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       # taz.de -- Initiative für Sternenpark: Ganz schön dunkel hier
       
       > In der Altmark und im Wendland soll ein Sternenpark entstehen und
       > Tourismus fördern. Wofür braucht es überhaupt Dunkelheit?
       
   IMG Bild: Die Dunkelheit in der Altmark ist im globalen Vergleich außergewöhnlich. Das ist gut für Tiere – und für Sternengucker*innen
       
       Dahrendorf taz | Um 22.56 Uhr steigt Helmut Schnieder am ehemaligen
       DDR-Grenzturm in Dahrendorf aus seinem Auto und hält ein kleines schwarzes
       Messgerät in Richtung Himmel. Er drückt auf den Startknopf, es piept einige
       Male, dann erscheint eine Zahl auf dem Display. 21,2 Magnituden zeigt das
       sogenannte Sky Quality Meter (SQM) an, ein Gerät, das die Helligkeit des
       Himmels misst. Wegen dichter Wolken sind in dieser Frühlingsnacht nur
       wenige Sterne zu sehen. Schnieder zeigt auf den Polarstern, auf Arktur,
       Wega. Bei klarem Himmel, erklärt der Astrofotograf, könnte man von hier aus
       die Milchstraße erkennen.
       
       Dahrendorf liegt in der Altmark, eine knapp 5.000 Quadratmeter große Fläche
       im Norden Sachsen-Anhalts. Durchzogen von klaren Seen, weiten Wäldern und
       Rapsfeldern gilt sie als Paradies für Naturfreund*innen und
       Radfahrer*innen und als eine der dunkelsten Regionen Deutschlands. Das
       liegt auch an ihrer geringen Bevölkerungsdichte: Auf einer Fläche von einem
       Quadratkilometer leben in der nordwestlichen Altmark gerade mal 19
       Menschen. In Berlin sind es [1][mehr als 4.000].
       
       Gemeinsam mit dem angrenzenden Wendland in Niedersachsen soll die Altmark
       zu einem international anerkannten Sternenpark werden. Dafür setzen sich
       die „Altmarkmacher“ ein, ein Förderverein des lokalen Tourismusverbands.
       Rund 30 Personen engagieren sich in der Initiative, auch Schnieder
       unterstützt tatkräftig. 2001 eröffnete der erste Sternenpark in Flagstaff,
       Arizona. Inzwischen gibt es weltweit rund 200. Im Februar 2014 ernannte die
       Organisation DarkSky, damals noch International Dark-Sky Association (IDA),
       den [2][Naturpark Westhavelland zum ersten Sternenpark Deutschlands].
       
       Um als solcher zu gelten, müssen Kommunen nachweisen, dass sie
       [3][Lichtverschmutzung systematisch und dauerhaft reduzieren], etwa durch
       die Umrüstung der Straßenbeleuchtung nach den Standards einer
       Beleuchtungsrichtlinie. Demnach sollen Leuchten vollständig nach unten
       abgeschirmt sein, um kein Licht in den Himmel abzugeben. Die Lichtfarbe
       darf maximal 3.000 Kelvin betragen, um den Blauanteil gering zu halten.
       Außerdem muss das Licht nachts gedimmt oder ganz abgeschaltet werden.
       
       Den Altmarkmachern geht es bei dem Projekt nicht nur um einen klaren Blick
       in die Sterne, es geht ihnen um die Dunkelheit selbst. Denn in Zeiten
       zunehmender Umweltbelastung und schwindender Biodiversität gilt sie als
       ökologisch wertvolle und zu schützende Ressource. Ohne künstliches Licht
       können sich nachtaktive Tiere ungestört fortbewegen, fortpflanzen und
       orientieren. Auch Pflanzen, deren Wachstumszyklen sich an Tag- und
       Nachtzyklen orientieren, reagieren empfindlich auf dauerhafte Bestrahlung.
       
       In der Altmark und im Wendland wird ein großer Teil der Straßenlaternen
       schon seit Jahren nachts abgeschaltet, als Sparmaßnahme. Fährt man nach 23
       Uhr durch die Dörfer, ist jede noch so kleine künstliche Lichtquelle so
       auffällig wie ein Flutlichtmast auf einem dunklen Fußballplatz.
       
       Welche Lichtfarbe wir als angenehm empfinden, hängt von ihrer
       Farbtemperatur ab, gemessen in Kelvin. Je niedriger der Wert, desto wärmer
       erscheint das Licht für Menschen. Je höher die Farbtemperatur, desto größer
       der Blauanteil. Blaues Licht greift intensiver in biologische Prozesse ein,
       beim Menschen ebenso wie bei Tieren.
       
