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       # taz.de -- Vom Umgang mit roten Ampeln: Strammstehen an der Bordsteinkante
       
       > An Fußgängerampeln entscheidet sich vieles. Den übertriebenen Hang zur
       > Konformität von manchen dort empfindet unser Kolumnist als befremdlich.
       
   IMG Bild: Rot: also stehen. Vielleicht
       
       Manchmal können die läppischsten Situationen voller Bedeutung sein und
       daher doch nicht allzu läppisch. Ganz im Gegenteil, man sollte sie
       soziologisch untersuchen, womöglich noch besser politisch und psychologisch
       betrachten. Im besten und gar nicht mal so unwahrscheinlichen Fall würde es
       vermutlich spannende Erkenntnisse zutage befördern.
       
       Einer dieser scheinbar unbedeutenden Momente spielt sich jeden Tag auf
       unseren Straßen ab. Nämlich an roten Fußgängerampeln. Gerade erst musste
       ich wieder schmunzeln, als ich an einer stand. Ehrlich gesagt, habe ich
       nicht lange gestanden, ich lief bei Rot rüber. Mache ich öfter so, ganz
       entspannt. Movement of jah People … Ich weiß, so etwas tut man nicht. Schon
       in der Kita heißt es ja, „Bei Grün darfst du gehen, bei Rot muss du
       stehen“. Bin ich deshalb bar jeder Verantwortung? Besonders rebellisch?
       Oder weder noch, weil … mein Gott, wen interessiert das schon? Außerdem
       machen das viele, in einer Stadt wie Berlin sehr viele. Es geht also nicht
       um mich, auch nicht um die Gesamtheit aller Regelbrecher:innen. Es geht um
       eine sehr spezielle Gruppe.
       
       Was mich zu meinem Schmunzler zurückführt. Um es präziser zu formulieren:
       Ich schmunzele nicht beim Stehen, es ist der Moment, wenn ich loslaufe.
       Manchmal lache ich, statt zu schmunzeln. Weil es auffälliger ist. Dabei
       schüttele ich auch gerne mal demonstrativ den Kopf. So als rein präventive
       Reaktion: Ehe die anderen den Kopf schütteln, weil ich loslaufe, tue ich es
       selbst, weil sie wie angewachsen stehenbleiben.
       
       Mit Kindern an der Ampel ist das natürlich tabu. Unangeleinte Hunde wären
       auch ein Grund. Ich will doch nicht der Christian Lindner unter den
       Fußgänger:innen sein und dafür sorgen, dass meinetwegen irgendeine süße
       Töle überfahren wird. Pfui! Auch pesende Autos halten mich
       selbstverständlich zurück. In Berlin wird oft und gerne gepest. Und nur
       selten sprinte ich zwischen zwei Autos rüber, außer sie stehen im Stau.
       
       ## Der Blick starr geradeaus
       
       Mein Szenario spielt sich eher in übersichtlichen Situationen ab,
       offengestanden ist meistens weit und breit kein Auto zu sehen. Und jetzt
       kommt’s: Was sind das für Leute, die trotzdem stehenbleiben? Komme, was
       wolle? Na ja, es kommt ja nichts. Strammstehen an der Bordsteinkante. Der
       Blick starr geradeaus, als gäbe es Haltungsnoten einer „So ist es
       brav“-Jury, eigens einberufen für die obrigkeitshörigen
       Befehlsempfänger:innen. Ich schreibe mich in Rage, tut mir leid, das hilft
       niemandem.
       
       Aber warum zum Verkehrshenker macht man das? Aus Angst? Vor wem? Vom
       Blaulichtmilieu fehlt jede Spur, Blitzer für Fußgänger:innen gibt es
       keine. Besonders ins Herz geschlossen habe ich jene unter ihnen, die sich
       über einen aufregen.
       
       Manche wirken so obsessiv konformistisch, dass ich mir vorstelle, wie sie
       sogar an einer Straße ohne Ampel warten – auf die Installation selbiger,
       nur um dann bei Rot stehenzubleiben und über die Verstöße anderer zetern zu
       können. Dieses sonderbare Verhalten zieht sich durch alle Altersgruppen und
       Szenen.
       
       Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich empfinde den übertriebenen
       Hang zur Konformität als befremdlich, er gruselt mich ein wenig. Zeigen
       sich hier bereits Züge des autoritären Charakters? Würden Adorno und Co mit
       den Ohren schlackern? Ich jedenfalls bin froh, in einer Stadt zu leben, in
       der ein pragmatischer Umgang mit Ampeln gepflegt wird. Oder muss man sich
       im Vorfeld der nächsten Berlin-Wahl im kommenden Jahr vor einer urbanen
       MAGA-Bewegung sorgen? Von wegen „Make Ampel Great Again“? Na, dann kommt
       doch, wenn ihr euch traut, das Rotlichtmilieu wird sich zu wehren wissen.
       
       8 Jun 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bobby Rafiq
       
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