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       # taz.de -- Windkraftprojekt in Hessen: Gegenwind im Märchenland
       
       > In Hessen soll ein Windpark ausgerechnet in „Grimms Märchenwald“
       > entstehen. Noch bevor sich die Rotoren drehen, geraten Weltbilder ins
       > Wanken.
       
   IMG Bild: Nicht stören: Die Sababurg im Reinhardswald inspirierte schon die Brüder Grimm
       
       Reinhardswald taz | Still und breit schlängelt sich die Weser vorbei an
       kleinen Dörfern aus Fachwerkhäusern, hinter denen die Buchenhänge des
       Reinhardswaldes aufragen. Kein Fabrikschlot, keine Autobahn oder ICE-Trasse
       stört die Ruhe hier im Norden Hessens. Schon vor über 200 Jahren
       inspirierte die damals mit Dornen, heute mit Efeu überwachsene Sababurg im
       Zentrum des Waldes die Brüder Grimm dazu, Dornröschen hier ihren
       Jahrhundertschlaf abhalten zu lassen.
       
       Doch Mitte Januar dieses Jahres wird der Reinhardswald unsanft aus seinem
       Schlaf gerissen: „Nieder. Nieder mit diesen Windmühlen der Schande“,
       schreit Kanzlerinnenkandidatin [1][Alice Weidel auf dem AfD-Parteitag in
       Riesa]. Hessens CDU holze „den Märchenwald der Brüder Grimm für Windräder
       ab“, behauptet Weidel an ihrem Rednerinnenpult und schneidet dabei mit
       ihrem Zeigefinger so entschieden durch die Luft, dass sich jedes Windrad
       glücklich schätzen kann, gerade nicht mit ihr im Raum zu stehen.
       
       Die „Windmühlen der Schande“ sollen im nördlichen und mittleren
       Reinhardswald entstehen. Nach jahrelangen Verzögerungen durch Klagen begann
       Ende vergangenen Jahres der Bau. Die Region ist über das Projekt tief
       gespalten. Die Energiegenossenschaft, über die sich die Anliegergemeinden
       am Windpark beteiligen können, schrumpfte von anfangs neun auf aktuell vier
       Gemeinden zusammen. Anwohner*innen und Initiativen kämpfen schon länger
       gegen das Projekt. Das Bündnis „Rettet den Reinhardswald“ etwa beklagt auf
       seiner Website, dass „ein intaktes Ökosystem dauerhaft zerstört“ werde und
       die strukturschwache Region damit „ihrer letzten Ressource beraubt“.
       
       Das fürchtet auch Oliver Penner. Auf dem Parkplatz unterhalb der Sababurg
       öffnet er den Kofferraum seines blauen Audi SUVs. Auf einem Laptop bewahrt
       er alles auf, was er zum Windpark finden kann. „Ich lösche nichts“, sagt er
       und sucht Drohnenaufnahmen der Baustellen raus, die er selbst gemacht hat.
       Oliver Penner ist ein Chronist des Projekts – und ein entschiedener Gegner.
       Mit seinem Verein „Pro Märchenland“ steht er an vorderster Front gegen den
       Bau der Windräder. Regelmäßig schickt er lange Mails mit Kritik am Windpark
       an Zeitungen, Naturschutzinitiativen, Forscher*innen und
       Politiker*innen.
       
       Penner ist Unternehmer aus der Gemeinde Wesertal, auf seinem Bürogebäude
       hat er nach eigener Aussage Photovoltaik installiert. Aber der Windpark
       hier im Wald geht ihm zu weit: „Erst freut man sich, dass sich der Wald
       erholt und der Luchs zurückkommt und dann geht man direkt wieder hinein und
       baut da diese Türme hin.“ Für Penner steht jedoch mehr auf dem Spiel als
       nur Naturraum. Es ist seine Vorstellung von Heimat. Die Weser sei einer der
       letzten großen Flüsse, die noch nicht „durchindustrialisiert“ wurden,
       erklärt der geborene Wesertaler, „ausgerechnet das soll jetzt Industrieland
       werden“.
       
