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       # taz.de -- Abtreibungsgesetze in den USA: Hirntote Schwangere zum Weiterleben gezwungen
       
       > Im US-Bundesstaat Georgia zwingt das Abtreibungsgesetz die Ärzte, eine
       > hirntote Frau künstlich am Leben zu halten – gegen den Willen der
       > Familie.
       
   IMG Bild: Vor drei Jahren trat das verschärfte Abtreibungsgesetz in Georgia in Kraft. Viele protestierten, wie hier in Washington 2024
       
       Berlin taz | Es ist an Grausamkeit kaum zu überbieten: Seit über 90 Tagen
       ist Adriana Smith hirntot. Doch weil sie schwanger ist, zwingt das strenge
       Abtreibungsgesetz im Bundesstaat Georgia die Ärzte dazu, sie künstlich am
       Leben zu erhalten, bis das Kind geboren ist. Gegen den Wunsch ihrer
       Familie.
       
       Vor mehr als drei Monaten hatte die 30-jährige Krankenschwester und Mutter
       mehrere Blutgerinsel in ihrem Gehirn, die zunächst unentdeckt blieben. Kurz
       darauf wurde sie für hirntot erklärt. Aufgrund der strengen Gesetzgebung
       wird nun ihr Körper faktisch als leblose Hülle weiter künstlich
       funktionsfähig gehalten, bis der Fötus lebensfähig ist, wie eine perfide
       Art eines Brutkastens. Derzeit ist sie in der 21. Schwangerschaftswoche.
       Medienberichten zufolge planen die Ärzte, sie noch bis zu 32. Woche am
       Leben zu erhalten, sollte der Fötus bis dahin überleben.
       
       Im südlichen Bundesstaat Georgia gilt ein staatliches Abtreibungsverbot
       nach der sechsten Woche, weil ab dem Zeitpunkt meist ein menschlicher
       Herzschlag beim Fötus erkennbar ist. Landesweit gilt es als eines der
       restriktivsten: Denn zu dem Zeitpunkt wissen viele Frauen noch gar nicht,
       dass sie schwanger sind.
       
       Ausnahmen gibt es unter anderem im Falle eines medizinischen Notfalls. Der
       Bundesstaat definiert dies als „eine Situation, in der ein
       Schwangerschaftsabbruch notwendig ist, um den Tod der schwangeren Frau oder
       die erhebliche und irreversible körperliche Beeinträchtigung einer
       wichtigen Körperfunktion der schwangeren Frau zu verhindern.“
       
       ## Smiths Fall liegt in einer rechtlichen Grauzone
       
       Smiths Fall befindet sich jedoch in einer rechtlichen Grauzone. Laut der
       Mutter der Patientin, April Newkirk, teilten die Ärzte der Familie mit,
       dass sie aufgrund des Hirntods gesetzlich verpflichtet seien, die
       lebenserhaltenden Maßnahmen aufrechtzuerhalten, bis der Fötus lebensfähig
       sei.
       
       Newkirk sagte 11Alive, einem Fernsehsender aus Georgia: „Das ist eine Qual
       für mich. Ich sehe meine Tochter atmen, aber sie ist nicht da.“ Auch dem
       Fötus geht es nicht gut. Die Ärzte informierten die Familie, dass sich im
       Gehirn des Fötus Flüssigkeit gesammelt hat und dass das Kind nach der
       Geburt möglicherweise weder sehen noch gehen oder sogar überleben könne.
       
       „Diese Entscheidung hätte uns überlassen werden sollen, niemand sollte zu
       so etwas gezwungen werden“, so Newkirk.
       
       In den USA herrscht derzeit ein Kulturkampf um Abtreibungsrechte. Extreme
       Fälle wie diese in Georgia zeigen, wie wenig Autonomie Frauen und ungewollt
       Schwangere oder ihre direkten Angehörigen über ihre Körper und Situation
       haben, wenn solch strikte Gesetze in Kraft treten.
       
       ## Rechtlicher Flickenteppich USA
       
       Das Verbot in Georgia basiert auf dem sogenannten Herzschlag-Gesetz, das
       2019 verabschiedet wurde und nach der Aufhebung des Grundsatzurteils Roe v.
       Wade im Juni 2022 in Kraft trat. Seit der Aufhebung dieses Grundsatzurteils
       können US-Bundesstaaten selbst über Abtreibungsrechte entscheiden. Diese
       Entscheidung hat zu einem rechtlichen Flickenteppich im ganzen Land
       geführt.
       
       Die Situation von Smith erinnert an einen Fall in Texas vor mehr als einem
       Jahrzehnt, bei dem eine hirntote Frau etwa zwei Monate lang künstlich am
       Leben erhalten wurde, weil sie schwanger war. Die 33-jährige Marlise Muñoz
       hatte zuvor geäußert, keine lebenserhaltenden Maßnahmen zu wünschen.
       
       Ein Richter entschied schließlich, dass das Krankenhaus das Gesetz des
       Bundesstaates falsch ausgelegt hatte, indem es sie gegen den Willen ihrer
       Familie am Leben hielt. Im Januar 2014 ordnete das Gericht an, die
       lebenserhaltenden Maßnahmen zu beenden.
       
       Ed Setzler, republikanischer Abgeordnete im Senat des Staates Georgia, der
       2019 das Herzschlag-Gesetz eingebracht hatte, sagte laut der
       Nachrichtenagentur Associated Press, er unterstütze die Auslegung durch das
       Krankenhaus im Fall Smith.
       
       ## Was für ein Leben wird das Kind haben?
       
       „Ich halte es für vollkommen angemessen, dass das Krankenhaus tut, was es
       kann, um das Leben des Kindes zu retten“, sagte Setzler. „Ich denke, es
       handelt sich um einen ungewöhnlichen Fall, aber er unterstreicht den Wert
       unschuldigen menschlichen Lebens.“ Die Angehörigen der Frau hätten seiner
       Auslegung nach „gute Optionen“ – darunter, das Kind selbst aufzuziehen oder
       zur Adoption freizugeben.
       
       „Wir fragen uns, was das Kind für ein Leben haben wird – und wir werden
       diejenigen sein, die ihn großziehen“, erklärte Newkirk mit Blick auf die
       Zukunft. Für die Familie bedeutet das auch großen finanziellen Aufwand. Der
       Bundesstaat beteiligt sich nicht an den medizinischen Kosten und lässt die
       Angehörigen mit emotionaler und finanzieller Last allein.
       
       16 May 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Belzig
       
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