URI: 
       # taz.de -- Reichsbürgerprozess in Frankfurt: Der höfliche Herr Bonk
       
       > Seit einem Jahr läuft in Frankfurt der Terrorprozess gegen Prinz Reuß und
       > seine mutmaßliche Reichsbürger-Umsturzgarde. Eine Lehrstunde in Geduld.
       
   IMG Bild: Der Vorsitzende Richter Jürgen Bonk bei der Eröffnung des Prozesses gegen eine mutmaßliche „Reichsbürger-Gruppe“ im Mai 2024
       
       FRANKFURT AM MAIN taz | Wäre Jürgen Bonk nicht Richter geworden, hätte er
       sicher auch Karriere als Diplomat machen können. Der Vorsitzende des
       Staatsschutzsenats am Oberlandesgericht in Frankfurt am Main führt den
       Prozess gegen die mutmaßliche Führungsspitze der Reichsbürger-Truppe um
       Heinrich XIII. Prinz Reuß, und er tut das mit ausgesuchter Höflichkeit.
       „Vielen Dank für den Hinweis“, pflegt Bonk sanftstimmig abzumoderieren,
       wenn sich auf der Seite, wo die neun Angeklagten mit ihren rund 20
       Verteidiger*innen sitzen, wieder einmal in Rage geredet wird. „Ich
       glaube, Ihr Standpunkt ist deutlich geworden.“
       
       [1][Seit einem Jahr läuft der Prozess] in der eigens errichteten
       Leichtbauhalle in einem Gewerbegebiet am Rande der Mainmetropole. Es geht
       um Terrorismus und Hochverrat, die Bundesanwaltschaft wirft den Angeklagten
       – sowie 17 weiteren Männern und Frauen, die parallel in Stuttgart und
       München vor Gericht stehen – die Vorbereitung eines Staatsstreichs vor. Mit
       einem bewaffneten Angriff auf den Bundestag, mit dem Aufbau
       paramilitärischer „Heimatschutzkompanien“, mit Massenhinrichtungen, mit der
       Bildung einer designierten Putschregierung, angeführt vom altadligen
       Reichsbürger und Immobilienunternehmer Reuß.
       
       Doch von dem, was die Bundesanwaltschaft auf 550 Seiten als das
       „wesentliche Ergebnis“ ihrer Ermittlungen zusammengefasst hat (und was
       medial gelegentlich mit einer bereits erwiesenen Wahrheit verwechselt
       wird), wurde in 68 Verhandlungstagen erst ein Bruchteil erörtert. Von den
       258 Zeug*innen, auf die sich die Anklage stützt, trat bisher [2][bloß ein
       gutes Dutzend] auf. Und auch aus den zahllosen Chats und Telefonaten, in
       denen sich die Angeklagten um Kopf und Kragen geredet haben sollen, waren
       erst wenige Sätze zu hören. Es geht langsam voran, sehr langsam.
       
       Zur diplomatischen Begabung des Senatsvorsitzenden gehört eben auch:
       Geduld. Tagelang hat er zugehört, als sich die angeklagte
       [3][Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann] zur Anklage
       äußerte. Ein [4][schier endlos mäandernder Monolog], in dem die einstige
       Berliner Richterin mit viel selbstgerechtem Hochmut erklärte, warum
       sämtliche [5][Vorwürfe grundlos, bodenlos, kurz: eine persönliche
       Beleidigung] seien. Wochen später kontert Bonk nun, indem er der
       60-Jährigen eine Chatnachricht vorhält.
       
       Malsack-Winkemann hat sie geschrieben, kurz nachdem sie am 1. August 2021
       mehrere Mitangeklagte, darunter den ehemaligen Bundeswehr-Oberst Maximilian
       Eder, durch den Bundestag geführt hat. Ein Manöver, das dem Auskundschaften
       des Parlaments dienen sollte, meint die Bundesanwaltschaft. Ein rein
       touristischer Besuch, hat Malsack-Winkemann behauptet. In dem Chat schrieb
       sie über Eder: „Er ist sauer und will das Vorhaben wegen meines Misstrauens
       abbrechen.“ Weil sie ihm nicht erlaubt habe, ein Auto auf ihren Namen
       anzumieten.
       
       Um was für ein Vorhaben ging es da? Malsack-Winkemann eiert, redet viel,
       ohne eine plausible Erklärung liefern zu können. Bereits zuvor, als die im
       Bundestag entstandenen Fotos im Gerichtssaal gezeigt werden, ist sie immer
       wieder wortreich ausgewichen. Vielleicht, weil sich das touristische
       Interesse an Tiefgaragen, Eingangsschleusen, Aufzugschildern, Kellerfluren
       oder Fluchtwegen nicht unmittelbar erschließt. „Ich will Ihnen meine Frage
       noch mal in Erinnerung rufen“, sagt Bonk und seine Stimme klingt jetzt ein
       paar Grad kühler als sonst.
       
