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       # taz.de -- Israelische Militäroffensive: Sinnlos in Gaza
       
       > Was bringt die aktuelle israelische Militäroffensive? Nicht viel – außer
       > eine weitere menschengemachte humanitäre Katastrophe im Gazastreifen.
       
   IMG Bild: Ein israelisches Militärfahrzeug an der Grenze zu Gaza
       
       Zwei Gründe sind es, mit denen Israel die aktuelle Militäroffensive im
       Gazastreifen rechtfertigt: Premier Benjamin Netanjahu argumentiert, dass
       er unter Feuer mit der Hamas verhandeln und die Geiseln freibekommen könne.
       Zweitens sei es der Plan, Gazas Bevölkerung auf noch engerem Raum
       zusammenzupferchen und möglicherweise auf lange Sicht umzusiedeln. Für die
       Geiselbefreiung lässt Netanjahu in Katar verhandeln, während seine Truppen
       in Gaza vorrücken. Er bietet kurzfristige Waffenpausen an und will über
       Verhandlungen eine begrenzte Zahl von Geiseln freibekommen. Dabei hatte er
       bereits im Februar die Zusage der Hamas, alle verbliebenen Geiseln in
       einem Durchgang freizulassen, wenn sich Israel zum Rückzug seiner Truppen
       aus ganz Gaza und zu einem dauerhaften Waffenstillstand verpflichtet.
       
       Netanjahu hatte das damals abgelehnt, obwohl das in der zweiten Phase der
       Waffenruhe, auch von den USA garantiert, vereinbart worden war. Er will den
       Gedanken immer noch nicht aufgeben, dass die israelische Armee die Hamas
       militärisch besiegen kann – was ihr seit 17 Monaten noch nicht gelungen
       ist. Hinzu kommt, dass mit dem Ende des Krieges Netanjahus persönliche
       Zukunft und die seiner rechtsradikalen Regierung auf dem Spiel steht. Also
       brach Netanjahu am 1. März die Waffenruhe und verfügte auch noch die
       israelische Totalblockade des Gazastreifens. Zweieinhalb Monate konnte
       nichts mehr dorthin geliefert werden, die humanitären Folgen sind
       verheerend. UN-Generalsekretär Antonio Guterres erklärte, dass diese
       „Politik der Belagerung und des Aushungerns dem internationalen Recht
       spottet“.
       
       Am [1][Montag nun hat Netanjahu angekündigt, doch „minimale Hilfe“
       zuzulassen], „gerade genug, um zu verhindern, dass Menschen verhungern“.
       Wie, wann und wo das geschehen soll, in einer aktiven Kampfzone, in der
       sich dort auch israelische Bodentruppen bewegen, ließ er völlig offen. Mit
       anderen Worten: Das erste Ziel dieser Offensive hätte Netanjahu ohne
       Blutvergießen und ohne Aushungern haben können. Stattdessen läuft er immer
       noch der Fata Morgana eines militärischen Sieges und seiner eigenen
       politischen Absicherung hinterher.
       
       Um die Großoffensive zu rechtfertigen, spricht Netanjahu zweitens davon,
       dass diese genutzt werde, damit israelische Truppen mehr Territorium
       erobern und halten können. Dazu müsse „die Bevölkerung zu ihrem eigenen
       Schutz bewogen werden“. Bereits jetzt stehen laut UN-Angaben 70 Prozent des
       Gaza-Territoriums unter israelischen Evakuierungsbefehlen. Damit werden im
       Moment immer mehr Menschen in immer kleiner werdende Reservate getrieben.
       Es soll ein Zustand hergestellt werden, der noch weniger nachhaltig ist als
       der jetzige Status quo. Das macht nur Sinn, wenn am Ende die endgültige
       Vertreibung auf dem Programm steht. Ein hoher israelischer
       Sicherheitsbeamter erklärte offen, dass „ein freiwilliges Ausreiseprogramm
       für Gazas Bewohner ein Teil des operativen Ziels der Offensive ist“.
       
       ## Niemand will Austragungsort für Vertreibung sein
       
       Was ist zynischer, als Menschen komplett die Lebensgrundlage zu entziehen?
       Und ihnen dann eine „freiwillige“ Ausreise anzubieten? Es wird eine
       [2][menschengemachte humanitäre Katastrophe] geschaffen, um eine ethnische
       Säuberung in Gaza zu rechtfertigen. Das Verteibungsszenario werfen die
       israelische Rechte und die Siedlerbewegung seit 2023 immer wieder als
       Lösung in den Ring. Auch [3][US-Präsident Donald Trump spricht von einer
       „Riviera des Nahen Osten“] ohne Palästinenser. Ägypten war das erste Land,
       auf das Druck ausgeübt wurde, die Palästinenser aufzunehmen. Doch das
       dortige Regime erklärte die Vertreibung der Palästinenser ins Nachbarland
       als rote Linie. Das Land am Nil will nicht der Austragungsort für die
       nächste Episode in der palästinensischen Vertreibungsgeschichte sein.
       
       Später wurde das Gleiche mit Sudan versucht. Gelder, Militärhilfe,
       Unterstützung beim Wiederaufbau wurden versprochen und abgelehnt, zumal das
       Land sich selbst in einem blutigen Bürgerkrieg befand. Medien spekulierten,
       dass von Seiten der USA in Somalia und Somaliland angefragt wurde. Beide
       Länder stritten öffentlich ab, dass ein solcher Vorschlag an sie
       herangetragen wurde. Er wäre ohnehin abgelehnt worden, hieß es von dort.
       Dann berichtete der US-Fernsehsender CBS, die USA und Israel hätten sich
       erkundigt, ob Syrien als Ziel infrage käme. Sollte es eine solche Anfrage
       tatsächlich gegeben haben, würdigte die neue syrische Regierung sie keiner
       öffentlichen Antwort.
       
       Nach demselben Muster berichtete die US-Fernsehstation NBC vor einigen
       Tagen, die [4][US-Regierung sei an Libyen herangetreten], mit dem
       Vorschlag, eine Million Palästinenser aus dem Gazastreifen aufzunehmen.
       Sozusagen vom Regen in Gaza in die Traufe des libyschen Chaos. Im Gegenzug
       sollen die USA versprochen haben, eingefrorene libysche Guthaben
       freizugeben. Mit welcher der libyschen Milizen man angeblich in Gesprächen
       war, wurde nicht berichtet. Es ist also immer dasselbe Schema: US-Medien
       lassen Testballons steigen, die dann an der Realität rasch zerplatzen.
       Sosehr die israelische oder die US-Propaganda versuchen, aus der Aufnahme
       der Palästinenser eine humanitäre Geste zu basteln – es findet sich kein
       Partner.
       
       Was immer die Begründungen für die aktuelle israelische Offensive sind: Es
       gibt bessere Wege zur Geiselbefreiung, und die hätte Netanjahu wie gesagt
       längst unblutig erreichen können. Die Hamas hatte sogar angeboten, sich
       nach Freilassung der Geiseln und Rückzug der israelischen Armee aus der
       Verwaltung des Gazastreifens zurückzuziehen. Es bleibt bei der Vertreibung
       der Palästinenser. Nun kann die israelische Armee die Menschen im
       Gazastreifen in immer kleinere Reservate zwingen, aber ohne ein Land, das
       sie außerhalb des Gazastreifens aufnimmt, gibt es für diese Vertreibung
       keine Fortsetzung. Kein Land möchte offen zum Mittäter einer ethnischen
       Säuberung werden.
       
       19 May 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Karim El-Gawhary
       
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