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       # taz.de -- Kinotipp der Woche: Seherwartungen durchpusten
       
       > Das Fracto Festival feiert den experimentellen Film und seine Bildströme.
       > Dieses Jahr im Fokus: das Werk der ungarischen Filmemacherin Dóra Maurer.
       
   IMG Bild: Weltpremiere am 23. Mai: Cherlyn Hsing-Hsin Lius „I Carry the Universe With Me“ (USA, 2024)
       
       Am neugierigen Blick einer Kuh führt der Weg vorbei zur Geborgenheit. Der
       französische Regisseur Adrien Charmot. Das Licht- und Schattenspiel auf
       einer Blumenvase vor einem Bücherregal etabliert den gemächlichen Fluss der
       Zeit im Haus der Familie des Filmemachers. Tische werden gedeckt, das Land
       um das Haus bestellt. In allen Verrichtungen, in den Berührungen der
       Menschen untereinander wird Vertrautheit spürbar. Ausschnitte aus alten
       Filmaufnahmen und Fotos unterlegen die Gegenwart mit Geschichte. Charmots
       „The House by the River“ ist Film gewordene Geborgenheit.
       
       Der Film ist Teil des ersten Programms der diesjährigen Auswahl an
       Experimentalfilmen mit dem am Donnerstag (22. 5.) im Berliner [1][Kunsthaus
       Acud] die achte Ausgabe der Fracto Experimentalfilmbegegnungen beginnt. Das
       [2][Festival] präsentiert 25 Filme in fünf Kurzfilmprogrammen, ergänzt um
       ein Focusprogramm zu der ungarischen Filmemacherin Dóra Maurer. Begleitet
       wird das Festival von einem exquisiten [3][dreitägigen Workshop], der den
       Teilnehmer_innen Grundlagen experimenteller Animation vermittelt.
       
       Film spielt in Maurers künstlerischem Werk seit den 1970er Jahren eine
       Rolle, als sie in „Angelernte Unwillkürliche Bewegungen“ Variationen
       alltäglicher Handgriffe wie das Haar hinter das Ohr zu streichen
       untersuchte. Spätere Filme griffen filmische Gestaltungsmittel wie optische
       Täuschungen auf oder verbanden diese mit Handgriffen aus der Hausarbeit, so
       fungiert in „Timing“ das Falten eines Lakens als Maßeinheit für Zeit.
       
       Die US-Künstlerin Cherlyn Hsing-Hsin Liu verbindet in ihren Arbeiten
       experimentelle Literatur mit verschiedenen Medien. In ihrem Film „I Carry
       the Universe with Me“, der als Teil der „Selection #2: Talking of A Land“
       am Freitag (23. 5.) Weltpremiere feiert, gliedern Texteinblendungen Footage
       aus der Vergangenheit und Gegenwart von Kalifornien. Die Texte stammen
       teilweise von einer Software zur Bilderkennung und zeugen von einem
       erfreulich dadaistischen Verhältnis zur Realität.
       
       Sonntagabend (25. 5.) steht dann im Rahmen des letzten Programms der
       diesjährigen Selection endlich, endlich auch die Deutschlandpremiere von
       Siegfried A. Frühaufs „Mare Imbrium“ an. Eine Figur aus weißen
       Lichtsignalen scheint vor dunklem Hintergrund auf der Leinwand zu tanzen.
       Ihr gesellen sich weitere Figuren hinzu bis sich schließlich zu einem
       lauter werdenden Knistern die Tanzfläche der Leinwand mit Lichtpartikeln
       füllt.
       
       Frühaufs neuster Film sind zwölf Minuten Hommage an den Mond, benannt ist
       der Film nach einer Lava-Landschaft auf einem der Krater des Mondes.
       Frühaufs Film konstruiert aus den Reflexionen des Monds im Wasser, aus
       Lichtpunkten, Lichtschlieren und schließlich aus fast malerischen
       Strukturen einen Film, dem man sich vom ersten Moment an anvertraut und der
       im Nachhall ein Meer von Fragen aufwirft – grundlegende nach der
       menschlichen Wahrnehmung, nach Licht in Raum und Zeit ebenso wie filmische
       zur Strukturierung solcher scheinbar abstrakten Filme und zum Verhältnis
       von Bild und Ton.
       
       Auch in diesem Jahr holt Fracto experimentelle Filme nach Berlin, die sonst
       in dieser Konzentration nur selten sichtbar sind und bietet die
       Gelegenheit, unsere filmischen Seherwartungen einmal ordentlich
       durchzupusten. Das Festival ist eine Einladung, sich für den wahren
       Reichtum filmischer Formen zu öffnen, der sich jenseits des Diktats der
       Narration eröffnet, und sich Bildströmen anzuvertrauen, ohne immer schon
       vorab zu wissen, wohin sie einen als Zuschauer_in tragen.
       
       21 May 2025
       
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