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       # taz.de -- Streit um Wehrdienst: Israels Kabinett hat eine Glaubenskrise
       
       > Netanjahus Koalition droht an dem Streit über Wehrpflicht zu zerbrechen.
       > Rechtsreligiöse Kräfte wollen den Dienst für Ultraorthodoxe verhindern.
       
   IMG Bild: Benjamin Netanyahu (links) und Moshe Gafni von der UTJ in der Knesset
       
       Berlin taz | Ist es nun so weit, zerbricht die Rechtsregierung von Premier
       Benjamin Netanjahu? Wohl nie in deren Amtszeit seit November 2022 schien
       das so möglich. Der Grund: die noch immer ungelöste Problematik des
       [1][Wehrdienstes für junge ultraorthodoxe Männer]. Wie israelische Medien
       berichten, könnte sich über den Disput die ultraorthodoxe Partei United
       Torah Judaism (UTJ) aus der Regierungskoalition zurückziehen. Das würde
       noch nicht reichen, um diese zu Fall zu bringen: Netanjahus
       Regierungskoalition kommt auf 68 von 120 Sitzen in der Knesset, 7 Mandate
       davon entfallen auf die UTJ. Doch sollte sich die zweite ultraorthodoxe
       Partei in der Koalition, die Shas, ihnen mit ihren 11 Sitzen anschließen,
       verlöre die Koalition ihre Mehrheit.
       
       In Israel müssen alle jüdischen jungen Menschen sowie männliche Drusen und
       Zirkassen, Teil der arabischsprachigen Minderheiten im Land, den Wehrdienst
       antreten. Es gibt nur wenige Ausnahmen, die wohl systematischste von ihnen:
       Junge, ultraorthodoxe Männer, die an einer Yeshiva die Thora studieren,
       konnten bislang jedes Jahr wieder eine Ausnahmegenehmigung von der
       Einberufung beantragen. Zieht man das einfach bis zum Erreichen der
       Altersgrenze für den Wehrdienst – 26 Jahre – durch, hat man sich den Dienst
       gespart.
       
       Die ultraorthodoxe Gemeinschaft führt als Begründung für diese Ausnahme
       meist an: Mit dem Studium der Thora und dem Gebet schütze man Israel
       spirituell. Und das [2][Militär sei in seiner ganzen Ausrichtung nicht
       vereinbar mit ihrer strengen Auslegung des Judentums]: Frauen und Männer
       dienen zusammen, auch am Schabbat gibt es Dienst, das bereitgestellte Essen
       ist zwar koscher, aber nicht genug für den noch strengeren orthodoxen
       Standard.
       
       Lange erlaubte der Staat Israel es seiner ultraorthodoxen Jugend, sich mit
       den Ausnahmegenehmigungen zu entziehen. Bis zum Juni vergangenen Jahres. Da
       beschloss das Oberste Gericht Israels: [3][Eine Regierungsentscheidung aus
       dem vergangenen Sommer], welche das Militär anwies, die ultraorthodoxen
       Wehrpflichtigen nicht einzuziehen, sei juristisch nicht haltbar. Ab Juni
       2024 war die Regierung also angehalten, aktiv daran arbeiten, die jungen
       Ultraorthodoxen in den Dienst zu bringen – dabei ist ein Teil der Regierung
       eben ultraorthodox und erklärter Gegner dieser Politik.
       
       ## Religiöse Oberhäupter schalten sich ein
       
       Es überrascht daher nicht, dass die ultraorthodoxe Fraktion schon zuvor mit
       ihrem Austritt gedroht hatte. Etwa im Januar, als Aryeh Deri, Kopf der
       Shas-Partei, forderte: Die Regierung müsse ein Gesetz verabschieden, das
       die Ausnahme vom Wehrdienst für Ultraorthodoxe rechtsverbindlich regele.
       Damals setzte er seinen Regierungspartnern eine Frist von zwei Monaten –
       und trat dann aber doch nicht aus.
       
       Doch nun haben sich bei der Partei UTJ die religiösen Oberhäupter
       eingeschaltet: Moshe Gafni, Vorsitzender des Degel-Hatorah-Parteiflügels,
       soll Instruktionen erhalten haben, die Koalition zu verlassen und die
       Regierung aufzulösen. Und die Meinung der religiösen Oberhäupter hat
       Gewicht. Die zweite Fraktion der UTJ soll nach einem Bericht der Times of
       Israel ebenfalls bereits an der Auflösung der Regierung arbeiten. Und die
       Shas hat sich zwar bislang nicht geäußert, ist aber in der Vergangenheit
       ähnlich aufgetreten.
       
       Ob die ultraorthodoxen Parteien ihre Forderungen im Falle von Neuwahlen
       durchsetzen könnten, ist fraglich. Und in Israel steht wohl die Stimmung
       der Mehrheit gegen sie: Hunderte Soldaten sind seit dem 7. Oktober 2023 –
       als die Hamas die an den Gazastreifen grenzenden israelischen Gemeinden
       überfiel und damit den Krieg auslöste – gefallen, viel mehr wurden
       verwundet. Die Last des Krieges, so empfinden es viele, ist ungleich
       verteilt. Um die Reserve zu entlasten, soll das Militär außerdem immer mehr
       auf Wehrdienstler setzen – was den Eindruck der Ungleichheit wohl weiter
       verstärkt.
       
       4 Jun 2025
       
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