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       # taz.de -- Antisemitismus-NGO Rias über Vorwürfe: „Unsere Ergebnisse sollen abgewertet werden“
       
       > Ein Bericht der Diaspora Alliance kritisiert die Arbeit der
       > Antisemitismusmeldestelle Rias. Ein Sprecher weist die Vorwürfe als
       > „bizarr“ zurück.
       
   IMG Bild: Was zählt zum Antisemitismus? Aufkleber in Eisenach
       
       taz: Herr Poensgen, [1][ein Bericht der Diaspora Alliance], verfasst von
       dem israelischen Journalisten Itay Mashiach, kritisiert, Rias blase die
       Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland künstlich auf,
       überdramatisiere viele Fälle. Ist da nicht was dran, wenn etwa eine Rede im
       Magdeburger Landtag aus dem Jahr 2020 mitgezählt wird, in der Moshe
       Zimmermann anmahnt, „Nie wieder“ gelte auch für Israelis? 
       
       Daniel Poensgen: Erst mal ist festzuhalten, dass der Bericht ganz
       wesentlich auf fundamentalen Auslassungen basiert. Er berücksichtigt
       zahlreiche Rias-Publikationen nicht – nämlich immer dann, wenn sie die
       Argumentation des Autors explizit widerlegen. An vielen Stellen gibt er die
       Arbeit von Rias faktisch falsch wieder. Die Rede im Magdeburger Landtag ist
       ein gutes Beispiel: Auch da werden unsere Einschätzungen verzerrt
       wiedergegeben und dann wird falsch generalisiert.
       
       taz: Inwiefern? 
       
       Poensgen: Bei einer Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus
       wurde damals eben gesagt, dass die Mahnung „Nie wieder“ auch für Israelis
       gelte, und zwar nicht nur aus der Opferperspektive. Hier werden in einem
       deutschen Parlament ausschließlich Israelis als Gruppe erwähnt, die
       aufpassen müssen, die deutschen Verbrechen nicht zu wiederholen. Dabei
       haben wir den Kontext der Aussage ganz besonders gewichtet und diese
       Situation als Vorfall in die Statistik aufgenommen.
       
       taz: Ist die Tatsache, dass Moshe Zimmermann selbst jüdischer Israeli ist,
       nicht auch wichtig für den Kontext? 
       
       Poensgen: Das berücksichtigen wir auch. Aber grundsätzlich spielt die
       Intention bei antisemitischen Aussagen für unsere Einschätzung keine große
       Rolle. Unmittelbar vor der Passage positionierte sich der Redner zudem als
       Historiker und allgemein als Beobachter. Wir haben es uns in diesem Fall
       nicht leicht gemacht, aber der Kontext der Gedenkfeier in einem deutschen
       Parlament wog aus unserer Sicht schwerer. Man mag in diesem Fall auch zu
       einer anderen Einschätzung kommen, daraus aber ein generelles Problem der
       Rias-Daten zu machen, das gibt auch der Bericht nicht her.
       
       taz: Der Bericht kritisiert auch, für Rias sei es schon antisemitisch, wenn
       auf einer Theaterbühne eine Figur antisemitisches äußert.
       
       Poensgen: Auch das ist faktisch falsch. Der Bericht zitiert aus sehr
       umfassenden Einschätzungen, die die Meldestelle aus Bayern hinsichtlich des
       Theaterstücks Vögel vorgenommen hat. Natürlich wird zwischen den Aussagen
       fiktiver Personen innerhalb eines Stückes und der gesamten
       Figurenkonstellation und Dramaturgie unterschieden. Das Stück, um das es
       hier geht, ist voller antisemitischer Tropen, die sich eben nicht nur aus
       einzelnen Aussagen ergeben. Das sehen auch Theaterwissenschaftler so, auch
       [2][die taz kam damals zu einer ganz ähnlichen Einschätzung], als sie
       nämlich geschrieben hat, das Stück würde sich „simpelster antijüdischen und
       antiisraelischen Stereotype“ bedienen.
       
       taz: Ein anderer Vorwurf der Diaspora Alliance lautet, Rias mache nicht
       transparent, um welche Fälle es überhaupt geht. Warum machen Sie die
       Datenbank nicht öffentlich? 
       