       Hier im äußersten Zipfel Nordhessens können sich selbst die Beschlüsse der
       Landespolitik manchmal wie eine Order eines fernen Mutterlandes anfühlen.
       Die Metropole Frankfurt und die Landeshauptstadt Wiesbaden sind über 150
       Kilometer weit entfernt, Thüringen von den Ausläufern des Waldes dagegen
       gerade einmal 20. Noch 1971 wurde die Region als „Zonenrandgebiet“
       ausgewiesen. Wer hier wohnt, tut das meist wegen der Nähe zur Natur und der
       Ruhe – als „waldische Tradition“ beschreibt das der Kasseler
       Umweltpsychologe Andreas Ernst. Es scheint, als läge die ganze Region im
       Dornröschenschlaf. Doch nicht jede*r hier wartet darauf, dass sie
       wachgeküsst wird.
       
       An der Sababurg ist an Dornröschenschlaf sowieso nicht zu denken. Im
       Minutentakt rauschen Kipplader zu ihren Baustellen und hüllen die Straße
       Richtung Wald in einen trüben Staubnebel. Am Bestimmungsort, dem Standort
       „Windenergieanlage 12“ offenbart sich ihr Zweck: Sie kippen tonnenweise
       Schotter auf den verdichteten Boden, wo das Windrad errichtet werden soll.
       Später muss hier ein Kran stehen können, der die 241 Meter hohen Anlagen
       aufstellt. Das Loch im Wald misst etwa 60 mal 80 Meter, dahinter zieht sich
       eine breite, tief ausgebaggerte Schneise mehrere hunderte Meter bis zur
       nächsten Anlage, drum herum türmt sich der zur Seite geschobene Waldboden.
       Die Farbpalette reicht gerade mal von Rostbraun bis Beige. Penner steigt
       aus, er wirkt kurz klein zwischen den Erdwällen: „Das ist eine Wüste hier.“
       
       Mit Bildern der Baustellen und der gerodeten Waldflächen machen lokale
       Initiativen auf die Veränderung des Waldes aufmerksam – und rechte Kräfte
       Politik. Denn schon längst wird der Streit auch auf Bundesebene geführt.
       „Dornröschen ist tot“, schreibt etwa die Bild-Zeitung. Und weil Windkraft
       für die Energiewende zwar notwendig, aber vor Ort häufig unpopulär ist,
       besetzt die AfD die Nische der Totalopposition. Bei einer Protestaktion im
       Reinhardswald sprach der AfD-Bundestagsabgeordnete Steffen Kotré etwa vom
       „Verlust der Heimat“ und verkündete: „Die AfD ist heute die Umweltpartei,
       die Grünen sind es leider nicht mehr.“ Im Netz werden die Fakten weiter vom
       Tisch geräumt: „Einer der wenigen Urwälder, die Deutschland hat“, werde für
       eine „wahnsinnige Ideologie“ geopfert, heißt es etwa in einem Beitrag auf
       X, der dort über 10.000 Likes hat.
       
       Penner ist es wichtig, sich von der AfD abzugrenzen. Als „miese AfD Nummer“
       bezeichnet er eine Mail, in der die Partei auf den Protest der Initiativen
       vor Ort verweist. Aber außer der AfD positioniert sich auf Landes- und
       Bundesebene keine Partei gegen den Windkraftausbau. Und deshalb merkt man
       ihm in manchen Momenten auch eine gewisse Bitterkeit an. Er sagt dann Dinge
       wie: „Wenn die Leute sich alle von der Politik verarscht fühlen, brauchen
       wir uns nicht wundern, wenn bald ein Höcke kommt.“
       
       Egal, ob man nun wie Penner daran glaubt, dass die Verbitterung der
       Menschen über eine vermeintlich fehlgeleitete Energiewende-Politik einem
       rechtsradikalen Politiker (ohne „einmal“) den Weg in die Regierung ebnen
       wird: Hessen hat in Sachen Erneuerbarer einiges aufzuholen. Insgesamt kam
       das Bundesland 2024 bei der installierten Windenergie auf Platz 9 und
       rangierte damit zwischen Bayern und Baden-Württemberg, den beiden
       Wind-Bremserstaaten im Süden der Republik, die jedoch dafür in der
       Solarenergie führend sind. Hessen ist also bei Weitem kein Vorzeigestaat
       der Energiewende. Sein kleiner Nachbar Rheinland-Pfalz beispielsweise hat
       50 Prozent mehr Windenergie installiert.
       
       Doch es bewegt sich etwas in der Hessischen Staatskanzlei. Die
       schwarz-gelbe hessische Landesregierung unter Volker Bouffier setzte sich
       schon 2011 auf ihrem Energiegipfel das Ziel, 2 Prozent der Landesfläche für
       Windenergie auszuweisen. Auf dieser Basis verabschiedete die schwarz-grüne
       Regierung 2017 einen Teilregionalplan. Hessen ist damit neben
       Schleswig-Holstein das einzige Bundesland, das die Vorgaben des Bundes für
       bis 2027 auszuweisende Windkraftflächen schon jetzt erfüllt. Erst in den
       letzten Jahren schlägt sich diese theoretische Ambition jedoch auch beim
       praktischen Zubau nieder.
       