       Viele Insekten und Vögel werden [4][durch blaues Licht irritiert oder
       angezogen], oft mit tödlichen Folgen. Besonders lichtempfindlich sind
       [5][Nachtfalter], die [6][95 Prozent aller in Deutschland vorkommenden
       Schmetterlingsarten] ausmachen. Auch Glühwürmchen sind während ihrer
       Paarungszeit auf Dunkelheit angewiesen. Ihr Bestand ist in den vergangenen
       Jahren bereits stark zurückgegangen. Bei Menschen hemmt blaues Licht die
       Produktion des [7][Schlafhormons Melatonin], was den natürlichen
       Tag-Nacht-Rhythmus stören kann.
       
       In klaren Nächten reicht für Schnieder ein Schritt vor seine Haustür, um zu
       zeigen, wie besonders der Himmel über seiner Heimat ist. Sein Messgerät
       zeigt dort 21,72 Magnituden, genauer: Magnituden pro Quadratbogensekunde
       (mag/arcsec²) – ein Wert, der selbst international als außergewöhnlich
       gilt. Zum Vergleich: In Berlin-Mitte liegt er bei 18,1, in Rotterdam und
       Teilen Norditaliens bei unter 18. Je höher der Wert, desto dunkler der
       Himmel. Ein Unterschied von einer Magnitude bedeutet eine
       Helligkeitsveränderung um den Faktor 2,512. Der Himmel über dem Wendland
       ist also rund 40-mal dunkler als der über Berlin.
       
       In Deutschland gibt es nur noch wenige andere Orte, an denen es so dunkel
       ist wie im Wendland. Dazu zählen etwa die [8][Nordseeinseln Spiekeroog und
       Pellworm]. Doch auch in abgelegenen Regionen breitet sich künstliches Licht
       zunehmend aus. Gründe dafür sind immer mehr Siedlungen, Industriebauten und
       Verkehr. Setzt sich niemand für den Erhalt von Dunkelheit ein, drohen
       weitreichende Folgen. Die Lebensräume von Tieren schrumpfen, Bestäuber
       verschwinden, Ökosysteme geraten aus dem Gleichgewicht.
       
       „Uns geht es darum, aus dem Nichts etwas Positives zu machen, die
       Wertigkeiten umzudrehen“, sagt Amanda Hasenfusz, ehrenamtliche Vorsitzende
       und Pressesprecherin der Altmarkmacher. Sie betreibt eine Herberge in
       Dahrendorf, nur 500 Meter von der ehemaligen innerdeutschen Grenze
       entfernt. Helmut Schnieder lebt in Schnega, was auf der westlichen Seite im
       niedersächsischen Wendland liegt. Im Sternenpark wollen die beiden
       ehemalige West- und Ostgebiete vereinen, trotz aller strukturellen
       Unterschiede.
       
       Wie realistisch die Kooperation zwischen Wendland und Altmark ist, ist
       aktuell noch nicht absehbar. Andreas Hänel, deutscher Vertreter von
       DarkSky, erklärt, dass es verschiedene Zertifizierungsstufen gibt. Die
       höchste Stufe, ein sogenanntes Dark Sky Reserve, sei in der Region
       Altmark-Wendland prinzipiell möglich, aber anspruchsvoll. Die
       Zertifizierung als Reserve hätte den Vorteil, international Aufmerksamkeit
       zu erzeugen und touristische Entwicklung zu fördern. Allerdings müssten
       dafür mindestens 700 Quadratkilometer Fläche zusammenkommen und dort rund
       80 Prozent der Bevölkerung der strengen Beleuchtungsrichtlinie zustimmen.
       Naheliegender sei zunächst ein Sternenpark im Wendland, da dort mit dem
       Naturpark Wendland-Elbe schon geeignete Strukturen bestehen.
       
       Schon vor der angestrebten Zertifizierung wollen die Altmarkmacher in der
       gesamten Region sogenannte Sternenbeobachtungspunkte einrichten – besonders
       dunkle Orte, an denen Besucher*innen den Nachthimmel beobachten und
       mehr über astronomische und ökologische Zusammenhänge erfahren können. Auch
       der ehemalige Grenzturm in Dahrendorf ist als solcher Ort vorgesehen.
       Nächtliche Sternenführungen sollen den Tourismus zusätzlich ankurbeln und
       die Region wirtschaftlich stärken.
       
