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       # taz.de -- Flüchtlingsheim in Schmerwitz: Kunstraum statt Wohncontainer
       
       > Eine linke Gemeinde in Brandenburg will Geflüchteten einen guten Ort zum
       > Leben bieten und sie schnell in Arbeit bringen. Ginge das auch anderswo?
       
   IMG Bild: Die Fotografin Sareh Oveysi ist über ihre Arbeit mit den Bewohnerinnen von Schmerwitz in Kontakt gekommen
       
       Schmerwitz und Wiesenburg/Mark Die Gäste sind überpünktlich, und das ist
       ein Problem. Kein unlösbares, aber eines, das von Klaas Glenewinkel
       Flexibilität verlangt. Wohl deshalb hetzt der 54-Jährige, das Hemd in die
       Jeans gesteckt, die kurzen grauen Haare nach hinten gegelt, von einem zum
       nächsten. Er stellt noch schnell die Lautsprecher auf, dann kann es
       losgehen.
       
       Klaas Glenewinkel eröffnet an diesem Freitagabend eine Kunstausstellung im
       brandenburgischen Bad Belzig. Zu sehen sind Fotografien von Sareh Oveysi.
       Die 36-jährige Iranerin ist vor dem Regime in ihrer Heimat geflohen. Dort
       hat sie [1][Frauen ohne Kopftuch] fotografiert, nun sind es Bewohnerinnen
       von Schmerwitz, einem Dorf in der Nähe von Bad Belzig. Die meisten von
       ihnen sind weit über 50 Jahre alt. Und kommen lieber zu früh als zu spät.
       
       Die Kunstausstellung findet in einem modernisierten Burgkeller statt. Statt
       Stühlen gibt es Barhocker und Stehtische, später soll ein DJ auflegen, der
       sonst [2][in Berliner Clubs] sein Geld verdient. Die Porträtfotos sind
       schwarz-weiß und ausdrucksstark. Entstanden sind sie wenige Monate nach
       Sareh Oveysis Ankunft in Schmerwitz.
       
       Die Shootings waren Akt, auch wenn man auf den Fotos nur Gesicht und
       Schultern sieht, sagt Oveysi in ihrer Eröffnungsrede auf Englisch.
       Irgendwie ist es ihr trotz sprachlicher und kultureller Barrieren gelungen,
       die älteren Frauen des kleinen Brandenburger Dorfs nackt vor die Linse zu
       bekommen. Oveysi wirkt schüchtern. Nach zwei Minuten verlässt sie die Bühne
       und übergibt das Mikrofon an Klaas Glenewinkel. Sie bekommt viel Applaus.
       
       Ein Abend im Februar 2025, aber es fühlt sich an wie ein 2015-Moment:
       Deutsche Willkommenskultur trifft auf Geflüchtete, es gibt wohlwollende
       Annäherungsversuche von beiden Seiten. Im Burgkeller von Bad Belzig scheint
       es so, als hätte es die vergangenen 10 Jahre nicht gegeben – die
       [3][Silvesternacht in Köln], die [4][rassistischen Morde in Hanau], die
       [5][endlosen Debatten um Obergrenzen] und Integration. Der Hass und die
       Verbitterung da draußen sind weit weg.
       
       ## Podcastraum, Videoschnittplätze und Fitnessstudio
       
       Sareh Oveysi lebt seit Juli 2024 im Exile Media Hub, einer
       Flüchtlingsunterkunft in Schmerwitz, die von Klaas Glenewinkels NGO „Media
       in Cooperation and Transition“ geleitet wird. Sie richtet sich explizit an
       Kunst- und Medienschaffende und ihre Familien. In dem vierstöckigen Gebäude
       wohnen und arbeiten aktuell 37 Menschen, die sonst wohl in [6][riesigen
       Erstaufnahmeeinrichtungen oder tristen Sammelunterkünften] auf ihren
       Asylbescheid warten würden.
       