       Der Reinhardswald ist Ausdruck dieser Aufholjagd. Im Teilregionalplan 2017
       wurden auch die dortigen Flächen erstmals aufgelistet. Da der Reinhardswald
       größtenteils hessischer Staatswald ist, hat das Bundesland praktisch freie
       Hand über die Planung von Infrastrukturprojekten. Die umliegenden Gemeinden
       müssen daher nicht an der Planung beteiligt werden, im Rahmen der
       Energiegenossenschaft können sie aber immerhin von den Einnahmen des
       Windparks profitieren.
       
       Jede der Anlagen im Reinhardswald soll nach Inbetriebnahme etwa 16.000
       Megawattstunden Strom pro Jahr zur Verfügung stellen, wie der
       Windpark-Geschäftsführer Ralf Paschold der „Hessenschau“ mitteilte. Rein
       rechnerisch bedeutet das, der gesamte Windpark kommt auf eine Einspeisung
       von knapp 284.000 Megawattstunden jährlich, also genug, um etwa 95.000
       Durchschnittshaushalte mit Strom zu versorgen. Mit nur 18 Anlagen wird der
       Park damit etwa 4 Prozent der hessischen Windenergie liefern. Das liegt an
       der Effizienz der modernen Anlagen. Zum Vergleich: Hessens Windpark mit den
       meisten Türmen, der Windpark Goldner Steinrück, liefert aus 43 Anlagen nur
       etwa 80.000 Megawattstunden.
       
       Das Beben von Riesa, das Weidels Wutrede ausgelöst hat, wurde auch im
       Forstamt Reinhardswald vernommen. Holger Pflüger-Grone ist dessen Leiter
       und damit auch Bürgermeister des Gutsbezirks Reinhardswald mit einer
       Einwohnerin und einem Einwohner. Schon seit einiger Zeit muss er sich mit
       den Falschmeldungen im Internet und Anfeindungen auseinandersetzen. Seine
       Forstschilder werden immer wieder durch Reichsbürger überklebt, manchmal
       seien auch Rasierklingen unter den Stickern angebracht, berichtet er. Doch
       seit dem AfD-Parteitag hat sich das Interesse am Reinhardswald ausgeweitet,
       er bekommt nun Anfragen von Presse und Politik aus der ganzen Republik.
       Pflüger-Grone kommt aus der Beamtenlaufbahn, eigentlich steht er nicht
       gerne im Mittelpunkt. Doch nun hätten sie als Forstamt beschlossen, mit
       Politik und Medien zu reden. Die „Deutungshoheit über den Wald behalten“
       nennt Pflüger-Grone den Auftrag.
       
       Dafür ist er vorbereitet. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Fußball, ganz
       klassisch in Schwarz und Weiß, dazu ein rotes Eintracht-Frankfurt-Logo.
       Pflüger-Grone hält ihn vor sich. Die schwarzen Fünfecke machten 28 Prozent
       der Fläche aus, das entspreche in etwa dem Anteil an Kalamitätsflächen im
       Reinhardswald. Kalamitätsflächen, das sind Gebiete, in denen die Bäume
       stark geschädigt oder verschwunden sind. „Das Ganze hat mit dem Orkan
       ‚Friederike‘ 2018 angefangen, der vor allem die flach wurzelnden Fichten
       auf den Gipfelflächen umgerissen hat“, durch das herumliegende geschädigte
       Stammholz und die heiße Witterung habe sich dann der Borkenkäfer
       verbreitet. Als der Windpark geplant wurde, vor ‚Friederike‘, habe man sich
       bei der Bestimmung geeigneter Standorte an diesen beiden Faktoren
       orientiert: Höhenlagen für die Windausbeute und junge Fichtenbestände, da
       Fichten nicht standortgerecht seien und im Vergleich zu Laubbäumen als
       ökologisch weniger wertvoll betrachtet werden, erklärt der Forstamtsleiter.
       Nun wurde ein Großteil der Flächen bereits von Wind und Käfer gerodet: „Die
       Natur hat uns damit die schwere Entscheidung über eine Fällung in größerem
       Ausmaß genommen.“ Und dass „Urwald“ für den Windpark geopfert werden solle,
       wie auf X behauptet, bleibt eine Mär des Internets.
       