       Poensgen: Das Vertrauen und der Schutz von Betroffenen steht im Zentrum
       unserer Arbeit. Und häufig lassen sich die Vorfälle auch nicht
       anonymisieren. Das ist eigentlich völliger Standard bei Organisationen, die
       eine ähnliche Arbeit in anderen Staaten machen, ebenso in
       wissenschaftlichen, qualitativen Studien. Wir verifizieren jeden Vorfall
       ganz ausführlich, bevor wir sie in unserer Datenbank aufnehmen.
       
       taz: Der Bericht wirft Rias vor allem vor, Antisemitismus von rechts nicht
       angemessen zu berücksichtigen. Nazis seien „am Rand des Monitorings“, heißt
       es. Ist Rias auf einem Auge blind? 
       
       Poensgen: Dieser Vorwurf ist besonders bizarr. Der Bericht kann ihn
       eigentlich nur erheben, weil er [3][zahlreiche Publikationen von Rias] dazu
       schlichtweg ignoriert. Kritisiert wird ein Bericht von Rias Thüringen. Es
       war der erste Jahresbericht dieser Meldestelle, der zu keiner Kategorie
       eine genauere Analyse vornimmt, weil gleichzeitig mit diesem Bericht eine
       zweite Studie von Rias Thüringen veröffentlicht wurde, in der
       Rechtsextremismus in unterschiedlichen Bereichen in eigenen Kapiteln
       ausführlich behandelt wird. Im vergangenen Jahr erschien etwa eine
       bundesweite Studie nur zum Antisemitismus der extremen Rechten.
       
       taz: In Thüringen verzeichnete die Polizei 2021 64 antisemitische
       Straftaten, 98 Prozent wurden dem Rechtsextremismus zugeordnet. In der
       Rias-Zusammenfassung waren nur 37 Prozent der mutmaßlichen Täter
       rechtsextrem, merkt der Bericht der Diaspora Alliance kritisch an. Wie
       erklären Sie diesen Unterschied? 
       
       Poensgen: Diese Kritik greift [4][auch die taz in ihrem Artikel zum
       Bericht] auf. Dabei wird eine seit Jahren laufende Debatte um die
       polizeilichen Kriminalstatistiken ignoriert, die einen rechtsextremen
       Tathintergrund als eine Art Restekategorie verwendet haben. Wenn Straftaten
       keinem politischen Hintergrund zugeordnet werden konnten, wurden sie
       jahrelang dem rechtsextremen Spektrum zugeschrieben. Das hat Rias auch
       ausführlich kritisiert. Deswegen hat die Polizei diese Praxis mittlerweile
       auch verändert. Im Gegensatz zu dieser Praxis ist die Vorgehensweise von
       Rias genau und präzise.
       
       taz: Auch das rechtspopulistische Portal Nius wirft Rias vor, ein
       „verzerrtes Bild von Judenhass“ zu zeichnen, jedoch weil Rias den Eindruck
       vermittele, der Antisemitismus komme vor allem von rechts, statt von Linken
       und Islamisten. 
       
       Poensgen: Das ist ein guter Beleg dafür, dass in der Debatte um
       Antisemitismus in Deutschland er immer nur dann kritisiert wird, wenn er
       nicht aus den eigenen Reihen kommt. Aber Antisemitismus ist ein
       gesamtgesellschaftliches Phänomen. Für uns ist es wichtig, ihn in all
       seinen Formen umfassend darzustellen und dabei die Perspektive von
       denjenigen zu stärken, die von Antisemitismus unmittelbar betroffen sind –
       eben Jüdinnen und Juden. Und das passt nicht allen.
       
       taz: Der Bericht der Diaspora Alliance bezieht sich auf die Zeit von 2015
       bis September 2023. Er wurde nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7.
       Oktober zurückgehalten, heißt es. Jetzt erscheint er mehr als anderthalb
       Jahre später – kurz vor der Veröffentlichung des neuen Rias-Jahresberichts. 
       
       Poensgen: Es geht nach meiner Einschätzung gar nicht darum, fundierte
       Kritik an unserem Bericht oder eine konstruktive Kritik an unserer Arbeit
       zu leisten. Es soll einfach der Eindruck hängenbleiben, die Arbeitsweise
       von Rias sei umstritten, und so sollen unsere Ergebnisse insgesamt
       abgewertet werden.
       
       3 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://diasporaalliance.co/wp-content/uploads/2025/05/RIAS_German-final.pdf
   DIR [2] /Antisemitismus-im-Theater/!5898617
   DIR [3] https://report-antisemitism.de/rias-thueringen/#publications
   DIR [4] /Streit-um-Antisemitismus-Definition/!6086987
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nicholas Potter
       
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