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       # taz.de -- Lachgaskonsum bei Jugendlichen: Bis das Lachen vergeht
       
       > Lachgas ist als Droge bei Jugendlichen immer beliebter, teils mit
       > gravierenden Folgen. Experten unterstützen ein Abgabeverbot an
       > Minderjährige.
       
   IMG Bild: Knallbunt, aber nicht ungefährlich: Lachgas-Ballons
       
       Berlin taz | Lachgas ist unter Jugendlichen extrem beliebt – als Droge, die
       euphorisch und sorgenfrei macht. So weit nichts Neues. Neu ist, dass die
       gesundheitlichen Nebenwirkungen nach Lachgas-Konsum zunehmen. Kein Wunder:
       Inzwischen ist die kleinste Lachgas-Kartusche fast in jedem Späti für zwei
       Euro zu haben. Musste man früher eine Kapsel mühsam aufpopeln, um eine
       Ballon-Dröhnung zu bekommen, lassen sich heute mit den kleinsten Kartuschen
       bis zu 80 Ballons befüllen. Es ist ein billiges Vergnügen, einfach zu
       kriegen, die Eltern riechen es nicht und es wirkt harmlos.
       
       Einige taz-Leser:innen denken an dieser Stelle vielleicht: „Wir haben
       damals auch gekifft und es hat uns nicht geschadet.“ Da ist auch was dran:
       Die meisten Menschen inhalieren Lachgas, ohne dass ihre Gesundheit leidet.
       Weil sie es selten inhalieren und dann nicht so viel, wie aus Erhebungen
       der europäischen Drogenagentur EUDA hervorgeht.
       
       Trotzdem gibt es einen großen Unterschied zwischen Lachgas heute und
       Cannabis damals: Cannabis brauchte damals verhältnismäßig lange, bis es
       anhaltende Schäden anrichten konnte. Bei Lachgas gibt es immer mehr Fälle,
       [1][die schon nach einem halben Jahr regelmäßigen Konsums nicht mehr laufen
       können]. Selten sterben Menschen beim Konsum auch durch Ersticken. Häufiger
       sterben User:innen, weil sie sich berauscht verletzten oder Autounfälle
       bauen.
       
       Lachgas sorgt dafür, dass das Vitamin B12 nicht mehr gut vom Körper genutzt
       werden kann. Dann fehlt der Schutz der Nervenzellen, sodass diese
       kaputtgehen. Nervenzellen, mit deren Hilfe wir denken, unsere Beine bewegen
       und Ausscheidungen kontrollieren. Schlimmstenfalls haben
       Lachgas-Schnüffler:innen nicht nur Probleme beim Laufen, sondern zusätzlich
       noch Halluzinationen und nässen ein. [2][Meistens verschwinden diese
       Symptome wieder, aber leider nicht immer].
       
       ## Verbot für Jugendliche kommt
       
       Die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) plant deshalb, die
       Abgabe von Lachgas an Minderjährige zu verbieten. Einige Städte haben
       dieses Verbot schon seit Anfang dieses Jahres umgesetzt, weil ihnen der
       Bund als Gesetzgeber zu langsam war. Auch der Berliner Senat strebt schon
       länger ein Verkaufsverbot an Minderjährige an.
       
       Diese Forderung vertritt auch Dr. David Steindl, der Leiter des
       Giftnotrufes der Charité Berlin. Beim Giftnotruf rufen beispielsweise
       Ärzt:innen an, wenn sie Medikamente überdosiert haben, oder – und das
       sind die meisten Anrufer:innen – Eltern kleiner Kinder, weil diese
       Putzmittel probiert, Pflanzenteile gegessen oder Tabletten geschluckt
       haben.
       
       Lachgas spielte in den Anfragen lange kaum eine Rolle. Doch 2023 stolperte
       einer von Steindls Mitarbeitenden über immer mehr schwarz-grün-gelbe
       Lachgas-Kartuschen in der Hasenheide. Daraufhin überprüfte Steindl, ob auch
       die Anrufe zum Thema Lachgas zugenommen hatten. Und so war es: Seit 2021
       verdoppelt sich jedes Jahr die Zahl der Anrufer:innen. Gab es von 2000 bis
       2020 nur 2 bis 3 Anrufe im Jahr, waren es 2023 etwa 20 und 2024 schon 52
       Menschen, die wegen Lachgas anriefen. In diesem Jahr fragten laut Steindl
       bis Mai bereits 18 Menschen wegen Lachgas um Rat – wobei die Partysaison
       noch gar nicht richtig angefangen habe.
       
       52 Anrufe im Jahr 2024, ist das wirklich so viel? Steindl gibt zu bedenken,
       dass sich ja nur die melden würden, die Angst bekommen und Wirkungen
       spüren, die sie nicht beabsichtigt haben. Um nachzuprüfen, ob der Konsum
       überregional gestiegen ist, holte Steindl die bundesweiten
       Giftinformationszentren ins Boot. Und tatsächlich zeigten die Daten von
       sechs der sieben Zentren, dass die Anfragen angestiegen sind: 2023 gingen
       bundesweit 77 Anfragen zu Lachgas ein.
       
       ## Beliebteste Droge nach Cannabis
       
       Steindl ist zudem aufgefallen, dass sich nicht nur die Anzahl der Anrufe
       beim Giftnotruf der Charité verändert hat, sondern auch die Anrufer:innen:
       „Bis 2020 war Missbrauch selten ein Thema. Aber seit 2021 melden sich immer
       häufiger Laien, die von den unerwünschten Wirkungen des Gases überfordert
       sind“, berichtet Steindl. Meistens ging es um Nebenwirkungen wie Schwindel,
       Gangunsicherheiten oder drohende Bewusstlosigkeit.
       
