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       # taz.de -- US-Trompeter Steve Lands: Wir bestehen aus Sternenstaub
       
       > „Rearranging the Planets“, ein Konzeptalbum des US-Trompeters Steve
       > Lands, vermisst den Weltraum aus afrofuturistischer Perspektive.
       
   IMG Bild: Trompeter Steve Lands bei einem Konzert anlässlich des New Orleans Jazz & Heritage Festival, Anfang Mai 2025
       
       Der Weltraum ist grenzenlos, ein Topos, der im SciFi-Zeitalter nicht nur
       kitschige oder technizistische, sondern auch utopische Ideen und
       Denkmodelle hervorbrachte: Space is the place, beim Afrofuturismus fungiert
       der Weltraum als Ort ohne Rassismus, „black to the future“, wie es der
       britische Kulturkritiker Mark Dery formulierte.
       
       Bahnen von Planeten um die Sonne, wie sie Isaac Newton in seiner
       Gravitationslehre bemessen hat, durch Musik auszudrücken, ihre Positionen
       gar zu verändern, das hat bisher noch niemand so lustvoll und konzentriert
       vollführt wie der US-Jazztrompeter Steve Lands aus New Orleans mit seiner
       Musik.
       
       Sein Album „Rearranging the Planets“ bringt Töne zum Schweben und
       verarbeitet die Schwerelosigkeit in den unendlichen Weiten zu
       kosmologischen Vibrationen. So nah und doch so fern: „Als Ort und Moment im
       Zwischenraum von Gestirnen, an dem die Körper noch von der Anziehungskraft
       des einen und schon von der Gravitation des anderen erfasst sind und darum
       in ein flüchtiges Gleichgewicht geraten.“
       
       Mit diesen Worten hat der Philosoph Joseph Vogl in seinem Essay „Meteor.
       Versuch über das Schwebende“ die Kosmologie beschrieben. Schweben ist für
       Vogl nicht einfach ein Zustand, sondern „ein In-die-Höhe-Sinken“.
       
       ## Musikalisches Denkmal
       
       Mit „Rearranging the Planets“ hat Steve Lands dem Schweben der Gestirne im
       Sonnensystem ein musikalisches Denkmal gesetzt, über immer neue Ausgänge
       und Improvisationen begegnet er den Phänomenen im Weltraum.
       
       Zugleich ist sein Album eine raffinierte Hommage an Gustav Holsts
       Orchestersuite „The Planets“ (1916). Wobei Lands im strengen Sinn keine
       Coverversionen macht, sondern einzelne Passagen aus Holsts Vorlage ähnlich
       dem Versioning dem Dubreggae abwandelt, Sektionen umarrangiert, winzige
       Melodiepartikel von Holsts siebenteiliger Suite herausarbeitet, um darüber
       mit seinem zwölfköpfigen Ensemble zu improvisieren.
       
       Entfernt vergleichbar mit dem Album „The Nutcracker“, auf dem Duke
       Ellington und sein Orchester die Ballettmusik von Peter Tschaikowsky 1960
       in die Sphäre des Hardbop-Bigbandjazz katapultierten.
       
       ## Gustav Holsts Orchestersuite „The Planets“
       
       Wo der britische Komponist Gustav Holst gegen Ende des Ersten Weltkriegs
       mit seiner Planeten-Suite Sternendeutung betrieb, um dem Getöse des
       Blutvergießens zu entrinnen, hat die Entstehungsgeschichte von „Rearranging
       the Planets“ mit dem Ausnahmezustand um 2020 zu tun.
       
       [1][Lands, der 36-jährige US-Trompeter], der in der Industriestadt Baton
       Rouge/Louisana aufgewachsen ist, zuerst im Gospelchor seiner Eltern sang
       und dann am Konservatorium Musik studierte, von Delfeayo Marsalis in New
       Orleans an der Trompeter im Orchester ausgebildet wurde, kennt die Musik
       von „The Planets“ seit der Jugend.
       
       Vor allem die ersten beiden Sätze von „The Planets“ hatten es ihm angetan,
       die schmetternde Posaune bei der Ouvertüre und er untersuchte auch die
       Vorbildrolle von Holsts orchestralem Werk des frühen 20. Jahrhunderts als
       Blaupause für John Williams’ Soundtracks zu Filmen wie „Star Wars“ (1977).
       
       2016 war Lands als Teil der Preservation Hall Jazzband (einer städtischen
       Bandinstitution des New Orleans Jazz) auf US-Tour und beschloss, die Zeit
       auf den Busfahrten mit Transkription zu überbrücken. Lands schrieb
       währenddessen neue Scores für „Mars, the Bringer of War“ und „Venus, the
       Bringer of Peace“, die zwei ersten Sätze von Holsts Sinfonie.
       
       ## Space Music
       
       „Ich lud befreundete Musiker:Innen ein, wir trafen uns und sprachen
       über meine Arrangements.“ Die Idee für eine orchestrale Jazzkomposition für
       Space Music war geboren, blieb dann aber im Alltagsstress unerledigt.
       
