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       # taz.de -- Berliner Datenschutzbericht 2024: Rechtswidrige Überwachung
       
       > Unverhältnismäßige Videoüberwachung am Kotti und Abfragen der eigenen
       > Datenbank für private Zwecke: Die Berliner Polizei nimmt es mit dem
       > Datenschutz oft nicht so genau.
       
   IMG Bild: Achtung, Videoüberwachung! Dass dieser Hinweis am Kotti fehlt, ist nur einer der Verstöße gegen das Datenschutzrecht
       
       Berlin taz | Die Videoüberwachung der [1][Polizeiwache am Kottbusser Tor]
       in Berlin-Kreuzberg ist rechtswidrig. Das sagte die Datenschutzbeauftragte
       der Hauptstadt, Meike Kamp, am Montag bei der Vorstellung des
       Datenschutzberichts 2024. „Wir haben die Videoüberwachung vor Ort geprüft
       und dabei mehrere Verstöße festgestellt.“
       
       In der Unterführung des „Zentrums Kreuzberg“ in der Adalbertstraße gibt es
       laut Polizei elf Kameras, die auch einen großen Teil des öffentlichen Raums
       filmen. „Die Videoüberwachung erfolgt ohne ausreichende Rechtsgrundlage und
       greift unverhältnismäßig in die Grundrechte von Passant:innen und
       Verkehrsteilnehmer:innen ein“, so Kamp.
       
       Bedenken hat die Beauftragte vor allem bei der flächendeckenden Überwachung
       der Terrasse, wo sich auch Beratungsangebote für marginalisierte Gruppen
       befinden. „Den Hilfesuchenden muss ermöglicht werden, diese Angebote
       wahrzunehmen, ohne dass sie gezwungen sind, sich der Videoüberwachung
       auszusetzen“, so Kamp.
       
       Der „Kotti“ gilt der Polizei als „kriminalitätsbelasteter Ort“. Im Februar
       2023 wurde daher im „Zentrum Kreuzberg“ die Polizeiwache eröffnet. Drei
       Beamt*innen sind dort rund um die Uhr im Dienst. Die schreiben vor allem
       Anzeigen, außerhalb der Wache sind sie kaum präsent, wie eine [2][Anfrage
       des Grünen-Abgeordneten] Vasili Franco ergab. Die Wache wurde von Beginn an
       stark kritisiert: Anwohner*innen und auch [3][Polizeibeamte vor Ort]
       forderten stattdessen soziale Lösungen für die Probleme.
       
       ## Nur wenige Straftaten aufgezeichnet
       
       Die Polizei begründet die Videoüberwachung auf taz-Anfrage mit
       Gefahrenabwehr und der Verhinderung von Straftaten. Sie befürchtet Angriffe
       auf die Wache – in ihren Augen ein „gefährdeter Ort“. Dem widerspricht die
       Datenschutzbeauftragte. Seit Beginn der Überwachung seien nur wenige
       Straftaten aufgezeichnet worden, vor allem Sachbeschädigung, heißt es in
       ihrem Bericht. Zudem sei die Polizeiwache immer besetzt, die
       Mitarbeiter:innen könnten im Gefahrenfall sofort reagieren.
       
       „Die Videoüberwachung ist in dieser Form unverhältnismäßig“, sagt Kamp. Sie
       hat gegenüber der Polizei eine Mangelfeststellung ausgesprochen und fordert
       die Behörde auf, alternative Konzepte in Betracht zu ziehen, um einen
       „Ausgleich zwischen Sicherheitsinteressen und Freiheitsrechten“ zu
       ermöglichen.
       
       Das könnten etwa bauliche Maßnahmen sein, um den Überwachungsbereich zu
       verkleinern. Laut Berliner Rechtsprechung „muss der unverpixelte
       Erfassungsbereich der Kameras auf etwa einen Meter zur Gebäudefassade
       begrenzt und für Passant:innen deutlich markiert werden“. Alternativ
       könnten Polizeistreifen eingesetzt werden.
       
       Ein Gespräch mit der Polizeipräsidentin vor zwei Wochen hat laut Kamp
       bislang zu keinem Ergebnis geführt. „Die Kameras sind nach wie vor
       vorhanden.“ Die Berliner Polizei teilte auf taz-Anfrage mit, die
       Mangelfeststellung werde derzeit „eingehend geprüft“.
       
       ## Datenschutzbeauftragte hat keine effektiven Befugnisse
       
       Das Problem: Die Berliner Datenschutzbeauftragte hat kaum Befugnisse. „Wir
       können nichts anordnen, nur anmahnen“, erklärt Kamp, auch könne sie keine
       Fälle vor Gericht bringen. Selbst wenn die Polizei sich weigert, die
       Verstöße zu beseitigen, hat sie keine Handhabe.
       
       Dabei sieht die Datenschutzrichtlinie der Europäischen Union das durchaus
       vor. Demnach müssen Aufsichtsbehörden die Einhaltung von Vorschriften
       direkt anweisen können, etwa durch Einschränkung der Verarbeitung oder die
       Löschung von Daten.
       
       Diese Vorgaben sind jedoch bis heute auf Bundes- und Landesebene nicht
       umgesetzt. „Wir haben keine effektiven Befugnisse, wie sie das Europarecht
       vorsieht“, kritisiert Kamp. Die EU-Kommission hat daher bereits 2022 ein
       Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, das auch das
       Berliner Datenschutzgesetz als unzureichend kennzeichnet.
       
       ## 50 Bußgeldverfahren gegen Polizist:innen
       
       Die Filmerei am Kotti ist indes nicht der einzige Verstoß der Polizei gegen
       den Datenschutz. So gibt es seit Jahren immer wieder missbräuchliche Abrufe
       der polizeiinternen Datenbank Poliks. 2024 betraf ein großer Teil der
       Bußgeldverfahren Polizist:innen, die zu nicht-dienstlichen Zwecken
       personenbezogene Daten abgerufen hatten. Insgesamt gab es 50 Verfahren,
       wobei in 23 Fällen Bußgelder erlassen wurden. Die restlichen 27 sind zum
       Großteil noch nicht abgeschlossen.
       
       So fragte ein Polizist in 170 Fällen Daten seiner Ex-Freundin und ihrer
       Familie ab. Ein anderer nutzte die Telefonnummer einer Geschädigten, um mit
       ihr privat Kontakt aufzunehmen. Ein weiterer Polizist fragte die
       Meldeadresse einer Person des öffentlichen Lebens ab, die später ein
       Drohschreiben erhielt. Ein Zusammenhang konnte allerdings nicht
       nachgewiesen werden.
       
       Die Datenschutzbeauftragte geht davon aus, dass die erfassten Fälle nur die
       Spitze des Eisbergs sind: „Die Dunkelziffer ist sehr viel höher.“ Sie
       fordert ein erweitertes Schutzkonzept der Polizei. Die müsse technisch
       nachrüsten, um die „fortwährenden missbräuchlichen Abrufe“ zu verhindern.
       Die technischen Hürden für unbefugten Zugriffe seien nach wie vor niedrig.
       Darüber hinaus brauche es eine „konsequente Sanktionierung“.
       
       26 May 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Marie Frank
       
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