       ## Der KSK-Offizier, der an einen Kinder missbrauchenden Deep State glaubt
       
       Die AfD-Politikerin ist nach wie vor die einzige der Angeklagten im
       Frankfurter Prozess, die sich vor Gericht zur Aussage eingelassen hat.
       Andere, darunter der mutmaßliche Rädelsführer Reuß, kündigen das bislang
       nur an. Und auch Ex-Oberst Eder schweigt – wieder. Kurz vor Ostern ist er
       noch mit viel Aplomb in einen Vortrag gestartet. Mehrere Tage lang will der
       66-Jährige reden, sogar eine Powerpoint-Präsentation hat er mitgebracht,
       doch dann bricht er nach dem ersten Tag ab. Ins Detail gehen könne er erst,
       wenn ihm das Gericht Zugang zu seinen damaligen „roundabout 15.000 Mails“
       gewähre, sagt er. „Das ist wie ein Tagebuch.“
       
       Zur Einleitung spricht der einstige Stabsoffizier der Eliteeinheit Kommando
       Spezialkräfte (KSK) über seinen Kampf gegen die Corona-Maßnahmen und gegen
       das, was er „satanisch-rituelle Pädophilie“ nennt. Wie die meisten der
       mutmaßlichen Möchtegern-Putschist*innen glaubt er an unterirdische
       Tunnelsysteme, in denen Kinder von einer „Deep State“ genannten Machtelite
       systematisch gefoltert und missbraucht werden. Es ist der Kern der
       antisemitisch aufgeladenen QAnon-Verschwörungsideologie. Aber Eder sagt:
       „Ich distanziere mich nachdrücklich von der Unterstellung, ich sei ein
       Anhänger von QAnon.“
       
       Die Anklagevorwürfe weist Eder in stolzem Bayrisch sämtlich als „Schmarrn“
       zurück. „Es sollte immer friedlich und gewaltfrei bleiben“, beteuert er.
       „Ein Staatsstreich war niemals meine Absicht.“ Kurz darauf erwähnt er wie
       nebenbei, dass er zeitweilig sehr wohl über eine Aktion im oder am
       Bundestag nachgedacht habe. „Das wäre so eine Art Berliner Fenstersturz
       geworden“, sagt Eder – und spielt damit an auf den Prager Fenstersturz, mit
       dem 1618 der 30-jährige Krieg begann. Ein Ereignis, das als Wendepunkt in
       der Geschichte Europas gilt. Aber erst einmal war es: Lynchjustiz.
       
       Immer friedlich und gewaltfrei also? Die Angeklagte Johanna
       Findeisen-Juskowiak, bis zu ihrer Festnahme Landesvorsitzende der
       Querdenken-Partei „Die Basis“ in Baden-Württemberg, hat bei einem Treffen
       mit dem erfahrenen Ex-Offizier Codewörter fürs konspirative Kommunizieren
       mitgeschrieben, angeblich ohne groß nachzudenken: „Buntstifte = Waffen“,
       notierte die 54-Jährige. „Abholzen = Personenbeseitigung“.
       
       Einem alten Kameraden aus Bundeswehrzeiten gegenüber soll Eder noch
       deutlicher geworden sein. „Nach meiner Erinnerung“, sagt Frank
       Leidenberger, „ging es um die Tötung von Herrn Spahn.“ Leidenberger war
       Generalleutnant, hat Truppen in Afghanistan kommandiert und leitende
       Funktionen in der Bundeswehrverwaltung innegehabt. Beim Treffen in einem
       bayerischen Biergarten, erzählt der 66-Jährige, habe ihn Eder aufgefordert,
       sein Handy wegzulegen, damit sie nicht abgehört werden könnten. Dann habe
       er ihn anzuwerben versucht.
       
       Aber wofür? Für den Kampf gegen die vermeintliche „Corona-Diktatur“, wie
       Leidenberger es kurz danach dem Militärgeheimdienst MAD meldete? Für einen
       „Staatsstreich“, wie er später in seiner Vernehmung beim Bundeskriminalamt
       sagte? Oder für die „Beseitigung“ von Jens Spahn, dem damaligen
       Gesundheitsminister der CDU, wie er nun vor Gericht erklärt?
       
       Von einer „Verböserung“ der Aussage spricht die Verteidigung. Und auch
       Leidenberger muss einräumen, dass ihn das Wissen um die Anklagevorwürfe
       nicht unbeeinflusst gelassen hat. „Der Begriff ‚Tötung‘ ist nicht wörtlich
       gefallen“, sagt er schließlich. „Aber es war klar, was gemeint ist.“
       
       Eder – ein kleiner drahtiger Mann, der die langen grauen Haare zum Zopf
       gebunden trägt – gefällt sich in der [6][Pose des heldenhaften Kämpfers]
       für die Befreiung missbrauchter Kinder. „Nehmen Sie mich als Faustpfand“,
       ruft er am Ende seiner Powerpointpräsentation mit Pathos. „Ich bin der, der
       die Gesamtverantwortung trägt!“ Da brandet hinten im Saal Beifall auf, bei
       den treuen Fans der Angeklagten, die zu jedem Prozesstag kommen. Auf ihren
       T-Shirts und Pullovern steht „The truth will win“ oder „Wir müssen
       friedenstüchtig werden“. Aber für die Justiz haben sie nur aggressive
       Verachtung übrig.
       