       Bis 2020 die Coronapandemie ausbrach, ein globales Ereignis, das man vorher
       bestenfalls aus dystopischen SciFi-Romanen kannte. Steve Lands schreibt der
       taz zur Umwälzung der USA während der Pandemie: „In ihrem Kern sind die USA
       eine kapitalistische Knochenmühle. Du erwachst täglich aufs Neue und musst
       wieder mahlen. Du strampelst dich ab für mehr Follower auf Social Media. Du
       strampelst dich ab, um überhaupt Gigs zu bekommen und für annehmbare Gagen.
       Mahlen, mahlen, immer nur mahlen.“
       
       Durch Corona kam auch Lands Arbeitspensum zum Erliegen. Er habe den Beginn
       der Pandemie als monumentales Ereignis in Erinnerung, wie nie zuvor seien
       die USA im Stillstand gewesen. Er kam ins Grübeln: „Was ist das für eine
       Knochenmühle? Wer betreibt sie und was ist eigentlich ihr Ziel? Dazu der
       inkompetente Präsident Trump und sein mieses Handling der Pandemie. „Ich
       hatte das Gefühl, meine Lebenszeit läuft vorzeitig ab. Die Zukunft schien
       noch ungewisser als je zuvor.“
       
       ## Zentrale Rolle der Musik in New Orleans
       
       New Orleans ist eine Stadt, in der die Live-Performance alltäglich ist,
       Musik spielt eine zentrale Rolle im Selbstverständnis der Stadt, die als
       Geburtsort des Jazz gilt. Umso härter fühlten sich die geschlossenen Clubs,
       die Distanz, die Konzertverbote zu Coronazeiten in New Orleans an.
       Tourismus und Musikkultur brachen ein.
       
       Steve Lands konnte sich mühsam über Wasser halten, indem er
       Schüler:Innen im Netz unterrichtete und im Freien jammte. Dazu einige
       Studiojobs für Bands wie die US-Rockband Black Keys. „Ich muss etwas tun,
       an das ich wirklich glaube. So verstehe ich Kunst. Und ich kann das nur
       leisten, wenn ich genügend Zeit dafür habe, wenn ich ohne Existenzangst
       lebe. Und das sind direkte Auswirkungen der Krisen unseres Planeten. Wenn
       man denkt, die Zeit verrinnt, wenn man sein Ende direkt vor Augen hat, wird
       Dasein zum nackten Überleben.“
       
       Oft kam Lands während Corona J. D. Salingers Romanklassiker „Der Fänger im
       Roggen“ in den Sinn, verfasst während des Zweiten Weltkriegs. „Er sah
       sicher ein ungeheureres Ausmaß an Gewalt als ich, und doch fühlte ich bei
       Corona ähnlich: Was bedeutet es, wenn Leben ständig mit dem Tod
       konfrontiert ist.“
       
       Lands hat den Liner Notes von „Rearranging the Planets“ ein Motto des
       US-Astronomen Carl Sagan vorangestellt: [2][„Wir bestehen alle aus
       Sternenstaub.“] Und ja, bisweilen fühlt sich die Musik von „Rearranging the
       Planets“ ganz leichtfüßig an, manchmal wird man von ihr auch
       weggeschmettert.
       
       ## Random walk in space
       
       Manchmal hat sie den Blues, oft lässt das Ensemble, darunter ein Drummer
       und ein Perkussionist, mit dem Groove darüberhinwegkommen. Die Musik
       findet immer neue Hooklines, ein random walk in space, gleitet geschmeidig
       von einer Passage zur nächsten und macht dabei die Rotation der Planeten
       anschaulich.
       
       Die Kompositions- und Arrangementarbeit an den 14 Stücken von „Rearranging
       the Planets“ beanspruchte den Komponisten bis 2022, als Lands das Werk
       erstmals mit Ensemble live in New Orleans aufführte. „Die Kompositionen
       stammen alle von mir, darin eingeschrieben sind bereits die künstlerischen
       Freiheiten der Band, wie sie Sätze der Suite beim Spielen
       weiterentwickeln.“
       
       Steve Lands kann sich glücklich schätzen, talentierte Musiker:Innen, wie
       den Saxofonisten Gladney, den Keyboarder Shea Pierre und die Sängerinnen
       Amber René und Meghan Stewart um sich zu haben. New Orleans gilt heute als
       eher traditionalistische Jazzmetropole.
       
       ## Geboren in New Orleans in Lousiana
       
       Eine Behauptung, die Steve Lands und sein Ensemble widerlegen: „Die meisten
       in der Band sind in NOLA geboren und aufgewachsen. Die haben den Sound
       jeder lokalen Jazzära drauf, von Sidney Bechet und King Oliver, bis zu The
       Meters und Eddie Bo, ob Funk oder zeitgenössischer Jazz von James Black und
       Ellis Marsalis, alles fließt ansatzlos ineinander und landet auch jenseits
       davon.“ Geschichte implementiert sich fast automatisch beim Spielen.
       
       „Unser Weltraum ist groovy und freigeistig. Manchmal strukturiert,
       gelegentlich chaotisch, er kann schön und warm klingen, aber auch kalt und
       destruktiv. Man kann den Weltraum nicht begrenzen. Das Gleiche gilt für den
       Jazz in New Orleans. Von hier ist es gar nicht weit bis ins All, die
       Verbindungen finden sich leicht, man muss nur wissen, wonach man schaut und
       wie man sein Wissen anwendet.“
       
       „Rearranging the Planets“ strahlt heller als die Sonne, es ist ein
       fulminantes Meisterwerk, über das noch lange zu sprechen sein wird.
       
       31 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://thestevelands.bandcamp.com/album/rearranging-the-planets
   DIR [2] /Blaxploitation-Scifi-Musikfilm-mit-Sun-Ra/!5613979
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
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