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       # taz.de -- Ausstellung „Fremde Freunde“: Verordnete Freundschaft
       
       > Völkerfreundschaft wurde in der DDR hochgehalten. Was daran Ideal und was
       > Wirklichkeit war, zeigt eine Ausstellung in Eisenhüttenstadt.
       
   IMG Bild: Aufzug bei den Weltfestspielen 1973 in Ost-Berlin
       
       Eisenhüttenstadt taz | „Am Anfang lautete die Parole auf den
       Demonstrationen: Wir sind das Volk“, sagt Peggy Piesche. Doch es dauerte
       nicht lange, bis daraus die Parole wurde: Wir sind ein Volk. „In nur zwei
       Wochen hat sich das verändert“, erinnert sich Piesche. „In dem Moment
       wusste ich, dass da kein Platz mehr für mich sein würde.“
       
       Peggy Piesche, geboren 1968 in Thüringen, hat die Wende als schwarze
       Ostdeutsche in Erfurt erlebt. Das Interview mit ihr ist in der Ausstellung
       „Fremde Freunde. Völkerfreundschaft zwischen Ideal und Wirklichkeit“ im
       [1][Museum Utopie und Alltag in Eisenhüttenstadt] zu sehen.
       
       Neben Piesche kommen in dem Zyklus fünf weitere Personen zu Wort. Die
       Videos sind Arbeiten des Kollektivs „Stop the silence“, das nach den
       NSU-Morden angefangen hat, Stimmen gegen das Vergessen zu sammeln. Dass sie
       nun in Eisenhüttenstadt zu sehen sind, zeigt, dass die Ausstellung für das
       Museum nicht nur eine Gelegenheit ist, Exponate aus dem eigenen Depot zum
       Thema „Völkerfreundschaft“ zu präsentieren. Die von Andrea Wieloch und
       Miriam Friz Trzeciak kuratierte Schau setzt auch einen unverkennbar
       politischen Akzent.
       
       Es sind vor allem die Widersprüche, die Wieloch und Friz Trzeciak
       interessierten. So finden sich an einer Wand Cover von Büchern, die im
       [2][DDR-Verlag „Volk und Welt“] erschienen sind. Alex Haleys „Roots“ ist
       dabei, ein Band mit Gedichten aus Afrika oder Kurzgeschichten von Nadine
       Gordimer. Nahezu hundert Titel aus aller Welt hat der Verlag, der im
       Volksmund auch „Volk ohne Welt“ genannt wurde, Jahr für Jahr übersetzen
       lassen.
       
       Diesem weit geöffneten Fenster zur Welt entgegen standen all die
       Reproduktionen stereotyper Bilder, wie sie sich etwa in den vom Verlag
       „Mosaik“ herausgegebenen [3][Comicbänden der „Digedags“] zeigten. Bei ihren
       Abenteuern in fernen Ländern, heißt es auf einer Tafel, würden „deren
       Bewohner:innen innerhalb kolonialer Bildwelten als passiv und primitiv
       dargestellt, während die Digedags als zivilisiert und wirkmächtig
       auftreten“.
       
       ## Solidarität als Gebot
       
       Das Ideal der Völkerfreundschaft hat im jungen, sich selbst als
       antifaschistisch verstehenden Staat DDR von Anbeginn einen politischen
       Charakter. Den hatte SED-Chef Walter Ulbricht 1958 in seinen „Zehn Geboten
       der sozialistischen Moral“ so formuliert: „Du sollst Solidarität mit den um
       ihre nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit
       verteidigenden Völkern üben“. Gleich zu Beginn der Schau an die Wand
       gebracht, markiert das „Gebot“ den politischen Anspruch der
       Völkerfreundschaft – ebenso wie die Fallhöhe im gelebten Alltag.
       
       Die Bilder der Völkerfreundschaft haben sich mit der Zeit verändert. Das
       zeigen das Gemälde von Ingeborg Michaelis „Alexanderplatz im August“ aus
       dem Jahr 1951 sowie ein Dia von 1973. In beiden Jahren fanden in Ostberlin
       die [4][Weltfestspiele der Jugend] statt.
       
       In ihrem Gemälde von 1951 zeigt Michaelis Völkerfreundschaft als
       farbenprächtiges Miteinander. Traditionell gewandet zeigt es einen Mann in
       einem arabischen Thawb, eine schwarze Frau mit blauem Kopftuch, eine
       Asiatin mit einem Blumenstrauß und – fast irritierend – ein Mann in
       ledernem Knickerbocker. Die Weltfestspiele richteten sich auch an
       Teilnehmende aus dem Westen.
       
       Im Kontrast zur ethnischen Folklore stehen die Uniformen der FDJ mit dem
       eigens für die Festspiele entworfenen blauen Halstuch der Jungpioniere. Bei
       den Weltfestspielen 1973 in Ostberlin ist das bunte und traditionelle
       Miteinander dann dem Leitmotiv eines Aufzugs mit eindeutig kämpferischer
       Pose gewichen.
       