       Pflüger-Grone hat Verständnis für die Kritiker*innen des Projekts. Er
       spricht von „Wunden im Wald“ und dass ihm als Förster „schon das Herz
       blutet“, wenn er sie sieht. Deshalb setze sich sein Forstamt auch dafür
       ein, die Eingriffe so gering wie möglich zu halten, und sende Pläne des
       Projektierers auch mal zurück, mit der Bitte um Überarbeitung, um etwa
       bestehende Forstwege auch für den Bau zu nutzen. Auf seinem Schreibtisch
       liegt eine kleine Broschüre des hessischen Umweltministeriums, „Richtlinie
       für die Bewirtschaftung des Staatswaldes“, steht darauf, „unsere Bibel“,
       sagt Pflüger-Grone, halb im Scherz. Darin finden sich die beiden obersten
       Gebote für die hessische Forstwirtschaft, auch wenn sie hier schlicht
       „Hauptziele“ genannt werden: Biodiversität und Klimaschutz. Für das
       Forstamt bedeutet das, es muss stets versuchen, beide Ziele zu vereinen.
       
       Um ein realistisches Bild davon zu vermitteln, wie Windräder den Wald
       nachhaltig verändern, packt Pflüger-Grone seine Bibel ein und steigt in den
       dunkelgrauen V6-Pick-up-Truck des Forstamtes, jedoch nicht ohne vorher
       entschuldigend auf das dahinter stehende Elektroauto zu zeigen: „Ich würde
       ja lieber den nehmen, aber ich weiß nicht, ob wir damit durch den Wald
       kommen.“ Er steuert den Wagen einmal quer durch Nordhessen Richtung
       Westen, vorbei an der Trendelburg, von der Rapunzel ihr Haar
       heruntergelassen haben soll, ins Revier Diemeltal. Unter den Windrädern,
       die hier schon seit 2018 stehen, kann man sehen, wie sich die Natur die
       Flächen zurückholt: Der Wald geht in niedriges Gebüsch und Grasflächen
       über.
       
       Die Tiere scheint der frühere Eingriff nicht zu stören: Unter dem Turm
       steht ein Reh, dreht seinen Kopf in Richtung Geländewagen, bevor es im Wald
       verschwindet. Pflüger-Grone fährt einmal um die Anlage herum, dann raschelt
       es im Waldrand, ein Greifvogel gleitet von einer Baumkrone in die nächste,
       „ein Bussard“, sagt der Förster. „Wegen der Wartungsflächen entsteht um die
       Türme natürlich kein dichter, hoher Wald mehr“, erklärt er im Auto, „aber
       es entstehen lichte Randwälder, die in Gebüsch mit vielfältigen
       Blütenwechseln übergehen, ökologisch sind die nicht weniger wertvoll“.
       
       Verhältnismäßig ist der Flächenverbrauch für das Projekt im Reinhardswald
       nicht groß: E[2][twa 0,12 Prozent des Forstes] werden in Anspruch genommen,
       dazu zählen auch temporär genutzte Gebiete, die später wieder bewaldet
       werden. Aber diese Zahl löst den Konflikt nicht einfachauf. Denn die 18
       Windräder werden nach Fertigstellung 241 Meter von den Gipfelflächen in den
       Himmel ragen und das Bild der Landschaft dominieren – auch den Hintergrund
       des „Dornröschenschlosses“ Sababurg. Die Bürgerinitiative „Aktionsbündnis
       Märchenland“ hat [3][eine Visualisierung des künftigen Ausblicks auf die
       Burg erstellt]. Auch wenn sich die darin dargestellte Höhe der Windräder
       nicht so leicht verifizieren lässt, zeichnet sie doch ein eindrückliches
       Bild der neuen Aussicht, die von vielen als Verschandelung des kulturellen
       Herzens der Region wahrgenommen werden dürfte. Denn die Sababurg und ihre
       Einrahmung in vermeintlich unberührten Wald haben für die Region eine
       identitätsstiftende Funktion, die kritisch für die Erzählung vom
       Märchenland ist.
       
