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       # taz.de -- Strategiespiel Anno 117: Urlaub in Italien
       
       > Das Strategiespiel „Anno“ inszenierte Geschichte bisher als gewaltfreie
       > Wohlfühlwelt. Ob das im neuen Teil besser wird, zeigt sich Ende dieses
       > Jahres.
       
   IMG Bild: Keine koloniale Gewalt in Sicht, stattdessen nur beeindruckende Landschaften
       
       Die Sonne strahlt auf die unberührte Insel nieder, als ich mit meinem
       Schiff zum weißen Sandstrand segele. Glück gehabt, denn hätte sich hier
       bereits die Konkurrenz niedergelassen, wären meine Expansionspläne für den
       Anbau von Oliven komplizierter geworden. Diese wachsen nicht auf meiner
       Hauptinsel, wo die angesiedelten Plebejer*innen ungeduldig auf Olivenöl
       warten, ohne das sie nicht zur nächsten Stufe aufsteigen – was mich hinter
       die Konkurrenz zurückwirft und die Gefahr erhöht, das Spiel zu verlieren.
       
       Diese Szene stammt aus der exklusiven Demo des Aufbau-Strategiespiels „Anno
       117: Pax Romana“, das beim Entwicklungsstudio Ubisoft Blue Byte in Mainz
       entsteht und Ende dieses Jahres erscheinen soll.
       
       In der Spielereihe erobern die Spieler*innen in lose referenzierten
       historischen oder [1][futuristischen Epochen] unentdeckte Inselwelten und
       versuchen, die Bedürfnisse der Siedler*innen zu erfüllen. Die komplexer
       werdenden Warenketten benötigen Bauplätze, weshalb die Spieler*innen
       weiter expandieren und neue Inseln in Besitz nehmen müssen – bevor die
       Mitspieler*innen den begrenzten Raum einnehmen.
       
       Dieses expansive [2][Spielprinzip] ist nicht nur „Anno“ inhärent, wie unter
       anderem Medienwissenschaftler Rolf Nohr deutlich macht: Viele
       Strategiespiele forderten ihm zufolge die Expansion als Siegbedingung ein,
       unabhängig davon, ob der Fokus auf das Siedeln wie in „Anno“ oder das
       Kämpfen wie in „Age of Empires“ im Vordergrund stehen.
       
       Im Gegensatz zu „Age of Empires“ begreift sich die „Anno“-Serie jedoch als
       idyllischer Aufbauspaß, was zur expansionistischen Spiellogik einen
       besonders starken Kontrast darstellt. Historische Bezüge und
       Positionierungen der Spieler*innen als europäische Großmacht werden
       außer Acht gelassen.
       
       ## Wohlfühlatmosphäre statt kolonialer Gewalt
       
       Aus dem linken Spektrum der Gaming-Community wird der Spieleserie deshalb
       vorgeworfen, [3][koloniale Verbrechen zugunsten einer Wohlfühlatmosphäre
       auszuklammern]. Umfangreich wurde zum Beispiel auch die fehlende
       Darstellung kolonialer Gewalt und Versklavung in „Anno 1800“ besprochen,
       welches mit dem deutschen Computerspielpreis ausgezeichnet wurde.
       
       „Anno 1800“ drückt sich vor der Darstellung kolonialer Gewalt, indem die
       Inselwelten als Terra Nullius und die Spieler*innen als willkommene
       Problemlöser*innen inszeniert werden, wenn sie aus dem Norden in die
       südlichen Gebiete vorstoßen.
       
       Damit wird die Eroberung als konfliktfrei und positiv für alle dargestellt
       – und jenes europäische Selbstbild reproduziert, das schon die imperialen
       Großmächte des 19. Jahrhunderts pflegten. Wenn es zu Kämpfen kommt, dann
       sind diese nur [4][zwischen den kolonisierenden Spieler*innen] möglich.
       
       ## Die Spieldynamik verändert sich
       
       Die Inszenierung von Terra Nullius fällt nun bei „Anno 117“ wieder auf:
       Spieler*innen werden vom „Imperator“ in eine unerschlossene Provinz
       gesandt, um diese im römischen Stil zu zivilisieren. Die übliche Spiellogik
       bleibt unverändert; die Bevölkerung wird nur durch Expansion mit allen
       Gütern versorgt. Gewaltvolle Aspekte des historischen Settings vermeidet
       das Spiel dieses Mal nicht gänzlich; so soll das Thema der Versklavung
       zumindest auf narrativer Ebene breiter verhandelt werden.
       
       Interessant könnte auch die Rolle der als keltisch inszenierten
       Siedler*innen werden, die in der Demo noch nicht spielbar waren. Laut
       bisheriger Informationen bemühen sich die Entwickler*innen, die
       keltisch und römisch referenzierte Lebensweise als gleichwertig
       gegenüberzustellen und den Spieler*innen zu überlassen, in welchem
       Verhältnis die Siedler*innen zueinander stehen. Das verändert die
       Dynamik des Spiels, dessen Vorgänger die nördliche Region als Mutterland
       und den Süden als zu kolonisieren positioniert hat.
       
       Die expansive Logik des Spiels wird zwar nicht gänzlich entschärft, doch
       „Anno 117“ ist nicht etwa wie „Anno 1800“ ein Sandkasten für die imperialen
       Fantasien weißer Männer. Stattdessen werden genau diese Logiken kritisch
       hinterfragt. In Anbetracht des zurückkehrenden Fandoms des Römischen Reichs
       ist das begrüßenswert.
       
       20 May 2025
       
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