URI: 
       # taz.de -- Polizeiruf 110 aus Rostock: Wie wird ein Mensch zum Täter?
       
       > Kann man wirklich „Böse geboren“ werden? Die gleichnamige Folge des
       > „Polizeiruf 110“ stellt sich diese absurde Frage.
       
   IMG Bild: Melly (Lina Beckmann, l.) und Katrin (Anneke Kim Sarnau) finden zerschossene Schaufensterpuppen im Wald
       
       Die Frage, wie das Böse in den Menschen hineinkommt, das ist die Grundfrage
       jedes Krimis. Man könnte sogar behaupten, dass es die Frage ist, die den
       Krimi als Gattung überhaupt erst zur Welt gebracht hat.
       
       Damit hätte man sich literaturhistorisch wahrscheinlich so weit aus dem
       Fenster gelehnt, dass sie unten auf dem Gehsteig schon mal die Kreide
       auspacken würden. Deswegen lassen wir es mal als steile These markiert.
       Sicher ist aber: Ein Krimi wird immer auch daran gemessen, welche
       Erkenntnis er zu der einen Frage bereithält: Wie wird ein Mensch zum Täter?
       
       Für den [1][„Polizeiruf“] diese Woche haben sich die Autorinnen Catharina
       Junk und Elke Schuch die Frage einfach mal explizit gestellt. „Böse
       geboren“ ist der Titel des Films. Der stellt folgende Formel auf: Milan
       ([2][Eloi Christ]) ist das Kind eines Serienmörders und einer Frau, die
       dieser vergewaltigt hat. Die Mutter ([3][Jördis Triebel]) hat ihren Sohn zu
       seinem Schutz isoliert am Waldrand aufgezogen.
       
       Nun zeigt der junge Mann eine ganze Reihe eigenartiger Verhaltensweisen: Er
       ist wortkarg, streift dauernd durch den Wald. Als eine Frau genau da
       erschossen wird, ist es an der Zeit, die Frage zu klären, die auf der Hand
       liegt: Hat man es bei Milan mit einer erblich bedingten Täterschaft zu tun?
       Davon scheint zumindest Mutti überzeugt zu sein.
       
       Unterdessen in Rostock kommt Kommissarin König (Anneke Kim Sarnau) nicht
       umhin sich zu fragen, warum Kollegin Böwe (Lina Beckmann) so ein Geheimnis
       um ihre eigene Familie macht. Böwes Tochter ist aufgetaucht und befürchtet
       ebenfalls eine genetische Gewaltneigung bei ihrer Rostocker Sippe. Damit
       baut sich die Kontrollgruppe zur Versuchsanordnung A auf.
       
       ## Eine Vergewaltigung wird nie gezeigt
       
       Herauszustellen ist das Folgende: Obwohl in dieser Geschichte
       Vergewaltigung in mehreren Fällen eine zentrale Rolle spielt, wird nie eine
       gezeigt. Gewalt an Frauen bleibt in symbolischen Andeutungen ständig
       präsent, die betroffenen Figuren hingegen sind weniger über ihre Rolle als
       Opfer definiert als über die Frage, wie sie mit dem Erlebten umgehen.
       
       Das ist wichtig, weil es im deutschen Krimi ein [4][Problem überflüssig
       ausgewalzter Gewaltszenen an Frauen] gibt. Die Entscheidung, so zu drehen,
       wird gerne damit begründet, man könne den Schrecken der Taten anders nicht
       zeigen. Ja, man kann. Und hier ist es gelungen (Regie: Alexander Dierbach,
       Bild: Ian Blumers).
       
       Was von den Stärken des Films ablenkt, ist, dass es ein Problem mit der
       Versuchsanordnung gibt. Denn wenn ich eingangs behaupte, die Frage, ob
       Milan ein genetischer Mörder sein könnte, liege „auf der Hand“, dann haben
       Sie das gewiss sofort als Blödsinn erkannt. Wer fragt sich so etwas allen
       Ernstes? Dass mehrere Figuren im Film das tun, wirkt herbeigeschrieben.
       Dass König und Böwe dem dann noch staatstragend widersprechen, unnötig
       pädagogisch.
       
       Im Krimi geht es darum, dass selbstverständlich niemand – beziehungsweise
       jeder Mensch – das Mörder-Gen hat. Wir Krimifreund*innen, das behaupte
       ich mal (packen Sie gerne die Kreide aus), kommen doch nicht für die
       Aussicht einer ergebnisoffenen Natur-versus-Gesellschaft-Debatte! Wir
       wissen längst, dass es die Gesellschaft gewesen ist, die den Täter gemacht
       hat. Wir wollen rauskriegen, wie. Zu dieser Frage hält der Film keine
       Erkenntnis bereit. Und hat damit knapp das Thema verfehlt.
       
       Rostock-„Polizeiruf“: „Böse geboren“, So., 20.15 Uhr, ARD
       
       25 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Polizeiruf-110/!t5018666
   DIR [2] /Polizeiruf-110/!5863207
   DIR [3] /ARD-Serie-Marzahn-mon-amour-Auf-Augenhoehe-mit-dem-Hornhauthobel/!6072742
   DIR [4] https://uebermedien.de/80524/der-kultige-nette-sexy-frauenmoerder-von-nebenan/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Weissenburger
       
       ## TAGS
       
   DIR Wochenendkrimi
   DIR Regionalkrimis
   DIR Polizeiruf 110
   DIR Morde
   DIR Wochenendkrimi
   DIR Wochenendkrimi
   DIR Wochenendkrimi
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neuer „Polizeiruf 110“ aus München: Queerness nicht nur als Kulisse
       
       Fünf Schüsse, Dragqueens und allerhand los in München: Ums Lebenlaufen
       inbegriffen. Und warum sollen die reden, die immer nur Hass abbekommen?
       
   DIR Polizeiruf 110 „Widerfahrnis“: Brasch will es nicht loslassen und was ist „es“ eigentlich?
       
       Obwohl die Frau im Graben nicht tot ist, fängt Kommissarin Brasch an zu
       ermitteln. Ein schauspielerisch reibungsloser Polizeiruf, der die
       Gehirnwindungen verknotet.
       
   DIR Neuer Dortmund-„Tatort“: Die Macht der manipulativen Kamera
       
       Vom Plot her kein ungewöhnlicher Tatort: Herausragend aber, wie die Kamera
       dafür sorgt, dass das Misstrauen im Dortmunder Dezernat auch uns erfasst.