       Der Wald spiele dabei eine besondere Rolle in Deutschland, erklärt
       Georgiana Banita. Sie ist Kulturwissenschaftlerin an der Universität
       Bamberg und setzt sich mit den kulturellen Dimensionen der Energiewende
       auseinander. [4][Der deutsche Wald sei durch die Romantik zum mythischen
       Kulturgut geworden], „Windparks im Wald werden deshalb von manchen
       regelrecht als eine Form der materiellen und kulturellen Volksenteignung
       wahrgenommen“. Die AfD könne sich deshalb mit ihrer Verweigerungshaltung
       nicht nur gegen die vermeintliche Ideologie des Klimaschutzes stellen,
       sondern auch als Bewahrerin der nationalen Kultur inszenieren.
       
       „Manche Menschen empfinden Windräder als spürbare technische Gewalt“,
       erklärt sie. Weil sich die Erneuerbaren im Gegensatz zu Kohle- und
       Atomkraft auf die gesamte Fläche Deutschlands erstrecken, werde die
       Stromerzeugung in vielen Regionen so zum ersten Mal wirklich greifbar. Das
       führe vor allem in Gegenden, die bisher wenig Industrie hatten, zu
       Gegenwehr.
       
       Will man sich einer Lösung des Konflikts um Windkraft annähern, muss man
       auch deren wirtschaftliche Seite in den Fokus nehmen, meint Andreas Ernst.
       Er ist Professor für Umweltpsychologie an der Universität Kassel und
       forscht dort zum Wertewandel im Umweltschutz sowie zur Akzeptanz von
       Klimapolitik. „Am Ende geht es oft um nackte Euros“, so Ernst. Die
       Einrichtung einer Energiegenossenschaft, wie sie im Reinhardswald
       geschaffen wurde, müsse ihm zufolge nicht zwangsläufig zum Erfolg führen.
       Denn nicht jede Gemeinde kann bei teuren Energieprojekten mitspielen. „Hat
       eine Kommune überhaupt die Mittel, in ein Projekt mitzuinvestieren, um am
       Ende mitzuprofitieren?“ Kommunen, die sich nicht beteiligen können, werden
       viel eher zu Windkraftgegnerinnen, so der Psychologe. Für jene Kommunen
       wiederum, die diese Möglichkeit haben, lockt eine profitable
       Einnahmequelle: „In Windenergie ist richtig viel Geld drin, weil es da um
       Megawatt geht und um jahrzehntelange Laufzeiten.“ Mit externen
       Finanzierungsmöglichkeiten für wirtschaftlich schwache Kommunen könnte
       daher die Einbindung der Anwohner*innen und die Akzeptanz der Projekte
       verbessert werden.
       
       Ob man Windräder als Teil einer nachhaltigen Zukunft oder als optische
       Verschandelung der Landschaft ansieht, erklärt Georgiana Banita, hänge
       zudem vom eigenen zeitlichen Bezugsrahmen ab: „Die einen suchen das Glück
       im Hier und Jetzt.“ Andere strebten nach der besten Lösung für die
       Gesellschaft, auch in der Zukunft. Letzteren fällt es auch leichter, zu
       erkennen, „dass der Klimawandel langfristigdie größere Bedrohung für den
       Wald darstellt“.
       
       Diese Dynamik kennt man auch aus anderen Debatten. Banita sieht Parallelen
       zur Reaktion auf Migration. Beides, Windräder und Geflüchtete, könnten
       mitunter als „imaginäre Invasion“ wahrgenommen werden, als etwas Fremdes,
       das eine vertraute Ordnung bedroht, so die Kulturwissenschaftlerin. Die
       Transformation werde dann emotional vor allem negativ wahrgenommen: als
       Verlust von Kontrolle, Raum, Geschichte – als Ängste. Und das Spiel mit
       Ängsten habe vor allem die AfD perfektioniert.
       
       Auf dem Weg zurück ins Forstamt geht die Sonne unter. Im Rückspiegel des
       Geländewagens stehen die dunklen Schatten der Rotorblätter vor dem tiefen
       Rosa des Himmels. Pflüger-Grone erzählt, dass er schon Politiker*innen
       von Grünen, SPD und CDU durch den Wald geführt hat – immer ohne Presse, um
       sich nicht vereinnahmen zu lassen. Von der AfD sei dagegen noch niemand
       gekommen.
       
       26 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Erneuerbare-Energien/!6058595
   DIR [2] https://rp-kassel.hessen.de/sites/rp-kassel.hessen.de/files/2024-01/v4_ergaenzungsbescheid_221220_reinhardswald_anonymisiert_vk.pdf
   DIR [3] https://rettet-den-reinhardswald.de/2019/07/02/visualisierungen-2021/
   DIR [4] /Caspar-David-Friedrich-und-der-Wald/!6054933
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannik Grimmbacher
       
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