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       # taz.de -- Grüne-Jugend-Chefin in ACAB-Pullover: All Cops Are berechtigt kritisierbar
       
       > Die Chefin der Grünen Jugend trägt die Buchstaben ACAB auf einem Hoodie
       > und erntet Kritik: zu platt, zu radikal. Dabei steckt hinter ACAB
       > legitime Kritik.
       
   IMG Bild: Berlin, 24. März 2024: Polizisten gehen auf dem Weg zu einem Einsatz an einer Hauswand entlang, auf die eine „ACAB“-Graffiti gemalt ist
       
       Die deutsche Woche startet wieder mal mit einer aufgeheizten
       Polizeidebatte. Die Polemik hat diesmal Jette Nietzard, die Vorsitzende der
       Grünen Jugend, angestoßen. Sie hatte auf Instagram ein Selfie von sich
       gepostet. Auf ihrem Sweatshirt ist klein das Akronym ACAB zu lesen. Es
       steht für „All Cops Are Bastards“.
       
       Es dauerte nicht lange, da meldete sich die routinierte Polizeilobby.
       Rainer Wendt, Polizeigewerkschaftler und TV-Persönlichkeit, sparte nicht
       mit harten Worten: Leute wie Nietzard seien ein „wohlstandsverwahrloster
       Haufen von Linksextremisten, dem alles Potenzial für demokratisches
       Bewusstsein fehlt“. [1][Wie koordiniert pushte Bild die Aussage] von Wendt
       als Schlagzeile am Montagmorgen.
       
       Wenn Polizeigewerkschafter Wendt und Springer dagegen sind, kann ACAB doch
       eigentlich nur berechtigt sein, möchte man denken. Doch ACAB ist nicht
       deswegen legitim – sondern weil hinter dem umstrittenen Akronym eine
       grundsätzliche und fundierte Kritik an gewalttätigen Verhältnissen steckt.
       
       Ein Blick in die Geschichte klärt auf: Seinen Ursprung hat das Akronym im
       England der 1920er bis 1940er Jahre. Damals nutzten es streikende
       Arbeiter*innen als Widerstandsformel gegen die Polizei, die ihren
       Protest für mehr Arbeitsschutz und Menschenwürde brutal niederschlug.
       
       ## Nicht differenziert genug?
       
       In den Jahrzehnten darauf ließen sich Menschen in aller Welt die Abkürzung
       ACAB als Tattoo stechen, bauten sie in Rap-Songs ein oder sprühten ACAB
       groß auf Züge. So ging das Akronym in eine Symbolik ein, die viele über
       Sprachbarrieren hinweg verstehen, auch abgewandelt als Zahlenfolge 1312,
       gemäß den Buchstaben und ihrer Platzierungen im Alphabet.
       
       Daran gibt es auch Kritik aus progressiven Kreisen. Vor allem das Wort
       „Bastard“ sei belastet und negativ konnotiert. Allerdings haben sich ACAB
       und 1312 in einer urban geprägten Kritik längst verselbstständigt.
       
       Hinter den Buchstaben und Ziffern steckt eine Analyse systematischer
       Staatsgewalt, die Menschen in Gefahr bringt, sie das Leben kostet,
       Meinungsfreiheit aktiv einschränkt und sich im Anschluss dafür noch selbst
       feiert.
       
       Aus konservativ-bürgerlicher Sicht, die sich tief in alt-linke Kreise
       gefressen hat, schlummert die Gegenkritik in einer Frage: Können alle
       Polizist*innen über einen Kamm geschert werden? Ist das nicht
       niveaulos?
       
       ## Gewaltmonopol oft missbraucht
       
       Es ist eher Zufall, dass diese sehr deutsche Debatte am [2][fünften
       Jahrestag nach dem Lynchmord an George Floyd] stattfindet, nur wenige
       Wochen nachdem [3][Lorenz A. in Oldenburg mit mehreren Schüssen in den
       Rücken] von einem Polizisten niedergestreckt wurde.
       
       Mehrere Menschen verlieren jeden Monat in Deutschland ihr Leben aufgrund
       von Polizeigewalt, die theoretisch alle treffen kann. Besonders aber
       psychisch Erkrankte, von Rassismus Betroffene und Schutzsuchende. 1312, so
       kann man es in den meisten Kontexten lesen, zielt genau auf dieses System
       hinter der Polizeigewalt.
       
       Polizist*innen sind Menschen, das stimmt. Es sind aber auch Menschen,
       die sich (selbst-)bewusst in den Dienst einer Institution stellen, die das
       ihr anvertraute Gewaltmonopol zu oft missbraucht.
       
       Weil Polizist*innen und Behörden in der Vergangenheit gegen die
       Urheber*innen von ACAB-Transparenten fleißig und fragil klagten, haben
       sich deutsche Gerichte ausgiebig damit beschäftigt. So auch das
       [4][Bundesverfassungsgericht im Jahr 2016]. Es urteilte: ACAB-Parolen seien
       nicht ohne Weiteres als Kollektivbeleidigung strafbar. Die Aussage müsse im
       Kontext betrachtet werden und sei oft mit einer Kritik an den Strukturen
       der Polizei verknüpft.
       
       ## ACAB ist absolut berechtigt
       
       Sie ziele – in den konkreten Fällen, die dem Gericht vorlagen – nicht auf
       eine abgeschlossene Gruppe von Menschen, sondern auf ein System. ACAB ist
       demnach in den meisten Fällen eine von der Meinungsfreiheit abgedeckte
       Ausdrucksweise von Kritik am Polizeiproblem.
       
       Nietzard hat sich auf Druck ein wenig von ihrem Sweatshirt distanziert: Sie
       besitze es als Privatperson, ließ sie wissen. An der grundsätzlichen
       Polizeikritik hält sie – anders als ihre Mutterpartei – allerdings fest.
       
       Und selbst die Polizei selbst hat sich schon mal auf ACAB bezogen. Anfang
       2023 warb die Bundespolizei für sich mit dem Akronym. Leicht abgewandelt
       mit der Erläuterung: „All Cops Are Beautiful“. Spätestens seit dieser
       Plakataktion, die viel Spott auf sich zog, hat 1312 seine absolute
       Berechtigung im kritischen Polizeidiskurs bekommen.
       
       Alles halb so wild, solange über das eigentliche Problem diskutiert wird:
       All Copsystems Are Brutal.
       
       26 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bild.de/politik/inland/polizei-gewerkschafter-gruene-jugend-ist-haufen-von-linksextremisten-6832d2576f5de97abdf9f2fa
   DIR [2] /Polizeigewalt-in-den-USA/!6089762
   DIR [3] /Trauer-um-Lorenz-A/!6084205
   DIR [4] /Beschluss-des-Bundesverfassungsgerichts/!5316367
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mohamed Amjahid
       
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