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       # taz.de -- Spielfilm über unterdrückte Queerness: Das Verlangen hinter der Fassade
       
       > Unterdrücktes Begehren, große Träume: Der Spielfilm „On Swift Horses“ von
       > David Minahan taucht in das Leben dreier Menschen in den 1950ern ein.
       
   IMG Bild: Es ist nicht so wie es scheint: Lee (Will Poulter) und Muriel (Daisy Edgar-Jones) in „On Swift Horses“
       
       Hollywood“ (2020), „Ratched“ (2020), „Halston“ (2021) – wer eine dieser
       Serien kennt, hat unweigerlich einen bestimmten Look vor Augen. Sie alle
       sind unter der Ägide von Ryan Murphy entstanden. In den letzten zehn Jahren
       avancierte er zum [1][Star-Showrunner des schönen Schreckens] und
       entwickelte eine visuelle Handschrift, die weit über seine Produktionen
       hinaus strahlt – bis hin zu Daniel Minahans neuem Drama „On Swift Horses“.
       
       Nicht zuletzt im Rahmen eines umfangreichen Fünfjahresvertrages mit
       Netflix, dessen Volumen auf 300 Millionen Dollar geschätzt wird, zeichnete
       Ryan Murphy als Produzent, Regisseur und Autor verantwortlich für Serien,
       die in stilisierten, fast überinszenierten Welten schillernde
       Popkulturreferenzen, verstörenden Horror und auffällige Camp-Ästhetik mit
       queeren Themen verweben.
       
       Das Besondere an den Produkten Ryan Murphys ist der aufregende Widerspruch
       zwischen ihrer Inszenierung und dem, was vor warmen, leuchtenden und
       nostalgischen Bildern erzählt wird: Meist sind es tieftragische bis
       gewaltreiche Geschichten um homosexuelle Hauptfiguren, die im starken
       Kontrast zu den idealisierten Bildwelten und den knalligen Farbakzenten
       stehen. Doch Ryan Murphy schafft daraus keine leeren Kitschspektakel.
       
       Stattdessen kommt der nahezu makellosen Oberfläche eine klare Funktion zu:
       Sie wirkt wie eine zärtliche, fast ehrfürchtige Verbeugung, wie eine
       nachträgliche Würdigung von Lebenswegen, die häufig von Ausgrenzung,
       Krankheit oder Leid gezeichnet sind – wie etwa im Fall des ermordeten
       Modedesigners Gianni Versace („American Crime Story“) oder des an Aids
       verstorbenen Schauspielers Rock Hudson („Hollywood“).
       
       ## Gnade gegenüber dem Grauen
       
       Anders ausgedrückt: Der Glamour wird bei Ryan Murphy zu einem Akt der Gnade
       gegenüber dem Grauen. Dieser Ansatz, mit Stil über Schmerz zu sprechen, um
       ihn im spannungsreichen Gegensatz sichtbar zu machen und in etwas Erhabenes
       zu verkehren, hilft zu verstehen, was auch besagter Daniel Minahan mit
       seinem zweiten Langfilm „On Swift Horses“ vorhat. Der US-amerikanische
       Regisseur und Drehbuchautor, der in den vergangenen 25 Jahren ebenfalls vor
       allem im Serienbereich arbeitete und regelmäßig Episoden für
       Ryan-Murphy-Produktionen inszenierte, versucht in seinem zweiten Langfilm
       nämlich etwas ganz Ähnliches.
       
       Die Handlung, die auf dem gleichnamigen Roman von Shannon Pufahl aus dem
       Jahr 2019 basiert und von Bryce Kass adaptiert wurde, bietet sich dafür
       durchaus an. Angesiedelt ist sie in den 1950er Jahren, und damit in einer
       Dekade, die in Film und Fernsehen sowieso meist als eine der
       Hochglanzfassaden inszeniert wird: Perfekte Vorstadtidyllen voller
       makelloser Häuser treffen auf polierte Küchen in Pastelltönen, den
       minimalistischen Chic von Mid-Century-Möbeln und farbenfrohe Chrom-Karossen
       mit Heckflossen.
       
       Eine Ästhetik, die die Nachkriegseuphorie abbildet, von Fortschrittsglauben
       geprägt ist, spürbar Optimismus versprüht – jedoch in deutlicher Diskrepanz
       zu vielen gesellschaftlichen Wirklichkeiten, zu rigiden Wertvorstellungen
       und Diskriminierungen, zu neuerlicher Kriegsangst und der atomaren
       Eskalation steht. Das junge Paar im Zentrum von „On Swift Horses“ scheint
       den großen American Dream allerdings zunächst mitzuträumen. Vor allem Lee
       (Will Poulter) strebt nach dem sozialen Aufstieg. Nach seiner Rückkehr aus
       Korea will er mit Muriel (Daisy Edgar-Jones) eine Familie gründen und von
       Kansas ins sonnige Kalifornien umsiedeln. Der Plan schließt auch seinen
       Bruder Julius (Jacob Elordi) mit ein – wohl nicht zuletzt, um sich durch
       seine finanzielle Unterstützung schneller ein Stück Land mit einem eigenen
       Häuschen darauf leisten zu können.
       
