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       # taz.de -- Grundrechtereport 2025: „Jeder weiß, dass das rechtswidrig ist“
       
       > Bürgerrechtsorganisationen präsentieren jährlich einen „alternativen
       > Verfassungsschutzbericht“. Diesmal ging es nicht zuletzt um
       > Polizeigewalt.
       
   IMG Bild: Solidarität mit Maja T.: Mehrere hundert Menschen demonstrieren am 05. Juli 2024 in Berlin gegen die Auslieferung nach Ungarn
       
       Freiburg taz | „Es geht nicht mehr um einzelne Skandale, vielmehr wird den
       Grundrechten der Boden unter den Füßen weggezogen“, kritisierte der Jurist
       und Journalist Maximilian Steinbeis bei der jährlichen Vorstellung des
       [1][Grundrechtereports] in Berlin.
       
       Der Grundrechtereport versteht sich als „alternativer
       Verfassungsschutzbericht“. Seit 1997 veröffentlichen ihn zehn
       Bürgerrechtsorganisationen von der Humanistischen Union bis Pro Asyl als
       Taschenbuch. Laudator Steinbeis ist Herausgeber des renommierten
       „Verfassungsblogs“. Er appellierte insbesondere an die deutschen
       Konservativen, sich wieder mehr für „Recht und Ordnung“ zu engagieren. Das
       „ständige Gejammer über rechtliche Fesseln und Hürden“ führe dazu, dass das
       Recht immer häufiger ignoriert und umgangen werde.
       
       Steinbeis nannte drei Beispiele: die Auslieferung der nonbinären
       [2][Antifaschist*in Maja T. nach Ungarn], bevor das
       Bundesverfassungsgericht über einen Eilantrag entscheiden konnte; die
       [3][Bereitschaft von Kanzler Friedrich Merz] den israelischen
       Premierminister Benjamin Netanjahu in Berlin zu empfangen, obwohl gegen
       diesen ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt; der
       Entzug des Aufenthaltsstatus von vier ausländischen Studierenden, die sich
       an propalästinensischen Protesten in Berlin beteiligt hatten.
       
       „Jeder weiß, dass jeder weiß, dass das rechtswidrig ist“, benannte
       Steinbeis die Gemeinsamkeit der drei Vorfälle. Wie bei US-Präsident Donald
       Trump gehe es auch in Deutschland darum, ganz bewusst das Recht zu
       ignorieren. Es werde die Botschaft gesetzt: „Seht her, was wir machen
       können weil wir es können.“ Dass der Grundrechtereport dagegen weiter „in
       der Sprache des Rechts“ argumentiere, sei klug, so Steinbeis. So könne man
       die Konservativen zumindest in Widersprüche verwickeln.
       
       ## Viele trauten sich nicht mehr, zu protestieren
       
       Über den juristischen Umgang mit [4][pro-palästinensischen Besetzungen an
       Berliner Hochschulen] sprach die Anwältin Jessica Grimm. Die Strafverfahren
       wegen Hausfriedensbruchs würden überwiegend eingestellt. Falls es zu
       Urteilen komme, gebe es kleinere Geldstrafen oder Freisprüche wegen
       Beweisproblemen. „Es fällt auf, dass die Gerichte sich um die Frage
       drücken, ob solche Protestaktionen nicht doch von der Meinungs- und
       Versammlungsfreiheit gedeckt sind“, so Anwältin Grimm.
       
       Auch wenn die Strafverfahren bisher eher glimpflich verliefen, so hätten
       sie doch einschüchternde Wirkung. „Viele der Protestierenden hatten noch
       nie mit Polizei und Justiz zu tun“, so Grimm, „sie befürchten, dass es bei
       der nächsten Verurteilung zu einem Eintrag ins Führungszeugnis kommt; und
       ausländische Studierende sorgen sich, dass sie bei der nächsten
       Verurteilung ausgewiesen werden“. Viele trauten sich daher nicht mehr, zu
       protestieren.
       
       Die Medienwissenschaftlerin Sevda Can Arslan engagiert sich in der
       [5][„Initiative 2. Mai“], die gegen tödliche Polizeigewalt in Mannheim
       protestiert. Anlass war ein Polizeieinsatz im Mai 2022. Ein Arzt hatte die
       Polizei gebeten, den 47-jährigen psychisch Kranken Ante P. zurück in die
       Klinik zu bringen, er könne sich sonst selbst gefährden.
       
       P. reagierte aggressiv auf die Polizisten, am Ende des Einsatzes war er aus
       ungeklärten Gründen tot. Das Landgericht Mannheim verurteilte einen
       Polizisten, der P. viermal mit der Faust auf den Kopf geschlagen hatte,
       wegen Körperverletzung im Amt. Der Bundesgerichtshof hob die Verurteilung
       im Oktober 2024 allerdings wieder auf. Der Polizist habe sich zumindest bei
       zwei Faustschlägen auf sein Notwehrrecht berufen können.
       
       Arslan wies auch auf die Verantwortung von Journalisten hin. „Wenn die
       Polizei selbst betroffen ist, sollte man ihr nicht alles unbesehen glauben,
       sondern selbst recherchieren“, forderte die Medienwissenschaftlerin, die
       auch zu Polizeigewalt und Journalismus forscht.
       
       Inzwischen müssen Aktivist:innen und Angehörige der Opfer selbst vor
       Gericht, weil sie von Polizisten zivilrechtlich verklagt wurden. Sie hatten
       die tödlichen Polizeieinsätze als „Mord“ oder „unethisch“ bezeichnet. „Hier
       wird versucht, Kritik an der Polizei juristisch zu unterbinden“, so Arslan.
       
       21 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.grundrechte-report.de/
   DIR [2] /Prozess-gegen-Maja-T/!6068242
   DIR [3] /Internationales-Strafgericht/!6068599
   DIR [4] /Hoersaal-Besetzung-an-der-HU-Berlin/!6082936
   DIR [5] https://initiative-2mai.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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