       Dort müssen Geflüchtete teilweise in riesigen Hallen oder in Wohncontainern
       mit Stockbetten leben. Im Exile Media Hub gibt es Einzel- oder
       Familienzimmer. Vor allem haben die Bewohner:innen hier alles, was sie
       für ihre Arbeit brauchen: einen Podcastraum, Videoschnittplätze,
       Laptoparbeitsplätze in schalldichten Kabinen, ein Fitnessstudio, einen
       Kunstraum mit Staffeleien und Leinwänden, sogar Yogamatten.
       
       Klaas Glenewinkel möchte, dass die Geflüchteten mit ihren Laptops, Kameras
       und Leinwänden da weitermachen, wo sie vor ihrer Flucht aufgehört haben.
       Sie sollen so schnell wie möglich in Jobs vermittelt werden. Aber das ist
       nur der erste Schritt. Das Exile Media Hub ist ein Modellprojekt. Geht es
       nach Glenewinkel, gibt es bald noch mehr solcher Unterkünfte, nicht nur für
       Kunst- und Medienschaffende, sondern beispielsweise auch für
       Pflegepersonal.
       
       Eine humanere [7][Unterbringung von Geflüchteten], verbunden mit einer
       [8][schnellen beruflichen Integration], das klingt wie die
       institutionalisierte Form der Willkommenskultur. Aber geht dieses Konzept
       wirklich auf? Und wie viel Zukunft hat ein solches Projekt, wenn sich das
       gesellschaftliche Klima immer weiter nach rechts verschiebt und Gelder für
       Integrationsprojekte gestrichen werden?
       
       ## Die Berufe der Geflüchteten werden nicht erfasst
       
       Ein sonniger Tag Mitte März, der Winter ist vorbei, aber die Luft noch
       eiskalt. Julianne Becker, US-Amerikanerin, 46 Jahre alt, fährt in einem
       lilafarbenen Ford Fiesta am Bahnhof Bad Belzig vor. Sie hat in der Nähe
       von Schmerwitz ein Unternehmen gegründet – beim „workation retreat“ können
       gestresste Berliner:innen ihren Laptop im Grünen ausklappen – und
       kümmert sich im Nebenjob um das Wohlbefinden und die berufliche Zukunft der
       Geflüchteten. Sie überarbeitet Lebensläufe, sucht nach
       Bildungsinstitutionen mit Deutschkursen, ist eine Art
       Ein-Frau-Arbeitsagentur.
       
       Auf der Autofahrt nach Schmerwitz erzählt Becker, wie sie die ersten
       Bewohner gefunden haben: „Klaas und eine Kollegin haben bei den
       Erstaufnahmeeinrichtungen angefragt, ob sie Journalist:innen auf ihr
       Angebot aufmerksam machen dürfen. Dabei ist ihnen aufgefallen, dass in
       keiner Einrichtung die Berufe der Geflüchteten erfasst werden. Also haben
       sie sich vor Ort umgeschaut und die Menschen angesprochen, die in den
       Aufenthaltsräumen künstlerisch tätig waren.“
       
       So lernten sie Sareh Oveysi kennen und auch William Mnguni, der vor der Tür
       des Exile Media Hub wartet. Das Gebäude wurde zu DDR-Zeiten als Kaserne
       genutzt, in der Zwischenzeit aber renoviert. Aus einem offenen Fenster
       dröhnt Techno. Mnguni trägt schulterlange Dreads, einen lilafarbenen
       Kapuzenpulli und bittet herein. Im Eingangsbereich gibt es ein Büro für den
       Sicherheitsdienst, ein Büro für Sozialarbeiter:innen und
       Laptoparbeitsplätze für die Bewohner:innen und das Dorf. Auch andere
       Menschen aus Schmerwitz sind jederzeit willkommen, der Austausch gehört zum
       Konzept.
       
