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       # taz.de -- Diskussion um Cannabis und Heroin: Keine Heroin-Krise in Sicht
       
       > Der scheidende Leiter der Jugendpsychiatrie der Hamburger Uniklinik
       > beschwört ein Heroin-Revival herauf. Suchtforscher:innen
       > widersprechen.
       
   IMG Bild: Die Realität sieht anders aus: Schauspieler:innen der Amazon-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“
       
       Hamburg taz | Weil [1][Kiffen jetzt legal ist], erlebe Hamburg ein
       „Heroin-Revival“, das an die Drogenkrise der 1980er erinnere: Es ist eine
       steile These, die Rainer Thomasius im [2][Hamburger Abendblatt ]
       aufgestellt hat, anlässlich seiner Verabschiedung in den Ruhestand.
       Thomasius war unter anderem ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für
       Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters im Universitätsklinikum
       Hamburg-Eppendorf (UKE). Und er ist [3][entschiedener Gegner der
       Legalisierung]. Bereits vor dem Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes im
       April 2024 warnte er vor mehr Konsum und infolgedessen vor einer
       [4][Zunahme von Psychosen bei Jugendlichen].
       
       Mit einer gemeinsamen Stellungnahme widersprechen die Fachstelle für
       Suchtfragen „Sucht.Hamburg“, das Institut für interdisziplinäre Sucht- und
       Drogenforschung (ISD) Hamburg und das Frankfurter Institut für
       Suchtforschung [5][Thomasius’ Darstellung jetzt]. Die verfügbaren Daten
       zeigen nämlich: Hamburg ist weit entfernt von einer neuen Drogenkrise.
       
       Der Abendblatt-Text zeichnet ein düsteres Bild: Die Legalisierung von
       Cannabis für Erwachsene habe eine „Allverfügbarkeit“ der Droge geschaffen,
       die Jugendliche dazu treibe, ihren „Kick“ in gefährlicheren Substanzen wie
       Heroin zu suchen. Thomasius spricht von einer gesellschaftlichen Akzeptanz
       von Cannabis, vergleichbar mit Alkohol, und beschwört Bilder von
       Dealer:innen herauf, die Minderjährigen kostenlos Heroin anbieten, um
       sie abhängig zu machen – ein Szenario, das an [6][„Christiane F.“]
       erinnert. „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ beschreibt die
       Geschichte einer Jugendlichen, die in den 1970ern in Berlin in die
       Heroinsucht abrutscht. Ihr Schicksal prägte damals das Bild der Drogenkrise
       und wurde zum Symbol für die Gefahren harter Drogen.
       
       ## Keine Anzeichen für einen Anstieg
       
       Doch die Stellungnahme der Suchtforscher:innen macht klar: Diese
       Behauptungen sind übertrieben und empirisch unhaltbar. Es gebe „derzeit
       keine belastbaren Hinweise auf einen Anstieg des Heroinkonsums unter
       Jugendlichen seit der Legalisierung von Cannabis für Erwachsene“, schreiben
       sie. Man müsse deshalb bei Thomasius’ Aussagen „eher von anekdotischer
       Evidenz als von epidemiologisch relevanten Entwicklungen ausgehen“, das
       heißt: Thomasius mag das so erleben, die Zahlen sprechen aber eine andere
       Sprache.
       
       Es sei zwar richtig, dass das UKE aktuell von jugendlichen
       Heroin-Konsument:innen vermehrt in Anspruch genommen werde, und auch aus
       anderen Suchthilfeeinrichtungen gebe es Berichte, dass diese etwas häufiger
       von jungen Menschen aufgesucht werden, die Opioide konsumieren – allerdings
       nur selten Heroin. Ein kausaler Zusammenhang mit der Cannabis-Legalisierung
       sei aber „zu weit hergeholt“, heißt es in der Stellungnahme. Die These sei
       durch keine Daten gestützt.
       
