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       # taz.de -- Hält die Nato Putin stand?: Gefährliche Schwäche
       
       > Trotz aller Soli-Bekundungen steht die langfristige Unterstützung für die
       > Ukraine mehr denn je auf dem Spiel. Waffen fehlen und Zweifel wachsen.
       
   IMG Bild: As long as it takes: der ukrainische Präsident Selenskyj am 28. Mai zu Besuch bei Kanzler Merz
       
       Es sind entscheidende Wochen im brutalen Krieg zwischen Russland und der
       Ukraine. Verhandlungen – wenn auch über die dritte Reihe beider Seiten –
       bahnen sich an. Das nächste Treffen soll bereits Anfang der Woche in
       Istanbul stattfinden. Allerdings setzt der russische Präsident Wladimir
       Putin wenig überraschend auf ein diplomatisches Verwirrspiel.
       
       Offiziell wollen beide Seiten eine Waffenruhe, Basis dafür ist ein
       Memorandum, das – so formuliert es der Kreml – „allen Aspekten einer
       zuverlässigen Überwindung der Grundursachen der Krise“ gerecht wird. Das
       bedeutet nichts Geringeres, als dass die Ukraine sämtliche von Russland
       besetzte Gebiete aufgibt, auf einen Nato-Beitritt verzichtet und die Waffen
       streckt. Gefordert ist die Kapitulation des Landes, das sich seit mehr als
       drei Jahren gegen die russische Invasion wehrt.
       
       Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj drängt darauf, die
       konkreten russischen Bedingungen für eine Waffenruhe erst einsehen zu
       können, bevor es zu einer weiteren Verhandlungsrunde kommt. Mitte Mai kamen
       beide Delegationen erstmals nach Istanbul. Die Gespräche mündeten in einen
       Austausch von je 1.000 Gefangenen. Die aktuelle Antwort Selenskyjs wertet
       der Kreml als Nichtbereitschaft, als Blockade der Verhandlungen. Es scheint
       nahezu unmöglich, dieses Dilemma in den kommenden Tagen aufzulösen.
       
       Fakt ist, dass es in den vergangenen Tagen massive Angriffe der russischen
       Armee auf Kyjiw, auf Charkiw und andere Städte gab. Erneut auf Wohnviertel
       und öffentliche Orte, rund ein Dutzend Menschen starben. Expert:innen
       sehen die Attacken als die schwersten Angriffe seit Kriegsbeginn. Das
       US-amerikanische Institute for the Study of War, das täglich eine
       detaillierte Analyse des Frontverlaufs sowie der diplomatischen
       Verhandlungen veröffentlicht, geht zudem von einer neuen Großoffensive aus.
       In Kürze, wohl in der Region Sumy im Nordosten der Ukraine. Putin soll dort
       Truppen zusammenziehen. Es sind mehr als Drohgebärden seitens des Kremls,
       die das ukrainische Militär in die Knie zwingen sollen. Putin nutzt die
       Lücke an Waffenlieferungen, die durch das erratische Verhalten von
       US-Präsident Donald Trump in der Ukraine-Frage und die Zögerlichkeit der
       europäischen Verbündeten entstanden ist.
       
       ## Die westlichen Verbündeten schwächeln
       
       [1][Beim Besuch Selenskyjs in dieser Woche in Berlin] wurde dies mehr als
       deutlich. CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz bemühte erneut den
       abgedroschenen „As long as it takes“-Satz für die Ukraine-Hilfe aus
       Deutschland und verkündete stolz einen 5-Punkte-Plan. Der Grundstein für
       diese langfristige Unterstützung wurde bereits von seinem SPD-Vorgänger
       Olaf Scholz im Februar 2024 gelegt. Neu ist, dass es nicht nur mehr Geld
       für Waffen geben, sondern die Produktion des Kriegsgeräts in die Ukraine
       verlagert werden soll. Mit Drohnen aus Eigenbau konnte Kyjiw den russischen
       Angriffen schon etliche Male standhalten. Und dank der Luftabwehrsysteme
       der westlichen Verbündeten. Die allerdings schwächeln derzeit, trotz aller
       Soli-Bekundungen.
       
       Während der ukrainische Präsident Selenskyj seinen zweiten Termin in
       Deutschland – die Verleihung des Karlspreises an EU-Kommissionspräsidentin
       Ursula von der Leyen in Aachen – absagte, versuchte Kanzler Merz die
       Kakofonie der deutschen Außenpolitik zu glätten. [2][Keinerlei
       Reichweitenbegrenzung für Kriegsgerät] solle es mehr geben, hatte Merz
       zuvor verkündet – und damit für mächtig Irritation gesorgt.
       Friedensaktivist:innen äußerten sich empört zur drohenden Eskalation,
       wenn Deutschland jetzt doch Marschflugkörper schicken sollte. Die Grünen
       warfen Merz Wortbruch vor. Der Taurus war plötzlich wieder in aller Munde.
       
       [3][Dabei hatte Merz den wohl gerade nicht gemeint] – und musste sich
       erklären. Obwohl besonders er im Wahlkampf einen Wandel in der
       Ukraine-Hilfe propagiert hatte, inklusive Taurus-Lieferungen, dem
       Marschflugkörper, der eine Reichweite von bis zu 500 Kilometer haben kann
       und damit Moskau treffen könnte. Merz hätte wissen müssen, dass jegliche
       Unklarheit die Propagandamaschinerie des Kremls und Antidemokraten
       hierzulande zu Diffamierungen anstachelt. Die unsauberen Formulierungen
       zeigen erneut, wie nervös die europäischen Verbündeten in der Ukraine-Frage
       sind. In rund drei Wochen treffen sich die Nato-Partner zum Gipfel. Dort
       wird sich zeigen, ob unter Trump die transatlantischen Beziehungen und
       damit ein Bollwerk gegen den Autokraten Putin überhaupt noch Bestand haben.
       
       30 May 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tanja Tricarico
       
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