       Mnguni geht den Flur entlang, vorbei an einer Pinnwand mit QR-Codes für den
       „Antrag Zulassung Integrationskurs“ und den „Antrag Krankenversicherung“ in
       das Kunstzimmer. Hier stehen Leinwände, Staffeleien und Farbpaletten. Das
       Media Hub sei für ihn ein „kleines Paradies“, sagt Mnguni.
       
       Die Miete für das Gebäude und den Sozialdienst finanziert der Landkreis
       Potsdam-Mittelmark, wie bei jeder anderen Flüchtlingsunterkunft auch. In
       Schmerwitz kommen jedoch zusätzliche Kosten hinzu, etwa für die technische
       Ausstattung oder die intensive Betreuung bei der Arbeitssuche. Dafür hat
       das Land Brandenburg seit Projektbeginn vor rund einem Jahr zusätzlich
       120.000 Euro zur Verfügung gestellt.
       
       Einzelne Workshops, etwa zu Audioproduktion oder künstlicher Intelligenz in
       der kreativen Arbeit, wurden von Unternehmen wie Amazon und Google
       gesponsert. Doch die Weiterfinanzierung wackelt derzeit, die [9][Koalition
       aus SPD und BSW im Brandenburger Landtag] hat noch keinen Haushalt für das
       Jahr 2025 verabschiedet. Klaas Glenewinkel will das Media Hub zur Not auf
       Spendenbasis weiterbetreiben.
       
       ## Die Arbeitsaufnahme ist kompliziert
       
       Bevor William Mnguni nach Schmerwitz kam, war er in der
       Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt. Der Ort wirkte hoffnungslos,
       erzählt er, das Leben war wie ein Uhrwerk und die Menschen hatten keine
       Motivation weiterzumachen. „Hätten sie dort die gleichen Möglichkeiten wie
       wir hier, könnten sie Großes leisten“, ist der Südafrikaner überzeugt.
       
       Im Exile Media Hub hat Mnguni gemeinsam mit Sareh Oveysi einen Podcast
       produziert und Musikvideos veröffentlicht. Außerdem arbeitet er als
       Aushilfe in Julianne Beckers Unternehmen. „Den Arbeitsvertrag selbst zu
       schreiben, die richtigen Worte zu finden, mit denen das Arbeitsamt
       zufrieden ist, das war nicht einfach. Aber viele wissen gar nicht, dass man
       diese Leute einstellen kann“, sagt Becker. Gemeint sind Geflüchtete, die
       auf ihren Asylbescheid warten.
       
       Tatsächlich ist die Arbeitsaufnahme kompliziert. Während der Zeit in den
       zentralen Aufnahmeeinrichtungen gilt für Geflüchtete ein [10][striktes
       Arbeitsverbot], das in den meisten Fällen erst mit der Weiterverteilung in
       Gemeinschaftsunterkünfte endet. Grob gilt dann: Sofern sie nicht aus
       [11][sogenannten sicheren Herkunftsländern] kommen und die Agentur für
       Arbeit zustimmt, können sie normal arbeiten.
       
       Allerdings gibt es von offizieller Seite kaum Vermittlungsangebote speziell
       für Geflüchtete. Großangelegte Programme des Bundesarbeitsministeriums
       richten sich nur an Geflüchtete, die bereits Bürgergeld beziehen. Das sind
       anerkannte Asylbewerber*innen sowie Personen aus der Ukraine, die
       ohnehin kein Asylverfahren durchlaufen müssen.
       