       Mit hämischem Lachen quittieren sie, wenn die Verteidigung versucht, das
       Verfahren mit sarkastischen Bemerkungen ins Lächerliche zu ziehen.
       Insbesondere Jochen Lober, Anwalt der AfDlerin Malsack-Winkemann, ist für
       jeden Verbalkrawall zu haben. Richter Bonk reagiert darauf auf seine Art.
       „Vielleicht“, sagt er, „wollen wir es bei allem Verständnis für Ihre Art
       des Humors bei einer gewissen Sachlichkeit belassen.“
       
       Ihr Fragerecht nutzt die Verteidigung in zermürbender Ausführlichkeit. Am
       Mittwoch, dem ersten Jahrestag des Prozessbeginns, ist ein Zeuge deshalb
       bereits zum achten Mal geladen. Den Prozess als zäh zu bezeichnen, wäre
       eine freundliche Untertreibung. In Frankfurt sind derzeit Termine bis
       Januar 2026 angesetzt, beim Parallelverfahren in München, obwohl es dort
       sogar etwas zügiger vorangeht, bereits bis 2027. Reichen dürfte beides
       nicht.
       
       Den wenigen Journalist*innen, die die Verhandlungen noch regelmäßig
       verfolgen, entringt sich da gelegentlich ein Fluch. Würde der höfliche Herr
       Bonk ihnen zuhören, könnte er, sich selbst zitierend, sagen: „Sie werden
       verstehen, dass ich Sie auf diesem sprachlichen Niveau nicht begleiten
       werde.“
       
       26 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Reichsbuerger-Putsch/!6004794
   DIR [2] /Reichsbuerger-Prozess-in-Frankfurt/!6070325
   DIR [3] /Prozess-gegen-Reichsbuerger-um-Prinz-Reuss/!6044191
   DIR [4] /Reichsbuerger-Prozess-in-Frankfurt/!6028521
   DIR [5] /Terrorverdaechtige-AfD-Frau-vor-Gericht/!6030233
   DIR [6] /Reichsbuerger-Prozess-in-Frankfurt/!6021125
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Joachim F. Tornau
       
       ## TAGS
       
   DIR Reichsbürger
   DIR Schwerpunkt Rechter Terror
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Adel
   DIR Frankfurt/Main
   DIR Prozess
   DIR Oberlandesgericht
   DIR GNS
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Reichsbürger
   DIR Reichsbürger
   DIR "Querdenken"-Bewegung
   DIR Reichsbürger
   DIR AfD Niedersachsen
   DIR Reichsbürger
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Reichsbürger-Prozess um Prinz Reuß: Die rechtslibertären Erinnerungslücken des Crash-Propheten
       
       Was wusste Markus Krall über den Umsturzversuch um Prinz Reuß? Angeblich
       sehr wenig, so gibt er im Frankfurter Reichsbürger-Prozess vor.
       
   DIR Reichsbürger im Landkreis Rostock: Razzia bei mutmaßlichem „Kaiserreichsgruppen“-Unterstützer
       
       In Mecklenburg-Vorpommern durchsuchte die Polizei einen 54-jährigen
       mutmaßlichen Reichsbürger. Er soll die „Kaiserreichsgruppe“ unterstützt
       haben.
       
   DIR Rechtsextreme und Querfront: Extrem rechte Querfront-Demo
       
       Rund 850 Menschen nahmen am Samstag an einer extrem rechten Demo in Berlin
       teil.
       
   DIR Reichsbürger-Verein: Dobrindt lässt „Königreich Deutschland“ untergehen
       
       Führende Köpfe sind festgenommen; es gibt Razzien in 7 Bundesländern.
       Bundesinnenminister Dobrindt hat das „Königreich Deutschland“ verbieten
       lassen.
       
   DIR Rechtsextremer Treffpunkt auf dem Dorf: Umsturzpläne im Erbkrug
       
       Der Gasthof „Zum Alten Erbkrug“ in einem niedersächsischen Dorf ist ein
       Treffpunkt einer rechten Szene. Nach Ken Jebsen tritt dort Thilo Sarrazin
       auf.
       
   DIR Reichsbürger-Prozess in Celle: Doch keine Kaiserreichs-Terroristin
       
       In Celle geht der Prozess gegen eine mutmaßliche Mitverschwörerin der
       „Kaiserreichstruppe“ zu Ende. Selbst die Anklage fordert einen Freispruch.