr ziehen. So einem Risiko wollte ich mich nicht
       aussetzen.
       
       taz: Sie haben sich dennoch dazu entschlossen, sich deutschen Medien
       gegenüber offen zu äußern. Was stand in ihrem unveröffentlichten Text? 
       
       Mueller: Ich argumentiere, dass es Trump um einen Kulturkampf geht. Darum,
       die Universitäten inhaltlich so weit wie möglich auszuhöhlen, und er den
       Antisemitismusvorwurf, die Jüdinnen und Juden dafür instrumentalisiert. Es
       hat in der Tat sehr schlimme antisemitische Vorfälle an den Universitäten
       gegeben. Und dass die Universitäten im großen Stil daran gescheitert sind,
       mit den Campus-Protesten nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober und dem
       darauf folgenden Gaza-Krieg [2][angemessen umzugehen], darüber sind sich
       glaube ich alle einig. Aber indem Trump seine Forderungen an die
       Universitäten mit Antisemitismus-Bekämpfung begründet, müssen Jüdinnen und
       Juden letzten Endes als Sündenböcke für diese Maßnahmen herhalten, werden
       weiter marginalisiert, und letztlich ist das antisemitisch. Bei
       Antisemitismus war das immer schon so. Offiziell dagegen vorzugehen, ist
       die ultimative Reinwaschung für Trumps Agenda.
       
       taz: Trump hat sich auch im Wahlkampf als großer Freund der Juden gegeben.
       Wörtlich gab er das Wahlversprechen, der „Beschützer und beste Freund“ der
       amerikanischen Juden zu werden. 
       
       Mueller: Trump ist kein Freund der Juden, das zu glauben halte ich für
       naiv. Nach außen hin mag er sich positiv zu Israel äußern. Aber er kommt
       dort nur mit den rechten Hardlinern gut zurecht. Seine Politik ist von
       Rassismus und von Ideen weißer Vorherrschaft geprägt, die in sich zutiefst
       antisemitisch sind. Er ist ein instinktgetriebener Präsident und war immer
       schon gut darin, die Emotionen anderer für sich zu nutzen. „White
       Supremacy“ und Rassismus beruhen im Grunde auf primitiven Ängsten von
       Leuten, die das Gefühl haben, ihnen wird etwas weggenommen.
       
       taz: Es dauerte, bis sich an den Universitäten Widerstand gegen dieses
       Vorgehen regte, Harvard hat nun als erste die Regierung verklagt. Im
       Gegenzug wurden alle weiteren Fördermittel gekappt. Was bedeutet das für
       [3][andere Unis]? 
       
       Mueller: Die ganze Universitätslandschaft – nicht nur in den USA, aber
       natürlich vor allem da – orientiert sich an den Elite-Unis. Sie bekommen
       die meisten Forschungsgelder, die besten Studierenden aus aller Welt. Egal,
       ob man damit einverstanden ist, was sie wissenschaftlich machen, ist ihr
       Einfluss zweifellos sehr groß. Aber nicht alle Unis, gerade die kleinen,
       können sich das finanziell leisten.
       
       taz: Harvard-Präsident Alan Garber wird sehr deutlich: [4][Harvard
       verhandele „nicht über ihre Unabhängigkeit oder ihre verfassungsmäßigen
       Rechte“]. Garber, der selbst jüdisch ist, kritisiert gleichzeitig, dass die
       Regierung bereits ergriffene Maßnahmen gegen Antisemitismus ignoriere. 
       
       Mueller: Es gab in Harvard zwei Task-Forces, die sowohl Antisemitismus als
       auch Islamophobie untersucht haben, ein groß angelegtes Projekt. Ende April
       wurden die Ergebnisse veröffentlicht. Das sind interessante,
       ernstzunehmende Dokumente, weil da wirklich Studierende und
       Fakultätsmitglieder befragt wurden. So was hätte man natürlich schon als
       Konsequenz der allerersten Proteste nach dem 7. Oktober machen können und
       nicht erst, wenn Trump Gelder streicht. Aber auch da gilt: Wenn der
       Harvard-Präsident sagt, so geht es nicht, wir müssen etwas gegen
       Antisemitismus unternehmen, dann schlägt das Wellen.
       
       20 May 2025
       
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