       ## Keine beschmierten Wände
       
       Zurück im Eingangsbereich verabschiedet ein Sicherheitsmann gerade eine
       Sozialarbeiterin. Auf Nachfrage sagt er, er habe hier noch nichts [12][mit
       Rechten zu tun] gehabt, nicht einmal mit beschmierten Wänden. „Ich habe die
       90er Jahre miterlebt, da hat alles gebrannt“, sagt er. „Aber die Leute hier
       haben andere Sorgen, die Zukunft, die Sicherheit, die Preise, das ganze
       Programm.“
       
       William Mnguni dagegen hat schon mit Rechten zu tun gehabt, glaubt er
       zumindest. Nicht in Schmerwitz, wo jeder jeden kennt, sondern in
       Wiesenburg, dem größten Ort der Gemeinde. Er sei mit einigen Bewohnern in
       den Supermarkt gegangen und habe draußen die Fahrräder angeschlossen. Als
       sie zurückkamen, seien ihre Reifen zerstochen gewesen, die der anderen
       Räder links und rechts aber nicht.
       
       In Wiesenburg steht auch das Rathaus, in dem [13][Bürgermeister Marco
       Beckendorf] arbeitet. Schmerwitz und Wiesenburg liegen knapp außerhalb des
       Berliner Speckgürtels, die Fahrt mit der Regionalbahn zum Berliner
       Hauptbahnhof dauert etwas länger als eine Stunde. Beckendorf ist 43 Jahre
       alt, er trägt eine blaue Krawatte und eine blaue Chinohose, in der ein
       weißes Hemd steckt.
       
       In der Gemeindevertretung Wiesenburg/Mark hat er etwas, wovon viele
       progressive Politiker:innen nur träumen können: eine linke Mehrheit.
       Die Linkspartei, für die er angetreten ist, brachte es in der Gemeindewahl
       von Juni 2024 zusammen mit Grünen und SPD auf 54,1 Prozent.
       
       Marco Beckendorf war es, der das Projekt Exile Media Hub in der Gemeinde
       angestoßen hat. Für ihn ist das Hub ein Rädchen in einem großen Plan, den
       er „aktive Regionalentwicklung“ nennt. Die Gemeinde restauriert ein
       ehemaliges VEB-Gelände, in das nun Kleingewerbe, Ateliers und
       Hobbywerkstätten einziehen sollen, versucht Projekte wie den
       Co-Working-Space von Julianne Becker oder Wohnanlagen für
       gemeinschaftliches Wohnen in der Gemeinde anzusiedeln. Der ganze Plan ist
       auf einer digitalen Anzeige am Eingang des Rathauses zu sehen.
       
       Drinnen, im zweiten Stock des Gebäudes, befindet sich Beckendorfs Büro. Den
       größten Teil des Raumes nimmt ein großer Konferenztisch ein. Beckendorf ist
       gebürtiger Brandenburger, hat aber auch lange in Berlin gelebt. Er will mit
       dem Exile Media Hub zu einem [14][anderen Narrativ von Brandenburg]
       beitragen, das gibt er unumwunden zu. Brandenburg, das soll auch für offene
       Menschen stehen, für funktionierende Gemeinden, ein lebenswertes Leben auf
       dem Land.
       
       ## Die Gemeinde erlebte eine Art zweite Wende
       
       In einer Rezession müsse die öffentliche Hand besonders stark eingreifen,
       sagt Beckendorf, der erst Regionalwissenschaften und dann Steuern und
       Finanzen studierte. In den vergangenen Jahren habe es in seiner Kommune
       eine Art zweite Wende gegeben. „Die Investoren aus den alten Bundesländern
       haben ihre Zelte abgebrochen, nachdem keine Fördermittel mehr geflossen
       sind.“ Er versuche nun, die Gemeinde wiederzubeleben. Sein Ziel seien 4.300
       Einwohner, derzeit sind es rund 4.200. Um diese Marke zu erreichen, braucht
       es vielleicht auch die Geflüchteten.
       
       Beckendorf ist seit 2015 Bürgermeister. In der vergangenen
       Legislaturperiode wehrte sich die Gemeinde noch gegen die Vorgabe des
       Landkreises Potsdam-Mittelmark, 110 Geflüchtete in Schmerwitz aufzunehmen.
       Die Argumente: Man habe nicht das geeignete Personal, um die Menschen zu
       unterstützen, man könne hier keine Arbeit finden, die Anbindung sei
       schlecht und der Weg zu den Deutschkursen zu weit, außerdem wollten die
       Menschen gar nicht herkommen.
       
