URI: 
       # taz.de -- Eine wahrlich schmackhafte Erdbeere: Die süße Mieze
       
       > Als „nicht anbauwürdig“ wurde sie lange beschrieben – dabei mundet die
       > Erdbeere „Mieze Schindler“ so gut. In diesem Jahr wird sie 100.
       
   IMG Bild: Schmilzt im Mund wie eine Praline: Erdbeere der Sorte „Mieze Schindler“
       
       Für eine einzelne Erdbeere musste man im vergangenen Februar in der
       US-Lebensmittelkette Erewhon satte 19 Dollar hinblättern. Wie der Preis
       vielleicht verrät, handelte es sich nicht etwa um eine gewöhnliche
       Erdbeere, sondern um einen extrem raren, stückweise verpackten Import.
       
       Die japanische Sorte Tochiaika besticht vor allem durch ihre makellose
       Süße. Teuer, so hieß es, sei sie, weil ihre Zucht aufwendig ist und ihre
       Früchte nicht besonders lange halten würden. Der Mondpreis bedeutete für
       den Lebensmittelhändler kostenlose PR, weltweit berichteten die Medien.
       Nicht nur der Autor dieser Zeilen dürfte dabei leise in sich hinein
       gelächelt haben. Denn es gibt sie doch bereits, die perfekte Erdbeere –
       seit 100 Jahren, ein gutes Stück günstiger und mitten in Deutschland.
       
       1925 kreuzte der Gartenbaulehrer Otto Schindler die zwei Sorten Lucida
       Perfecta und Johannes Müller. Geboren war die Mieze Schindler. Die Sorte,
       die er nach seiner Gattin benannte und die 1933 in den Handel kam, war von
       einem Geschmack, der an die kleine Walderdbeere erinnerte.
       
       Eine ausgeprägte Süße und florale Noten trafen auf feine Fruchtsäure – das
       Wässrige, das gängige Erdbeeren bis heute oft mit sich bringen, fehlte
       völlig. Verantwortlich für diesen Wohlgeschmack: Methylanthranilat, ein
       Aroma aus der Familie der Ester.
       
       Nicht nur in der Gegend um Dresden – Schindler wirkte an der „Höheren
       Staatslehranstalt für Gartenbau“ im nahen Pillnitz – wurde die Mieze
       Schindler bald flächendeckend angepflanzt, war sie doch relativ
       anspruchslos, was die Qualität des Bodens anging. Diese Beliebtheit
       beschränkte sich jedoch auf den Privatanbau.
       
       ## Was sagt der Beerenbauer?
       
       Denn so sehr die mittelgroßen Früchte mundeten, für die professionelle
       Zucht stellte sich die Sorte rasch als bockig heraus. Erst nach der Wende
       wurde die Mieze Schindler wiederentdeckt, als sich erste Gärtnereien an den
       professionellen Anbau der Pflanzen machten.
       
       Es ist Anfang Mai, Anruf bei Martin Blumenstock. [1][Zufällig steht er
       direkt auf dem Erdbeerfeld.] „Sie fängt gerade an zu blühen“, sagt er.
       „Mitte, Ende Juni wird’s so weit sein.“ Der Beerenbauer aus dem
       baden-württembergischen Wallhausen begann vor zehn Jahren mit der
       Kultivierung der alten Sorte, nachdem ihm ein Bekannter aus Nürnberg dazu
       geraten hatte. Als Blumenstock sich näher mit der Frucht beschäftigte, habe
       er in der Literatur den Vermerk ‚nicht anbauwürdig‘ gefunden.
       
       Das weckte seinen Ehrgeiz. „Zufällig hatte ich gerade ein freies Eckchen
       und dachte mir: Du probierst das jetzt einmal!“, erzählt er am Telefon. Von
       Anfang an habe der Anbau gut geklappt. Und ebenso wichtig: Verkaufen ließ
       sich die Beere auch.
       
       Warum rät die Fachliteratur also von der Mieze Schindler ab? Dass man eine
       andere Sorte zur Befruchtung braucht, ist nicht der Grund, eher liegt es an
       ihrem speziellen Wesen. Denn trägt die Mieze einmal Früchte, gibt sie sich
       eher divenhaft. [2][Nasse Jahre, erklärt Blumenstock, möge sie überhaupt
       nicht.] Dann drohten Frucht- und Blattfäule.
       
       Und: „Wenn man sie zu früh pflückt, fehlt das Aroma. Wenn man zu spät
       kommt, verdirbt sie schnell.“ Die größte Herausforderung: Die Mieze
       Schindler ist nicht lagerfähig. Was im Körbchen prall und appetitlich
       anmutet und im Mund so zart schmilzt wie eine Praline, ist nach ein paar
       Stunden Matsch. „Alles was wir am Erntetag nicht verkaufen, wird abends
       eingefroren und geht an Betriebe, die Eis oder Marmelade damit machen.
       [3][Gerade für Marmelade ist sie total beliebt.] Wahrscheinlich, weil der
       Zucker ihren Geschmack dann noch einmal hebt.“
       
       Blumenstock verkauft die Beere an die gehobene Gastronomie und direkt auf
       seinem Hof auch an Privatpersonen. Ihr Preis ist gemäß dem Anbauaufwand
       hoch: Um die 20 Euro kostet das Kilo. Die Leute, sagt Martin Blumenstock,
       würden das gerne bezahlen. Sie wüssten um das Besondere dieser Frucht,
       kämen dafür zum Teil von weit her angereist.
       
       Denn eine andere Sorte mit diesem Geschmacksprofil gebe es nicht – die
       bisweilen als pflegeleichte Alternative angepriesene Hybridzüchtung Mieze
       Nova HZ würde dem Vergleich nicht standhalten.
       
       Abgesehen von Blumenstock und wenigen anderen Obstbauern ist die Frucht im
       Handel nur selten zu finden. Jungpflanzen für den Selbstanbau sind hingegen
       im gut sortierten Gartenfachhandel sowie bei zahlreichen Online-Anbietern
       erhältlich. Derlei Eigeninitiative trägt ohnehin die beglückendsten
       Früchte: Direkt von der Pflanze schmeckt die Mieze am besten.
       
       8 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schlechteste-Erdbeer-Ernte-seit-1995/!6024709
   DIR [2] /Extreme-Wetterereignisse/!6082819
   DIR [3] /Lebenswandel-im-fortgeschrittenen-Alter/!6034263
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jochen Overbeck
       
       ## TAGS
       
   DIR Erdbeeren
   DIR Erdbeben
   DIR Garten
   DIR Essen
   DIR wochentaz
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Kolumne Geschmackssache
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Abschied vom Konferenzgebäck: Von der Hand in den Mund
       
       Konferenzgebäck gehörte früher zu jedem Meeting, heute kaum noch. Dabei ist
       es sehr aufschlussreich: Wer greift wann zu? Und wie oft?
       
   DIR Schlechteste Erdbeer-Ernte seit 1995: Strawberry Fields Forever?
       
       Viel Niederschlag und kleinere Anbauflächen sorgen für die dürftigste
       Erdbeerernte im Freiland seit fast 30 Jahren. Eine Rolle spielt die
       Inflation.
       
   DIR Hype um Pistazien: Die Jagd nach den grünen Diamanten
       
       Pistazien hat unser Autor schon immer geliebt. Nun sollen sie bald überall
       drin sein. Doch er weiß nicht, was er davon halten soll.