       Besonders bitter: Zunehmend machen Minderjährige Erfahrungen mit Lachgas.
       Wie viele von ihnen die Kapseln in Deutschland schon einmal ausprobiert
       haben, hat bisher nur eine Umfrage erfasst: die Mosyd-Studie aus dem Jahr
       2022. Danach haben sich 17 Prozent der 15- bis 18-Jährigen in ihrem Leben
       bereits mit Lachgas berauscht. Umfragen aus Ländern wie England und Wales
       zeigen, dass Lachgas unter den 16- bis 24-Jährigen schon seit Jahren zur
       zweitbeliebtesten Droge aufgestiegen ist – nach Cannabis.
       
       Ab wann Lachgas eindeutig schädlich ist, lässt sich schwer beantworten. Oft
       können Konsument:innen nicht sicher angeben, wie viele Ballons sie über
       welche Zeitspanne inhaliert haben. Einen ersten Hinweis auf eine schädliche
       Dosis geben aber Forschungsergebnisse aus Australien. Dort haben
       Wissenschaftler:innen Folgen von Lachgas-Inhalationen in einer
       Überblicks-Studie erforscht. In einer der Fallstudien ist beschrieben, dass
       bereits 15 Ballons mit 10 Milliliter flüssigem Lachgas, über sechs Wochen
       inhaliert, Taubheitsgefühle, Kribbeln auf der Haut und Probleme beim Gehen
       auftreten können. Auch die Blase drückt bei den Betroffenen.
       
       Da das Gas heute in viel größeren Mengen zu haben ist, steht Jugendlichen
       mit einer handelsüblichen Kartusche knapp fünfmal so viel Lachgas zur
       Verfügung, wie die kleinste Menge, die laut der Studie zu gesundheitlichen
       Nebenwirkungen führte. Und häufig inhalieren Jugendliche statt zehn Ballons
       eben zwanzig oder dreißig. Einfach, weil es sich so gut anfühlt. In den
       sozialen Medien kursieren zahlreiche Videoclips, in denen junge Menschen zu
       sehen sind, die auf Schulhöfen tiefe Züge aus bunten Ballons nehmen und
       anschließend glücklich in den Himmel blinzeln.
       
       ## Industrie wirbt mit Auszeit
       
       Auch die Lachgas-Industrie scheint längst entdeckt zu haben, dass ihr
       Produkt als Droge taugt. Im Werbefilm [3][des Lachgas-Anbieters Exotic
       Whip] stoßen attraktive Erwachsene an einer Strandbar mit Sahne-Cocktails
       an, plaudern und lachen in die tropische Sonne. Offiziell handelt die Firma
       mit Kartuschen für Sahne-Aufschäumer – sie wirbt aber mit einer
       Tropenauszeit. Auf der Homepage ist Lachgas in verschiedenen
       Geschmacksrichtungen zu kaufen. Die haben auf den Geschmack der Sahne gar
       keinen Einfluss.
       
       Damit Firmen auf Plattformen wie Tiktok nicht länger für Lachgas werben
       können, tritt Steindl für ein Verbot von Lachgas-Werbung ein. Außerdem
       befürwortet er die Beschränkung des Verkaufs an Minderjährige, wie es nun
       auch Bundesgesundheitsministerin Warken plant. In den Niederlanden hat das
       funktioniert: Seit dort die Lachgas-Abgabe streng geregelt wird, gingen die
       Anrufe beim holländischen Giftnotrufzentraum stark zurück. Steindl fordert
       zudem eine große Öffentlichkeitskampagne über die negativen Folgen von
       Lachgas.
       
       [4][Auch die Polizei berichtet immer häufiger von benommen wirkende
       Autofahrer:innen mit Lachgas-Kartuschen auf dem Beifahrersitz]. Bisher
       konnte allerdings kein Test Lachgas zuverlässig nachweisen. Um damit
       Schluss zu machen, haben Rechtsmediziner aus Hamburg im November 2024 ein
       Analyseverfahren vorgestellt, mit dem Lachgas im Blut nachgewiesen werden
       kann. Bald soll der Service in ganz Deutschland zur Verfügung stehen.
       
       Schließlich könnte auch das Ende der Kürzungspolitik gegen Lachgas helfen.
       Denn wo gute Lernbedingungen an Schulen und sinnvolle Freizeitangebote
       fehlen, suchen Jugendliche nach Entspannung – zum Beispiel mit ein paar
       Zügen Lachgas. Gut ausgestattete Jugendclubs, stark subventionierter
       Musikunterricht, hoch motivierte, weil gut bezahlte Lehrer:innen für
       schwierige Schulen – so könnten Jugendliche wohl ähnlich wirksam vom
       Lachgas-Schnüffeln abhalten werden wie durch ein Verbot.
       
       23 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.kika.de/neuneinhalb/videos/lachgas-haha-witzig-102
   DIR [2] https://www.bundestag.de/resource/blob/1059054/61f8f69b34dfbf99a48063b870f7ea65/Zum-Einsatz-von-Lachgas-als-Rauschmittel.pdf
   DIR [3] https://exotic-whip.com/de
   DIR [4] https://www.gdp.de/berlin/de/stories/2024/11/241111-lachgas
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Grosse
       
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