       Die Argumente gelten teilweise heute auch für das Exile Media Hub. Doch
       diesmal hat sich Beckendorf für die Unterbringung eingesetzt. Auch wegen
       der Größenordnung: 35 bis 40 Personen seien machbar, 110 zu viel, sagt der
       Bürgermeister.
       
       Um die Schmerwitzer:innen zu überzeugen, luden Beckendorf und Klaas
       Glenewinkel zu einer informellen Abstimmung vor dem Gebäude des heutigen
       Media Hub. Von den 200 Einwohner:innen seien etwa 30 gekommen, erzählt
       Beckendorf. Von denen hätten sich 22 der Stimme enthalten und 8 dafür
       gestimmt. Gegenstimmen habe es also keine gegeben. „Schmerwitz ist ein sehr
       sozial geprägter Ort, der durch viel Zuzug schon immer ein bisschen
       alternativ war“, sagt Beckendorf.
       
       Der Ausländeranteil in der Gemeinde Wiesenburg/Mark liegt bei knapp 8
       Prozent. Auf die rund 4.200 Einwohner:innen kommen 321 Ausländer:innen,
       davon ungefähr 66 aus der EU. Das ist im Vergleich zu Großstädten wie
       Berlin oder Köln sehr wenig, liegt aber im Brandenburger Durchschnitt. In
       Schmerwitz leben neben den Kunst- und Medienschaffenden im Media Hub auch
       ukrainische Geflüchtete, Beckendorf schätzt den Ausländeranteil im Dorf auf
       etwa ein Drittel. Das ist mehr als in den meisten Großstädten.
       
       ## Der AfD ist das Media Hub ein Dorn im Auge
       
       Das stößt einigen auf, [15][vor allem der AfD]. Im Landkreis
       Potsdam-Mittelmark stellte die AfD-Fraktion eine Anfrage im Kreistag, die
       der taz vorliegt. Darin enthalten sind Nachfragen zur Finanzierung des
       Exile Media Hub, zur Arbeitsmarktintegration der Bewohner:innen sowie
       die Bitte um detaillierte Angaben zu Herkunft, Rechtsstatus und
       Deutschkenntnissen. Die Fraktion möchte zudem wissen, inwieweit sich die
       Bewohner:innen für Deutschland einsetzen und mit wem sie sich
       vernetzen.
       
       Die Bundestagsfraktion der AfD hatte bereits im Dezember [16][eine Kleine
       Anfrage] zur Förderung des Exile Media Hub gestellt. Darin wird der
       Bundestag darauf hingewiesen, dass sich Glenewinkels NGO abfällig über die
       AfD geäußert habe, weil das unterdurchschnittliche Wahlergebnis der Partei
       bei der Wahl zur Gemeindevertretung in Wiesenburg auf der eigenen Homepage
       mit „Noch ein Grund weshalb wir uns in der Gemeinde so wohl fühlen“
       kommentiert wurde.
       
       Von den Rechtsextremen will sich Klaas Glenewinkel aber nicht aufhalten
       lassen. Im Gegenteil: Er plant, das Projekt zu erweitern. Vor Kurzem sei er
       im Krankenhaus Bad Belzig gewesen, erzählt er Mitte April am Telefon. „Ich
       bin total erschrocken, wie drastisch sich der Fachkräftemangel zeigt. Es
       fehlen wirklich überall Leute.“ Seitdem habe er zusammen mit der
       Krankenhausverwaltung erste Pläne erarbeitet, wie auch Pfleger:innen
       unter Geflüchteten rekrutiert werden könnten.
       