       [9][Tourismus und Naturschutz] stehen sich nicht selten widersprüchlich
       gegenüber. Bekommt eine Region mehr Aufmerksamkeit, kommen mehr Menschen,
       Verkehr, Infrastruktur, Lärm und auch Licht. Manche Bewohner*innen
       befürchten, dass ihre Region von Tourist*innen überrannt werden könnte.
       Wie passt das zu einem Projekt, das sich das Ziel setzt, Ruhe und
       Dunkelheit zu bewahren? Amanda Hasenfusz sieht die Lösung in einem klar
       definierten Leitbild: bildungsorientierter und nachhaltiger Tourismus, mit
       dezentralen Angeboten statt Großveranstaltungen.
       
       Helmut Schnieder geht es bei dem Sternenpark vor allem um den ökologischen
       Effekt von Dunkelheit, um den [10][Schutz seltener Tier- und
       Pflanzenarten], um eine gesündere Umwelt und einen bewussteren Umgang mit
       Ressourcen. Auch Kommunen mit chronisch klammen Kassen können von den
       Umrüstungen profitieren. Denn moderne, umweltfreundliche Straßenlaternen
       reduzieren nicht nur Lichtverschmutzung, sondern sparen langfristig auch
       Kosten und bringen damit Vorteile für jeden Einzelnen in der Region. „Aber
       wenn eine Nachbargemeinde ihre Beleuchtung hochdreht“, erklärt Schnieder,
       „dann leidet die ganze Region.“
       
       Dass Lichtverschmutzung nicht an Gemeindegrenzen endet, hat man im
       Sternenpark Rhön längst erkannt. Die angrenzende Stadt Fulda verabschiedete
       2019 deshalb eine eigene Lichtrichtlinie und rüstete ihre
       Altstadtbeleuchtung um. Wegen ihrer Bemühungen darf sie sich heute
       Sternenstadt nennen. Erste Ergebnisse aus dem städtischen Monitoring und
       dem bundesweiten Forschungsprojekt „Artenschutz durch umweltgerechte
       Beleuchtung“ deuten die Auswirkungen der Umrüstung an: An einigen
       Standorten kann eine [11][Reduktion des Insektensterbens um bis zu 50
       Prozent] festgestellt werden.
       
       Was ist aber mit den Menschen, die nachts mit dem Fahrrad oder Auto
       unterwegs sind oder sich in dunklen Straßen unwohl fühlen? Vonseiten der
       Stadt Fulda heißt es auf Anfrage, es gebe heutzutage gute technische
       Lösungen, mit denen sich das Licht auf ein Minimum reduzieren lässt, ohne
       die Verkehrssicherheit oder das Sicherheitsempfinden der Menschen
       wesentlich zu beeinträchtigen.
       
       Fuldas Nachtschutzbeauftragte Sabine Frank warnt zudem vor einer
       Stigmatisierung der Dunkelheit: „Das Problem ist nicht die Dunkelheit,
       sondern dass sich Menschen, insbesondere Frauen, an unbelebten Orten
       unsicher fühlen, wenn sie alleine sind. Die Antwort darauf kann nicht sein,
       noch eine Lampe aufzustellen.“ Stattdessen plädiert sie für mehr
       Präventions- und Aufklärungsangebote sowie für den Ausbau von Schutzräumen
       für Frauen – egal, wie spät oder dunkel es ist. Auch eine Studie aus
       England und Wales konnte [12][keinen direkten Zusammenhang zwischen
       reduzierter Straßenbeleuchtung und einem Anstieg von Kriminalität]
       feststellen.
       
       Der Sicherheitsaspekt ist in der Altmark und im Wendland selten ein Thema,
       denn die Nacht gehört hier den Tieren. Viele Wölfe, Rehe und Wildschweine
       sind in der Region unterwegs, ebenso bedrohte oder sensible Arten wie
       Fischotter und Biber. Auch Amphibienarten, etwa Kröten und Frösche, sind in
       der Dämmerung aktiv.
       
       Und Helmut Schnieder. Stundenlang beobachtet und fotografiert der
       75-Jährige nachts den Sternenhimmel. Einmal habe er neun Nächte
       hintereinander kein Auge zugetan, zu fasziniert sei er von dem, was sich
       über ihm abspielt. In einer Welt voller Dauerbestrahlung ist das vielleicht
       die schönste Form der Schlaflosigkeit.
       
       29 May 2025
       
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