       Julius aber hält nichts von solch dauerhaften Vorhaben und weitreichenden
       Verbindlichkeiten. Der wahre Grund dafür wird erst deutlich später
       enthüllt. Anfangs erscheint es so, als wäre er schlicht ein leichtlebiger
       Aufschneider, der sich seiner äußerlichen Wirkung allzu sehr bewusst ist
       und ebenso gerne Gebrauch davon macht: Als er das erste Mal im Film zu
       sehen ist, schaut Muriel mit sichtbarer Faszination aus dem ersten Stock
       ihres Elternhauses auf ihn herab. Lees jüngsten Heiratsantrag hat sie kurz
       zuvor, noch nackt neben ihm im Bett liegend, abgelehnt – nun fixiert sie
       den nackten Oberkörper seines Bruders, der sich auf der Motorhaube seines
       Pick-ups lässig eine Zigarette anzündet.
       
       ## Zu beiläufig und bedeutungslos
       
       Lange wirkt es, als würde sich „On Swift Horses“ zu einem erotischen Drama
       um ein Liebesdreieck entwickeln. Julius nähert sich Muriel beinah unerhört
       offen an, streicht vor den Augen seines Bruders heimlich über ihre Hand,
       tanzt eng umschlungen mit ihr und flirtet frei heraus, als er ihr
       beibringt, wie man beim Pokern betrügt. Und nachdem er genauso plötzlich
       wieder verschwunden ist, wie er auftauchte, versucht Muriel über Briefe
       weiter mit ihm Kontakt zu bleiben. Selbst dann, als sie sich schließlich
       doch für ein Leben mit Lee an der Westküste entschieden hat.
       
       Ihre jeweiligen Wege weisen dennoch durchaus gewisse Ähnlichkeiten auf:
       Während Julius die Tricksereien beim Glücksspiel in Las Vegas bald sein
       lässt und stattdessen im Überwachungsraum eines Casinos arbeitet, um andere
       Betrüger aufzuspüren, verdient sich Muriel durch Pferdewetten ein kleines
       Vermögen zu ihrem Verdienst als Kellnerin hinzu. Der kanadische Kameramann
       Luc Montpellier („Die Aussprache“) gießt die langsam vor sich hin
       lavierenden Geschehnisse in saturierte Farben, in sanftem Licht sind
       weichgezeichnete Gesichter, perfekt arrangierte Kulissen und Kleider, die
       direkt aus einem Modemagazin stammen könnten, zu sehen.
       
       Das Murphy’sche Ästhetikideal beschwört Daniel Minahan also durchaus
       herauf – eine ähnliche emotionale Fallhöhe erreicht er dabei allerdings
       nicht. Dafür wirkt das, was sich im Laufe der zwei Stunden schließlich
       entwickelt, zu beiläufig und bedeutungslos.
       
       ## Bisexualität als Zeichen von Unentschlossenheit
       
       Als Muriel mit Lee in eine neue Nachbarschaft von San Diego zieht, lernt
       sie Sandra (Sasha Calle) kennen. Aus einer zaghaften Annäherung wird eine
       Affäre, die für Muriel mehr wie ein Spiel scheint. Statt als eigenständiger
       Ausdruck ihrer Identität wirkt die neue Facette ihres Begehrens lange wie
       ein flüchtiges Experiment, eine episodische Ablenkung – was durchaus an
       altbekannte, ärgerliche Klischees von Bisexualität als Zeichen von
       Unentschlossenheit, einer Neigung zu Untreue und emotionaler
       Unzuverlässigkeit anknüpft.
       
       Dass Muriels Begehren womöglich tiefer reichen soll als tatsächlich
       gezeigt, lässt sich nur durch die Gegenüberstellung mit Julius parallel
       erzählter Geschichte erahnen. In seinem neuen Job trifft er auf Henry
       (Diego Calva), aus ihrer Begegnung entsteht eine vorsichtige Beziehung –
       gelebt im Geheimen, abseits der Öffentlichkeit, abgeschirmt in billigen
       Motelzimmern. Doch auch diese Liebe bleibt in Andeutungen gefangen: Was die
       beiden Männer verbindet, wird nie greifbar.
       
       Statt auf aufschlussreiche Dialoge oder Momente der Introspektion, die
       einen Einblick in die Gefühlswelt der Figuren geben könnten, verlässt sich
       Daniel Minahan auf das Charisma seines Hauptdarstellers Jacob Elordi, der
       seit Rollen in „Saltburn“ (2023) und der Skandalserie „Euphoria“ als Symbol
       verwegener Verführungskraft gehandelt wird.
       
       Doch was wie magnetische Coolness wirken soll – das Kettenrauchen, die
       lasziven Posen, seine kryptischen Sätze – verliert sich im Übermaß,
       erstickt an seiner eigenen Künstlichkeit.
       
       ## Der Mut, innere Konflikte zu benennen
       
       Dass „On Swift Horses“ eigentlich die Geschichte zweier queerer Menschen
       erzählen will, die sich in einem repressiven Klima ihre Freiheit ertrotzen,
       und dass in diesem Schicksal eine gewisse Seelenverwandtschaft steckt, wird
       sträflich spät klar – und auch dann nicht entschieden genug verfolgt. Der
       Schmerz des dauerhaften Versteckspiels und des Nicht-aussprechen-Dürfens
       bleibt zaghafte Behauptung, anstatt zur filmischen Erfahrung zu werden.
       
       Ein Gespür dafür, das Ungesagte hinter dem Dekor sichtbar zu machen, fehlt
       dem Film ebenso wie der Mut, innere Konflikte klar zu benennen oder zu
       bebildern. David Minahan übernimmt eindeutig Ryan Murphys Stilmittel, doch
       wo der das Visuelle als Empathiemaschine nutzt, bleibt „On Swift Horses“
       ein hübsch ausgeleuchtetes Vexierbild – formschön, aber letztlich leer und
       flüchtig.
       
       27 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /American-Horror-Stories-auf-Disney/!5795496
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Arabella Wintermayr
       
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