       Spätestens, als in den achtziger Jahren mehr und mehr VertragsarbeiterInnen
       in die DDR kamen, waren aus den Widersprüchen handfeste Konflikte geworden.
       „Völkerfreundschaft nach Bedarf“ nennt die Ausstellung dieses Kapitel und
       erinnert daran, dass die kontrollierte Öffnung der Grenzen vor allem der
       DDR-Wirtschaftspolitik zu verdanken war. Steigende Rohstoffpreise
       belasteten die Devisenbilanz. Mit den sozialistischen Ländern im Globalen
       Süden begann die DDR eine Art Tauschwirtschaft: Arbeitskräfte und
       Mangelwaren gegen Industriegüter made in GDR.
       
       Versprochen wurden den Ankömmlingen aus Vietnam, Kuba, Angola, Mosambik
       oder Polen gleiche Rechte und Pflichten. Tatsächlich aber mussten Frauen
       bis zum März 1989 im Falle einer Schwangerschaft abtreiben oder das Land
       verlassen. Die Unterbringung in abgeschotteten Wohnheimen sollten zudem die
       Kontakte mit der heimischen Bevölkerung erschweren.
       
       Dass Alltagsrassismus und rassistisches Verhalten staatlicher Organe auch
       im angeblich antifaschistischen Staat an der Tagesordnung waren,
       dokumentiert ein mehrseitiger Protestbrief der Union der Afrikanischen
       Studenten und Arbeiter UASA aus dem Jahr 1965 in Leipzig.
       
       Von Schlägereien und Provokationen ist darin die Rede, aber auch von
       Polizeigewalt. Mageres Ergebnis des Protestes ist eine Aussprache mit dem
       Taxiverband. Dessen Mitglieder hatten afrikanische Fahrgäste wiederholt
       beschimpft.
       
       Willkommener als Arbeitsmigranten und Studierenden war da schon [5][Angela
       Davis]. 1969 an der Humboldt-Uni promoviert, drohte der Soziologin,
       Philosophin und Kommunistin in den USA wegen einer angeblichen Beteiligung
       an einer tödlichen Entführung die Todesstrafe. Mit einer beispiellosen
       Solidaritätskampagne zeigen sowohl Partei als auch DDR-Bürger ihre
       Solidarität mit der Bürgerrechtlerin. Nach ihrer Freilassung wurde Davis
       von Erich Honecker persönlich zu den Weltfestspielen 1973 eingeladen.
       
       Dem weltpolitisch nützlichen Antirassismus stand im Alltag dagegen noch
       immer eine mehr als zweifelhafte Bildsprache gegenüber. Die Verpackungen
       der von der DDR importierten Güter wie Tabakwaren oder Kaffee erinnerten
       oft eher an die Kolonialwaren des Kaiserreichs, als dass sie gelebte
       Beispiele antikolonialer Auseinandersetzung gewesen wären.
       
       ## Russland ausgeblendet
       
       Völkerfreundschaft mit den Menschen aus dem Globalen Süden, das zeigen all
       die Beispiele, war eine politische Freundschaft, die immer dann propagiert
       wurde, wenn sie den Machthabern passte. Ganz anders dagegen die
       Freundschaft mit der Sowjetunion, manifestiert in der [6][Gesellschaft
       Deutsch-Sowjetischer Freundschaft DSW], in der 1988 mehr als 6 Millionen
       DDR-Bürger Mitglieder waren.
       
       Gerne hätte man mehr darüber erfahren, warum die Beziehungen zu den in der
       DDR stationierten „Freunden“, wie sie oft in Anführungszeichen genannt
       wurden, nachhaltiger waren als die zu den „ausländischen Werktätigen“ aus
       Vietnam oder Mosambik.
       
       Eine solche Vertiefung hätte auch Anhaltspunkte über die besondere
       Beziehung zu Russland in den Wählermilieus von AfD, Linken und BSW geben
       können. So aber bleibt die weitestgehende Ausblendung dieses Kapitels der
       Völkerfreundschaft eine verpasste Chance.
       
       [7][Fremde Freunde. Bis 29. März 2026. Dienstag bis Sonntag und an
       Feiertagen 11–17 Uh]r
       
       5 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.utopieundalltag.de/
   DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Verlag_Volk_und_Welt
   DIR [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Digedags
   DIR [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Weltfestspiele_der_Jugend_und_Studenten
   DIR [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Angela_Davis
   DIR [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Gesellschaft_f%C3%BCr_Deutsch-Sowjetische_Freundschaft
   DIR [7] https://www.utopieundalltag.de/ausstellungen/sonderausstellungen/fremde-freunde/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
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