       Die Idee: Das Krankenhaus bildet die Geflüchteten aus, das Exile Media Hub
       vermittelt eine Unterkunft. Auch andere Gesundheitseinrichtungen in der
       Region will Glenewinkel kontaktieren. Er geht davon aus, dass die
       Arbeitsvermittlung relativ kostengünstig umgesetzt werden könnte. Pro 30
       Geflüchtete brauche es nicht mehr als eine zusätzliche Stelle, um
       Absprachen mit potenziellen Arbeitgebern zu organisieren und die
       Berufseinsteiger:innen zu betreuen.
       
       „Wir wollen kein Projekt nur für gebildete Geflüchtete aus oberen Schichten
       sein“, sagt Glenewinkel. „Warum nicht auch Pfleger und Pflegerinnen im Haus
       unterbringen oder Kfz-Mechaniker?“ Bislang richtet sich das Angebot an
       ausgebildete Journalist:innen und studierte Künstler:innen. Die
       Personalnot örtlicher Unternehmen wird mit ihnen nicht gelindert.
       
       Dass das aber prinzipiell möglich sei, davon ist Glenewinkel überzeugt. Im
       Grunde gehe es nur darum, eine Person einzustellen, die den Kontakt
       zwischen den Menschen in den Unterkünften und den Unternehmen in der Region
       herstellt, sagt er. „Man muss nur alle Akteure zusammenkoppeln.“
       
       ## Fachleute schätzen Glenewinkels Ansatz
       
       Ist es wirklich so einfach? Bei Fachleuten kommen Glenewinkels Ideen gut
       an. Das Modell Schmerwitz sei „ein guter Startpunkt“, sagt der Soziologe
       Denis Zeković vom [17][Deutschen Zentrum für Integrations- und
       Migrationsforschung] (Dezim). Man könne das durchaus auch andernorts
       gewinnbringend aufgreifen – „allerdings nicht eins zu eins“.
       
       Vielmehr müsse es darum gehen, die zentralen Lehren aus Schmerwitz zu
       übertragen. Zum Beispiel, indem man mehr Personal für die berufliche
       Betreuung der Geflüchteten einstelle. In der lokalen Verwaltung der
       Kommunen könnten die Abteilungen für Integration und die
       Wirtschaftsförderung besser zusammenarbeiten.
       
       Viele andere Hürden auf dem Weg in den Arbeitsmarkt blieben jedoch
       bestehen, wenn das Modell Schmerwitz in größerem Maßstab eingeführt würde,
       sagt Zeković. Fehlende Deutschkenntnisse etwa seien in vielen Fällen ein
       Problem, insbesondere wenn in kleinen Betrieben die Arbeitgeber kein gutes
       Englisch sprechen. Die vorige Bundesregierung kürzte die [18][Mittel für
       Sprachkurse dramatisch.]
       
       Oder der psychische Druck, der auf den Geflüchteten laste, solange ihr
       Asylverfahren läuft. „Da kann sich kaum jemand richtig konzentrieren.“ Und
       auch die Anerkennung von Berufsqualifikationen funktioniere weiterhin nur
       holprig. „Oft haben die Leute im Herkunftsland jahrelange Berufserfahrung,
       aber keine formale Ausbildung mit Nachweis“, sagt Zeković.
       
       ## Nur ein Bewohner hat bisher eine Festanstellung
       
       Tatsächlich ist die Bilanz der Vermittlungsversuche in Schmerwitz bisher
       durchwachsen. Nur eine:r der Bewohner:innen hat den Sprung in die
       Festanstellung geschafft. Viele andere aus der ersten
       Bewohner:innen-Generation wurden für einzelne Projekte bei Firmen in der
       Region angeheuert.
       
