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       # taz.de -- Leichtathlet Knabe über das Altern: „Ich will mir selbst noch etwas beweisen“
       
       > Dreispringer Wolfgang Knabe macht noch mit 65 Jahren weiter. Ein Gespräch
       > mit dem Weltrekordler über Motivation, Seniorensport und Vergänglichkeit.
       
   IMG Bild: Wolfgang Knabe hält im Dreisprung im Dreisprung mit 12,82 Metern den Weltrekord in der Altersklasse M60
       
       taz: Herr Knabe, wann haben Sie Ihren letzten Dreisprung absolviert? 
       
       Wolfgang Knabe: Das ist schon etwas länger her, ich hatte
       Verletzungsprobleme. Das ist jetzt fast überwunden, bald geht es weiter mit
       dreimal Training in der Woche. Ich bereite mich dann auf die diesjährige
       Senioren-EM in Madeira vor.
       
       taz: Was treibt Sie im etwas gesetzten Alter an, noch Leistungssport zu
       treiben? 
       
       Knabe: Da gibt es mehrere Gründe. Zunächst, um den Kopf freizuhaben, als
       Ausgleich für meine berufliche Tätigkeit [Knabe betreibt in seiner
       Heimatstadt Damme ein Geschäft für Elektrogeräte mit angegliedertem
       Sportartikelladen]. Aber es kommt etwas anderes hinzu. Es sitzt mir bis
       heute ein Stachel im Fleisch, dass ich 1988 die Nominierung [1][für die
       Olympischen Spiele in Seoul] knapp verpasst habe. Das war mein großes Ziel.
       
       taz: Sie kompensieren also etwas? 
       
       Knabe: Das kann man sagen. Es spielen da durchaus Dinge wie das Bedürfnis
       nach Selbstbestätigung hinein, auch das nach Anerkennung. Ich habe bis
       heute ein ausgeprägtes Bedürfnis danach, Ziele zu verfolgen, den Drang,
       etwas zu bewegen – über das Berufliche hinaus.
       
       taz: Werden diese Bedürfnisse durch Ihre Erfolge in den unterschiedlichen
       Altersklassen befriedigt oder ist das nur ein Surrogat für die
       Enttäuschungen in der eigentlichen aktiven Zeit? 
       
       Knabe: Diese Enttäuschung, nicht in Seoul dabei gewesen zu sein, bleibt.
       Das ist eine Wunde, die nie ganz heilt. Aber dass ich diese großen Erfolge
       im Seniorenbereich erleben durfte, macht es doch leichter.
       
       taz: [2][Seniorensport findet in den Medien] praktisch nicht statt. Fühlen
       Sie sich ausreichend gewürdigt? 
       
       Knabe: Nur hier im lokalen Bereich, da ist das geradezu sensationell. Ich
       bin mittlerweile zum Ehrenbürger von Damme ernannt worden. Und das
       ausdrücklich für meine Erfolge im aktiven und Seniorenbereich. In der
       überregionalen Berichterstattung ist der Seniorensport ein Stiefkind des
       Leistungssports. Das finde ich schade.
       
       taz: Gibt es denn genügend Förderung? 
       
       Knabe: Nein, das basiert alles auf Eigeninitiative. Wenn ich im Sommer nach
       Madeira fliege, muss ich das privat finanzieren. Nun bin ich ganz gut
       abgesichert, aber das gilt nicht für alle Kollegen.
       
       taz: Was steckt gesellschaftlich dahinter, dass dieser Bereich des Sports
       so stiefmütterlich behandelt wird? 
       
       Knabe: Nun, heute muss alles hip und jung und dem Zeitgeist, den Moden
       angepasst sein. Es gibt ja den Begriff des Jugendwahns, zu dem sicher der
       Bereich der neuen und sozialen Medien gehört. Was wir dagegen machen, ist
       analog, damit sind wir authentisch, glaube ich. Uns hilft kein Influencer
       und keine KI. Wir sind sehr individualistisch, das steht manchem modischen
       Trend diametral entgegen.
       
       taz: Sehen Sie sich in der Rolle des Vorbildes? 
       
       Knabe: Ich habe gegen diese Rolle nichts einzuwenden. Den älteren Menschen
       wird ja in der Gesellschaft immer mehr abgefordert. Leistungsfähigkeit bis
       ins hohe Alter ist ja oft von existenzieller Bedeutung. Da in der Rolle des
       Vorbildes zu sein, ist mir durchaus recht.
       
       taz: Es gibt viele Untersuchungen, die die gesundheitsförderliche Bedeutung
       des Sports für ältere Semester belegen. Hat man Sie schon einmal als
       Botschafter für diesen Bereich verpflichten wollen? 
       
       Knabe: In gewisser Weise ja, ich bin eines der Gesichter der vom Deutschen
       Leichtathletikverband ins Leben [3][gerufenen Initiative #TrueAthletes –
       Echt. Stark. Fair.] Das hat mich sehr gefreut, dass ich da auf meine Weise
       wirken kann.
       
       taz: Nun ist natürlich Ihre Disziplin in der Praxis eine, die den gesamten
       Bewegungsapparat stark belastet. Worauf ist Ihre Robustheit über all die
       Jahre zurückzuführen? 
       
       Knabe: Ich hatte sicher auch Glück; noch neulich bei einer
       sportmedizinischen Untersuchung wurde festgestellt, dass etwa der Knorpel
       meiner Kniegelenke dicker ist als bei den meisten unsportlichen Menschen.
       Man muss natürlich auch alles in Maßen betreiben. Ich bin zwar immer noch
       ehrgeizig, aber ich bin kein Berserker.
       
       taz: In der Leichtathletik ist die Leistung objektiv messbar. Damit aber
       auch sehr plastisch der Leistungsverfall mit den Lebensjahren. Einst sind
       Sie über siebzehn Meter gesprungen, jetzt sind es gerade noch gut zwölf
       Meter. Macht einem das die Begrenztheit der menschlichen Leistungsfähigkeit
       und damit die Endlichkeit der menschlichen Existenz insgesamt bewusst? 
       
       Knabe: Das ist wohl so. Da kann man schnell ins Philosophieren geraten. Und
       ja: Man spürt seine Vergänglichkeit. Aber das Gegenteil davon wäre
       Verdrängung. Ich will mir selbst noch etwas beweisen, das verschafft mir
       eine tiefe Befriedigung. Und mein Sport ist auch eine Metapher für
       Lebensbejahung.
       
       taz: Man sieht auf Bildern, dass Sie sich eine sportliche äußere
       Erscheinung bewahrt haben. Gibt es auch ästhetische Aspekte, dass Sie den
       Sport noch aktiv betreiben? 
       
       Knabe: Durchaus. Es fühlt sich gut an, die Technik noch so zu beherrschen,
       dass einem gern dabei zugeschaut wird. Der Bewegungsablauf selbst, der
       Sprung an sich, fühlt sich noch gut an. Wenn das anders wäre, wäre der
       Zeitpunkt gekommen, damit aufzuhören. Aber noch ist es nicht so weit.
       
       taz: Was macht der Ehrenbürger von Damme, wenn er nicht im Geschäft ist
       oder auf dem Sportplatz? 
       
       Knabe: Dann widme ich mich meiner Familie. Ich bin mittlerweile dreifacher
       Großvater. Diese Rolle ist auch eine, die mich zutiefst befriedigt.
       
       27 May 2025
       
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