       Obwohl zwei Studien, die 2024/25 repräsentativ unter Hamburger Jugendlichen
       und Lehrkräften [7][erhobene „Schulbus“-Umfrage zum Umgang mit
       Suchtmitteln] und die mit Frankfurter Jugendlichen durchgeführte Studie
       [8][„Monitoring-Systems Drogentrends“], noch ausgewertet werden müssten,
       ließen sich aus ersten Sichtungen keine Anzeichen dafür erkennen, dass der
       Umgang von Jugendlichen mit Cannabisprodukten und anderen Drogen gegenüber
       den Vorjahren angestiegen wäre.
       
       ## Heroin nehmen nur sehr wenige
       
       Vieles deute darauf hin, so die Suchtforscher:innen, dass „der erfreulich
       rückläufige Trend auch in der Verbreitung des Kiffens unter den
       Jugendlichen – trotz der Legalisierung – weiterhin anhält“. Auch der Konsum
       von Ecstasy sei gesunken, die Verbreitung von Heroin bleibe „im
       Promillebereich gleichbleibend niedrig“.
       
       Daten der Polizei decken sich mit dieser Einschätzung. Aus Hamburgs
       Polizeilicher Kriminalstatistik 2024 geht hervor, dass die Zahl der
       erfassten Rauschgiftdelikte 2024 insgesamt [9][um etwa ein Drittel auf
       11.313 Fälle gesunken ist] – was auf das Konsumcannabisgesetz
       zurückzuführen sei. Heroinkonsumdelikte sind um 242 Fälle (–16,9 Prozent)
       zurückgegangen.
       
       Auch Jan Reinecke vom Bund Deutscher Kriminalbeamter sieht [10][laut NDR
       keine Anzeichen für einen massiven Anstieg des Heroinkonsums] unter
       Jugendlichen. Heroin spiele in Hamburg nur eine untergeordnete Rolle,
       Hinweise auf eine gezielte Strategie von Dealer:innen, Jugendliche mit
       Heroin süchtig zu machen, gebe es nicht.
       
       Von einem Heroin-Revival und einer Neuauflage der Drogenkrise der 1980er
       kann in Hamburg also keine Rede sein. Mit der “‚Wiederbelebung‘ der
       Geschichte von „Christiane F.“, vermuten die Suchtforscher:innen
       deshalb, solle „öffentlichkeitswirksam das vor gut einem Jahr in Kraft
       getretene Konsumcannabisgesetz als gescheitert erklärt werden“, noch bevor
       die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation dieser Gesetzesänderung,
       an der das ISD beteiligt ist, vorliegen. Vorläufige Daten zur Folgen der
       Legalisierung deuten laut der Forscher*innen auf etwas anderes hin:
       „Cannabis ist für Jugendliche so unattraktiv wie seit mindestens 20 Jahren
       nicht mehr.“
       
       27 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ein-Jahr-Cannabis-Gesetz/!6076165
   DIR [2] https://www.abendblatt.de/hamburg/politik/article409016618/cannabis-legalisierung-fuehrt-zu-heroinkonsum-von-jugendlichen-2.html
   DIR [3] /Legalisierung-von-Cannabis/!5815534
   DIR [4] /Psychoserisiko-erhoeht-sich-um-Faktor-zwei/!5282899
   DIR [5] https://www.sucht-hamburg.de/images/08_Kategorien/Pressemitteilungen/2025/Stellungnahme_zum_Abendblatt-Artikel_vom_16-05-2025.pdf
   DIR [6] /Serie-Wir-Kinder-vom-Bahnhof-Zoo/!5753286
   DIR [7] https://www.sucht-hamburg.de/praevention/projekte/schulbus
   DIR [8] https://www.uni-frankfurt.de/57482320/MoSyD_Daten
   DIR [9] https://www.polizei.hamburg/resource/blob/1053710/30efad000cc60586a22280031dad1ea0/pks-2024-jahrbuch-do-data.pdf
   DIR [10] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Experten-sehen-keine-Hinweise-fuer-Heroinwelle-bei-Jugendlichen,heroin140.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Matthies
       
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