       Bei der Lokalzeitung Brandenburger Wochenblatt schreiben die
       Bewohner:innen regelmäßig eine Kolumne, in der sie aus ihrem Leben
       berichten. Und Radio Potsdam sendet einmal im Monat eine Livesendung, die
       einer der Geflüchteten aus Schmerwitz moderiert. „Sehr stolz“, sei er auf
       all das, sagt Klaas Glenewinkel, räumt aber ein: „Wir hatten gehofft, dass
       die Vermittlung in feste Arbeitsplätze schneller und besser funktioniert.“
       
       Neben anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten und Sprachbarrieren habe
       das auch mit dem [19][hohen bürokratischen Aufwand] zu tun. „Grundsätzlich
       ist das Interesse bei den Firmen groß“, sagt Glenewinkel. „Aber alle haben
       Angst vor dem Papierkram.“
       
       Die Agentur für Arbeit prüft jeden Arbeitsvertrag von Geflüchteten, um
       Ausbeutung zu verhindern. Hinzu kommt, dass bei Asylbewerber:innen
       immer die Gefahr besteht, dass ihr Schutzantrag negativ beschieden wird.
       Unter Umständen wird ein gerade mühsam eingearbeiteter Angestellter dann
       sogar abgeschoben.
       
       ## Der Zeitgeist ist flüchtlingsfeindlich
       
       In Umfragen spricht sich inzwischen eine Mehrheit der Deutschen gegen das
       [20][individuelle Asylrecht aus]. Zwar ist noch nicht klar, wie weit die
       neue Bundesregierung unter Friedrich Merz bei den Zurückweisungen
       Asylsuchender wirklich geht. Noch könnten die EU-Nachbarländer oder der
       Europäische Gerichtshof die Pläne vereiteln. Doch der Zeitgeist ist
       flüchtlingsfeindlich. Ist ein Projekt wie das Exile Media Hub da nicht
       hoffnungslos aus der Zeit gefallen?
       
       Es ist das erste Mal im Telefongespräch, dass Glenewinkel nur zögerlich
       antwortet. „Die Unterkünfte sind immer noch voll“, sagt er und wird dann
       doch wieder kämpferisch: „Es geht um die Leute, die bei uns sein wollen,
       die es schaffen wollen. Mit denen lässt sich was reißen.“
       
       Für die Bewohner:innen im Media Hub geht das Leben weiter wie gewohnt.
       Zweimal pro Woche fahren sie zum Deutschkurs nach Berlin, wer kann, geht
       zum Arbeitsamt. Alle warten auf ihren endgültigen Asylbescheid. William
       Mnguni arbeitet als Aushilfe bei Julianne Becker, macht Musik und arbeitet
       an einem Podcast.
       
       Sareh Oveysi eröffnet Mitte Mai ihre nächste Fotoausstellung und sucht nach
       Möglichkeiten, einen neuen Dokumentarfilm über Liebe und Freiheit zu
       zeigen. Sie sagt: „Ehrlich gesagt habe ich manchmal das Gefühl, dass in
       kleinen Dörfern eine tiefere Verbundenheit herrscht – etwas Realeres als in
       großen Städten. Diese Orte wirken auf mich heilend; manchmal möchte man
       einfach nur gut sein, selbst in einem stillen Winkel der Welt.“
       
       18 May 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Migration neu denken: So könnte eine humane Fluchtpolitik aussehen
       
       Seit Jahren dominieren Rechte und Konservative das Thema Einwanderung.
       Dabei ginge es auch anders.
       
   DIR Zurückweisungen an den Grenzen: „Wir schaffen das“ ist jetzt abgeschafft
       
       Das deutsche Asylgesetz sieht eine Zurückweisung an den Grenzen bereits
       vor. EU-rechtskonform ist das vermutlich nicht.
       
   DIR Rechte Gewalt in Berlin: Mehr Angriffe auf Geflüchtete
       
       Attacken auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte haben 2024 im Vergleich zum
       Vorjahr stark zugenommen. 34 Menschen wurden verletzt.
       
   DIR Landtagswahlen in Brandenburg: Gerade noch mal gutgegangen
       
       Dicht gefolgt von der AfD geht die SPD mit Dietmar Woidke als erste durchs
       Ziel. Populäre Spitzenkandidaten zahlen sich im Wahlkampf aus.