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       # taz.de -- Ungarn als Vorbild der US-Regierung: Trumps Lieblingseuropäer
       
       > Viktor Orbán hat in Ungarn gezeigt, wie man eine Demokratie Schritt für
       > Schritt zerlegt. Donald Trump hat genau hingesehen.
       
   IMG Bild: Einiges von Orbán abgeschaut: im Oval Office 2019
       
       Donald Trump macht keinen Hehl daraus, dass Ungarns autoritärer Machthaber
       Viktor Orbán sein liebster Kollege im Ausland ist. Trumps Bewunderung für
       den „fantastischen“ ungarischen Premierminister rührt von Orbáns
       unverblümtem Stil und seinen erzkonservativen Erfolgen her. Trump
       bewundert, wie Orbán und seine Fidesz-Partei die Einwanderung nach Ungarn
       eindämmen, der EU und der Nato trotzen, erneuerbare Energien ablehnen und
       traditionelle Werte in der ungarischen Gesetzgebung und Kultur
       festschreiben.
       
       Um den Weg zu verstehen, den Trump einschlagen könnte, sollten wir uns
       ansehen, wie Orbán eine unvollkommene Demokratie in eine „embedded
       autocracy“ verwandelt hat. Also in ein Regime mit demokratischer Fassade,
       das seine Macht durch Wahlmanipulation und institutionelle Kontrolle
       sichert. Fidesz verkündet zwar demokratische Merkmale wie Wahlen und
       Meinungsfreiheit – doch das Ergebnis ist programmiert.
       
       Während der ersten Amtszeit der Fidesz-Partei in den Jahren 1998 bis 2002
       wurde Orbán noch durch die Gesetze der jungen postkommunistischen
       Demokratie, die Kontrollmechanismen des Systems und eine entschlossene
       Opposition gebremst. Bei seiner zweiten Regierungsübernahme begann er
       sofort, all das Stück für Stück abzubauen. Im Mittelpunkt stand für Orbán
       die Lehre, dass Personalien uneingeschränkte Ergebenheit zeigen müssen,
       dass Feinde von Anfang an beseitigt und loyale Geldgeber „entschädigt“
       werden müssen. Bei seinem zweiten Anlauf umgab sich Orbán mit einem immer
       größer werdenden Kreis von Gefolgsleuten, die er teils zu
       milliardenschweren Oligarchen machte.
       
       Trumps kriecherische Kabinettsmitglieder und Oligarchenfreunde sind aus
       demselben Holz geschnitzt, und seine Entlassung von einem Dutzend
       Generalinspektoren sowie die Aushöhlung von Aufsichtsbehörden öffnet das
       Land für Korruption und die Schaffung eines klientelistischen Netzwerks –
       ein Sinnbild für Orbáns Regime, das sich vom kleinsten Dorfbürgermeister
       bis zum obersten Parteisoldaten der Fidesz spannt.
       
       Keiner von Orbáns Plänen ist jedoch von größerer Bedeutung als die
       Vereinnahmung der öffentlich-rechtlichen Medien und die Dezimierung der
       unabhängigen Informationsquellen. Als die Fidesz an die Macht kam, hatte
       sie bereits eine überwältigend konservative Medienlandschaft auf ihrer
       Seite. Doch Entlassungen und Richtlinien machten den öffentlichen Rundfunk
       erst zum Sprachrohr des Regimes.
       
       Überarbeitete Mediengesetze und staatlich geförderte Werbung förderten neue
       Medienmagnaten wie Orbáns langjährigen Freund und ehemaligen
       Studienkollegen Lajos Simicska, den Orbán zu einem der reichsten Männer
       Ungarns machte – Trumps Klüngel mit Elon Musk lässt grüßen. Und obwohl die
       Unterstützung der US-Regierung für die öffentlich-rechtlichen Medien viel
       geringer ist als in Europa, drohen dem National Public Radio, dem Public
       Broadcasting Service und der Voice of America jetzt die Streichung von
       Geldern und eine umfassende Reform.
       
       ## Die USA sind (noch) nicht Ungarn
       
       Aber zumindest unter den gegenwärtigen Umständen wird Donald Trump nicht in
       der Lage sein, die Autokratie in den USA auf dieselbe Weise zu verankern.
       Denn Orbáns Machtübernahme ist Ungarns eigenartigen Wahlgesetzen zu
       verdanken: 2010 konnte die Fidesz in einer zweiten Runde zusammen mit einer
       kleinen Satellitenpartei eine Zwei-Drittel-Supermehrheit im Parlament
       erlangen. Damit konnte sie Verfassungsänderungen absegnen, die der
       Exekutive weitreichende Befugnisse einräumten, die Wahlbedingungen
       veränderten und die Unabhängigkeit der Justiz aushöhlten. In nur einem Jahr
       hatte Fidesz die Verfassung umgeschrieben und das Verfassungsgericht
       entzahnt.
       
       Im Anschluss daran hat Orbán das Wahlsystem umgestaltet. Hinter
       verschlossenen Türen führte der Staat ein landesweites Gerrymandering
       durch. So wurde beispielsweise das Wahlrecht für die zwei Millionen
       Menschen der ungarischen Minderheit in den [1][Nachbarländern] – treue
       Fidesz-Wähler – gestärkt, indem sie per Briefwahl wählen oder einen
       Bevollmächtigten ins Wahllokal schicken können. Gleichzeitig müssen die
       mehrheitlich liberalen etwa 600.000 Ungarn, die außerhalb Mitteleuropas
       leben, ihre Stimmzettel persönlich in einem ungarischen Konsulat abgeben.
       
       Um sicherzugehen, dass die Oppositionsparteien nie wieder aufstehen,
       verhängte ein staatliches Amt 2022 Geldstrafen gegen sechs
       Oppositionsparteien, denen es Intransparenz vorwarf. In diesem Sinne ging
       Orbán auch [2][gegen die ungarische Zivilgesellschaft vor], einschließlich
       Nichtregierungsorganisationen, Denkfabriken und die renommierte Central
       European University. Der [3][mit eiserner Faust agierende Premierminister]
       tat dies, indem er behauptete, dass diese „nicht gewählten“ Zivilisten von
       westlichen Geldgebern gesponsert würden und den Staat in gefährlicher Weise
       unterminieren: das heißt, die Fidesz-Regierung, die einzige, von der ihre
       Protagonisten behaupten, sie vertrete das ungarische Volk.
       
       Trumps Blitzstart mag dem von Orbán im Jahr 2010 ähneln, aber der
       US-Amerikaner hat noch einen weiten Weg vor sich, um ihn zu vollenden. Das
       Urteil des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2024, mit dem die absolute
       Immunität des Präsidenten vor Strafverfolgung anerkannt wird, gibt ihm mehr
       Freiheiten als während seiner ersten Amtszeit. Doch die Logik von Trumps
       umfassendem Angriff auf das System der gegenseitigen Kontrolle ähnelt auf
       verblüffende Weise derjenigen Orbáns.
       
       Bei Orbáns triumphaler Rückkehr im Jahr 2010 dachte niemand, dass er die
       Demokratie tatsächlich abschaffen würde. Doch er tat genau das, indem er
       die Fidesz in jeden Winkel des Staates und der Volkskultur einbettete. Aber
       er tat es Schritt für Schritt, während eine zersplitterte, gelähmte
       demokratische Opposition ungläubig zusah.
       
       3 Jun 2025
       
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